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Kyrill: Die gebremste Katastrophe

Kyrill zerstörte im Sauerland Existenzen. Doch der Stadtwald der Gemeinde ­Schmallenberg hat die Orkanfolgen einigermaßen gut verdaut, findet der ­zuständige Förster.

Lesezeit: 7 Minuten

Kyrill zerstörte im Sauerland Existenzen. Doch der Stadtwald der Gemeinde ­Schmallenberg hat die Orkanfolgen einigermaßen gut verdaut, findet der ­zuständige Förster.


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Der jüngste der Orkane mit großen Windwürfen – Kyrill – hat 2007 vor allem auch im Sauerland Existenzen zerstört. Manche Privatwaldbesitzer verloren alles. Zehn Jahre danach haben wir den Förster des Stadtwaldes Schmallenberg, Siegfried Hunker (60), besucht, der das Revier bereits seit 1994 betreut.

Er erinnert sich heute an den Sturm mit gemischten Gefühlen – es hätte noch viel schlimmer kommen können, sagt er. Einige Umstände hätten die totale Katastrophe verhindert.

In der Region verteilen sich je 15 % der Waldfläche auf Kommunal- und Staatswald. 70 % sind Privatwälder, im Schnitt mit 3 bis 15 ha – diese waren am stärksten betroffen. Siegfried Hunker war damals als einziger Förster zusammen mit zwei Meistern und fünf Forst­wirten in dem 2 860 ha großen Stadtwald angestellt. Der Stadtwald gliedert sich in vier Reviere und einige Streuparzellen.


Wie nach einem Krieg: Der Blick aus dem Fenster am Morgen danach sei wie nach einem Krieg gewesen – alles ­zerstört. „Uns war klar, dass jetzt eine riesige Aufgabe auf uns zu kommt – aber in ein Loch bin ich damals nicht gefallen.“ Der Förster ist direkt in die Bestände gefahren, um sich ein Bild zu machen. Im Schmallenberger Stadtwald lagen rund 210 ha flach, einige Bestände waren angerissen, hier und da hatte Kyrill Windwurfnester hinterlassen. Vor allem traf es die Kuppen bzw. Plateaus der ­Höhenzüge. Deshalb ist auch heute die Altersklassenverteilung im Schmallenberger Stadtwald durch den Sturm nicht komplett aus den Fugen geraten. Denn in den Tälern und an windabgewandten Hängen fielen die Schäden deutlich geringer aus.

Vor dem Sturm hatte es lange geregnet und den Boden aufgeweicht. Die Bäume waren komplett mit den Wurzeltellern umgefallen, und es gab relativ wenig Bruchholz. Aber allein im Sauerland lagen 14 Mio. Festmeter. Förster Hunker versuchte, das Holz schnell und über möglichst viele ­Kanäle zu vermarkten. Es stellt sich als richtig heraus, sich nicht an den heute viel kritisierten Lieferverträgen des Landes mit einem einzelnen Sägeunter­nehmer zu beteiligen.


Export nach Asien: Etwa ein Drittel seiner Menge brachte der Förster in den Export, vor allem nach Asien. Holz mit Granatsplittern von bestimmten Höhenzügen ging nach Abu Dhabi, als Rammpfähle für ein Bauprojekt im Meer. Zum Export wurden die Stämme auf einem großen Parkplatz direkt in Container verladen, die anschließend noch begiftet und zertifiziert werden mussten. Siegfried Hunker zeigt uns bei der Rundfahrt den Platz und erklärt wie lang die Schlage der Container-Lkw zu Hochzeiten war.

Der Export lief über ganze neun ­Monate und der Förster konnte einen ordentlichen Holzpreis von durchschnittlich 60 €/fm erzielen. Siegfried Hunker schätzt, dass im ersten Jahr so rund 100 000 fm vermarktet wurden – auch von einigen benachbarten Waldbesitzern. Unter dem Strich teilen sich das Nasslager und die klassische Vermarktung an Säger die anderen zwei Drittel der Schmallenberger Sturmholzmenge. Weil 2007/2008 Rohstoffe auf dem Weltmarkt allgemein knapp waren, zeigte sich der Holzpreis erstaunlich robust, der Absturz sollte erst mit der späteren Finanzkrise kommen.

Im ersten Jahr lag der Schwerpunkt darauf, die Flächen zu räumen. Danach ging es um das Konzept für die Wiederaufforstung. Dabei haben der Schmallenberger Bürgermeister und Rat dem langgedienten Stadtförster weitgehend freie Hand gelassen. Siegfried Hunker entschied sich, das Konzept zusammen mit dem Dienstleister Leonhardt Wald- und Umweltplanung aus dem benachbarten Arnsberg zu erstellen. Insgesamt enthält es 16 verschiedene Baumarten und auch die üblichen Pionierbäume wurden berücksichtigt und akzeptiert.


