Schon länger steht die Biogastechnologie politisch im Kreuzfeuer. Standen früher Geruch und Lärm in der Kritik, diskutiert die Öffentlichkeit heute über den angeblich übermäßigen Maisanbau oder den Anstieg der Strompreise im Zusammenhang mit Biogas. Dabei werden Biogasanlagen auch im nächsten Jahrzehnt für vielfältige Aufgaben benötigt. Das zeigte gestern (13. September 2016) das Statusseminar „Biogas 2020+“, den das Beratungsnetzwerk CARMEN e.V. zusammen mit dem Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ), dem Technologie- und Förderzentrum (TFZ) sowie der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) organisiert hat.
„Ohne Biogasanlagen benötigen wir im Jahr 2030 rund 8 Gigawatt Leistung von konventionellen Kraftwerken, die die schwankende Stromproduktion von Solar- und Windstrom ausgleichen“, stellte Prof. Uwe Holzhammer die Ergebnisse einer Studie vor. Holzhammer, der bislang am Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel arbeitete, ist seit kurzem Professor am Institut für neue Energiesysteme (INES) der Technischen Hoschule Ingolstadt. Für die Flexibilitätsoption müssten die Biogasanlagen Strom bedarfsgerecht erzeugen können. Damit könnte die gleiche Anzahl an Anlagen statt der heute installierten 4,2 Gigawatt (GW) eine installierte Leistung von 8 GW haben. Das wäre laut Holzhammer technisch kein Problem, die Anlagenbetreiber bräuchten nur eine Perspektive. „Daher ist es für mich unverständlich, wie die Politik bei so ambitionierte Anforderungen an das Energiesystem im Jahr 2050 leichtfertig eine etablierte, erneuerbare Energie auslaufen lässt, die viel zur CO2-Minderung beiträgt. Und das, obwohl man noch nicht weiß, wie man die Klimaziele bis zum Jahr 2050 überhaupt erreichen will“, fragt der Wissenschaftler kritisch.
Neben der bedarfsgerechten Stromerzeugung gibt es aber auch eine ganze Reihe von weiteren Ideen für Biogasanlagen, wie verschiedene Vorträge auf dem Seminar zeigten:
- Korbinian Nachtmann von der Hochschule Landshut stellte heute schon praxisreife Möglichkeiten vor, um Biogas mit Kälte aufzubereiten. Dabei wird Rohbiogas auf Temperaturen von -50 bis -135 Grad abgekühlt. Während Methan gasförmig bleibt, wird das enthaltene Kohlendioxid flüssig oder liegt sogar als Trockeneis vor. Dieses könnte man an die Lebensmittelindustrie vermarkten, wie holländische Betriebe zeigten.
- Rainer Casaretto von der Biogas-Akademie aus Schleswig-Holstein und René Casaretto von der Hochschule Flensburg schlugen vor, Gärrest zu Dünger aufzubereiten. Das nötige Geld dafür sollten Verbraucher über einen „Güllepfennig“ schon an der Fleischtheke aufbringen.
- Sonja von Possel von den Stadtwerken Rosenheim berichtete über das Konzept „Rosenheimer Landstrom“, bei dem der Strom aus Biogasanlagen, Wasserkraftwerken und Solarstromanlagen gebündelt und bilanziell an Verbraucher vermarktet wird. Der Strom wird dabei zwar eingespeist und nach EEG vergütet, aber die Verbraucher erhalten den Nachweis, dass die Anlagen den benötigten Strom in der Region viertelstundengenau immer dann produzieren, wenn er benötigt wird.
- Johannes Wilburger von der Unternehmensberatung „Hof und Leben“ plädierte angesichts wirtschaftlicher Probleme einiger Anlagen dafür, dass sich die Betreiber zu virtuellen Kraftwerken vernetzen, die Biogasproduktion als „nachhaltig“ zertifiziert wird und Verbraucher für diesen Strom mehr bezahlen.
- Prof. Kilian Hartmann von der Hochschule Aschaffenburg stellte ein Konzept vor, bei dem ein Kombikraftwerk aus 60 % Windenergie, 23 % Photovoltaik und 17 % Biogas gebildet wird und Strom auf dem Terminmarkt anbietet. Bislang wird er auf dem Spotmarkt verkauft und sorgt dafür, dass die Börsenstrompreise ständig sinken mit der Folge, dass die EEG-Umlage steigt. Ziel müsse es sein, dass beide auf das Niveau von 2008 zurückkehren, also eine EEG-Umlage von ca. 1,16 ct/kWh und ein Börsenstrompreis von 7 ct/kWh.
- Johannes Schwarz von der SK Verbundenergie aus Regensburg zeigte, wie Biogasstrom nach einem Fahrplan erzeugt und in unterschiedlichen Blöcken am Strommarkt verkauft werden kann.
- Anhand der Biogasanlage Stötze (Niedersachsen) machte Annette Keil vom Energiedienstleister Energytomarket aus Leipzig deutlich, wie moderne flexible Stromvermarktung aussehen kann und regte an, dass es für Blindleistung künftig auch eine Vergütung geben sollte.
- Peter Ritter vom Ingenieurbüro Cube Engineering aus Kassel stellte das Beispiel der Biogasanlage in Jühnde (Niedersachsen) vor, die laut Netzbetreiber ihre Leistung nur bis zu 1,4 MW hätte verdoppeln dürfen, mehr wäre vom Netz her nicht möglich gewesen. Der Betreiber konnte sich mit einem Gutachten von Cube in einem Forschungsprojekt aber mit dem Netzbetreiber einigen, dass insgesamt 2,7 MW angeschlossen werden können. Als Argument führte Cube an, dass der Strom nur dann erzeugt wird, wenn wenig Nachfrage nach Strom besteht und es damit keine Probleme mit Netzüberlastungen geben wird. Das Forschungsprojekt ist jetzt abgeschlossen, ein Abschlussbericht ist derzeit in Arbeit.