Bereits verjüngt:Positiv waren im Schmallenberger Wald an einigen Stellen auch die Startbedingungen: Siegfried Hunker hatte bereits dort die ­naturnahe Vorausverjüngung in den 100 bis 120 Jahre alten Fichtenwäldern begonnen, mit der Förderung von ­Naturverjüngung und dem gezielten Einbringen von Laubbaumarten. Eine Taktik, die er konsequent fortführt. Heute ist übrigens mit rund 850 ha ein gutes Drittel der Gesamtfläche vorausverjüngt. Auf den Sturmflächen hatte die Verjüngung das Chaos erstaunlich gut überstanden. Bei der Räumung der Flächen durch Harvester haben die Schmallenberger deshalb auf möglichst schonende Arbeit Wert gelegt.

Fördermittel nahm der Förster nur sehr dosiert in Anspruch. Sie wurden vor allem für Wiederauf­forstung mit Buche gewährt – was nicht ganz ohne Risiko ist. Denn auf den geförderten Flächen werden langfristig nur 30 % Fichten geduldet – sonst müssen die Mittel verzinst zurückgezahlt werden. Weil aber die Fichtenbestände im Jahr vor Kyrill ­intensiv geblüht hatten, rechnete Siegfried Hunker mit einer starken Naturverjüngung: „Wir hätten die Fichte hier über Jahre sehr intensiv herauspflegen müssen, um nicht in diese Falle zu geraten.“ Lieber mit der Fichte als gegen sie.

Außerdem ist Buche bei ihm auf den Kyrill-Flächen in der Kampfzone und hat einen nur mäßigen Zuwachs von 6 bis 8 fm/Jahr und Hektar, die Fichte bringt es auf 12 bis 14 und die Küstentanne sogar auf 18 fm jährliches Wachstum. Überdies wurden Eichen und ­Buchen von den starken Wildbe­ständen gerne verbissen, wie übrigens auch „Exoten“, mit denen der Förster experimentiert hat. Es gibt Rot-, Reh- und Muffelwild und viele Jagdpächter züchten eher starke Wildbestände ­anstatt sie in Grenzen zu halten, findet der Stadtförster. Das Pflanzen von Buchen in Kombination mit Ahorn und – wegen des Triebsterbens – wenigen Eschen, beschränkte sich deshalb vor allem auf die Naturschutzflächen.

Die Flächen mit Vor­verjüngung wurden lediglich geräumt und – abgesehen von gelegentlichen Pflegeeingriffen – weitgehend sich selbst überlassen.


Eigene Wildlinge: Für die Pflanzungen haben die Schmallenberger neben der Baumschulware auch Wildlinge gewonnen oder einen Teil als Sämlinge selbst herangezogen. Sie verfügen über für die Vermehrung anerkannte Fichten-, ­Buchen- und Küstentannen-Bestände. Die von Kletterern geernteten Samen wurden bearbeitet und in kleinen ­Containern herangezogen – mit mäßiger Bilanz, wie der Förster zugibt. Durch die zu frühe Pflanzung ist damals ein großer Teil vertrocknet. Aber auch heute nimmt Siegfried Hunker für die Vorausverjüngung gerne eigene Containerpflanzen, nur gibt er ihnen mehr Zeit, sich zu entwickeln.

Unter dem Strich beziffert Siegfried Hunker die Kosten für die Wieder­bewaldung der Kyrillflächen mit rund 280.000 €, abzüglich der Fördermittel von rund 60.000 €. Die Holzerlöse für die Gemeinde lagen deutlich höher. Betroffen waren vor ­allem die Altbestände, die in den nächsten Jahren ohnehin zur Nutzung anstanden – Kyrill hat den Prozess ­beschleunigt.

Das Ziel des Stadtförsters für die ­Zukunft sind stabile Mischbestände mit einer hohen Artenvielfalt. Und dazu gehört für ihn natürlich auch die Fichte, er hält nichts davon, sie zu ­verteufeln. Die Fichte hatte Mitte des 19. Jahrhunderts immerhin die Wieder­bewaldung des kahlen Sauerlandes möglich gemacht und wurde zum Brotbaum der Region.

Heute sollte sie nach Ansicht von Siegfried Hunker in das Mischwaldkonzept integriert werden. Die Stammzahl der Fichtenbestände will er ­deutlich früher reduzieren, die Bäume bereits ab einem Alter von 60 Jahren nutzen und die Vorausverjüngung so früh wie möglich starten. Auf unserem Rundweg zeigt uns der Förster einen Wald, der seinen Vorstellungen von der Zukunft sehr nahe kommt: Unter mächtigen, starken Küstentannen wachsen unterschied­liche Bäume in verschiedenen ­Altersklassen. Das Ganze sieht fast wie ein Märchenwald aus. Aber ein wirtschaftlicher, wie Siegfried Hunker betont.

Derzeit stehen intensive Pflegemaßnahmen auf den Kyrillflächen an – zu möglichst vertretbaren Kosten. Die vorverjüngten Bestände müssen jetzt reguliert werden. Siegfried Hunker lässt dazu bereits Gassen mit GPS-gesteuerten Mulchern anlegen, um die dichten Bestände überhaupt bearbeiten zu können. An anderen Stellen muss er Ginster und teils auch Pinonierbaum- arten zurückdrängen. Und die Pflege der insgesamt 146 km Wege ist anspruchsvoll – denn sie wachsen nach und nach wieder zu. Zehn Jahre nach dem Sturm ist die Natur manchmal schwer zu bremsen.

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