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Start-ups

Gute Zeiten zum Gründen

f3 sprach mit der Start-up-Expertin Prof. Dr. Karin Schnitker über den richtigen Zeitpunkt, ein Agrar-Startup zu gründen.

Lesezeit: 11 Minuten

Jedes Jahr wird in Deutschland mehr Schweinefleisch produziert, die Geflügelschlachtungen stiegen seit der Jahrtausendwende von 1 Mio. auf über 1,5 Mio. Stück und auch die Milchmenge legte seit dem Jahr 2000 um 5 Mio. t. zu. In 2016 erreichten deutsche Agrarexporte wieder einmal Rekordwerte. Das liest sich wie eine Erfolgsgeschichte - warum sollten Hofnachfolger oder Betriebsleiter dennoch manchmal altbewährte Wege verlassen und mit neuen Geschäftsideen ein Risiko eingehen?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Der Erfolg der landwirtschaftlichen Betriebe wird häufig über Größenwachstum erkauft. Sie bedienen mit den wichtigsten Märkten wie Fleisch, Milch und Getreide in der Regel Massenmärkte, auf denen das günstigste Produkt zählt. Nur wer effizient ist und weiter wächst, kann die Kosten senken und dort mitspielen. Das Ergebnis sind immer weniger, aber dafür umso größere landwirtschaftliche Betriebe.

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Das Ende des Mengenwachstums?

Prof. Dr. Karin Schnitker:Auch wegen dieser Systematik kämpfen die Höfe bereits untereinander immer stärker um Ressourcen. Eine zentrale Rolle spielt der nicht vermehrbare Faktor "Boden". Er wird seit Jahren knapper, teurer und wird hier und da sogar schon übernutzt. Strenge Umweltvorschriften und schwer durchsetzbare Baugenehmigungen machen es dem Landwirt ebenfalls nicht leichter. Wer in angestammten Geschäftsfeldern also nicht mehr weiter quantitativ wachsen kann, wird in der Kostenführerschaftslogik des Massenmarktes weniger wettbewerbsfähig. In diesem Fall könnte es sich lohnen zu prüfen, ob nicht liquide Mittel aus einem Betriebsbereich mit geringer Wettbewerbsfähigkeit frei gemacht werden können. Gegebenenfalls könnten sie als Gründungskapital für ein landwirtschaftliches Start-up oder andere neue Geschäftsfelder dienen.

Woran erkennt ein Landwirt, ob Mengenwachstum auf seinem Betrieb noch möglich ist? Wann sollte ein Hofnachfolger auf eine neue Geschäftsidee umsatteln - Und wann doch lieber bei den bewährten Standbeinen des elterlichen Betriebes bleiben?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Weil sich diese Frage nicht nur landwirtschaftliche Unternehmer, sondern auch Geschäftsleute anderer Branchen stellen, gibt es wissenschaftliche Modelle, die sich genau damit auseinandersetzen. Auch, wenn es jetzt kurz etwas theoretisch wird, möchte ich auf die Lehren des strategischen Managements verweisen. Demnach ist ein Auf und Ab von Geschäftsfeldern ganz normal. Nur, weil ich in einen Betriebszweig weniger investiere, bedeutet das nicht die Aufgabe des gesamten Betriebes! Wer früh die Zeichen der Zeit erkennt und strategisch handelt, kann sein Unternehmen stetig an die Veränderung der Umwelt anpassen. Und zwar frühzeitig, wenn noch Handlungsspielraum besteht und Ressourcen für den Aufbau anderer Geschäftsfelder umgenutzt werden können.

Wenn ein Unternehmensberater einen landwirtschaftlichen Betrieb analysieren würde, könnte dieser auf ein spezielles Modell, die "Portfolio-Matrix", zurückgreifen. Er bewertet damit die Betriebszweige eines Hofes nach ihrer Marktattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit und ordnet sie entsprechend in die Matrix ein.

Betriebszweige wie zum Beispiel "Schweinemast", "Junghennenaufzucht" oder "Ackerbau" können dann als einzelne Geschäftseinheiten bewertet und jeweilige strategische Entscheidungen getroffen werden. Jede Geschäftseinheit kann auf Stärken und Schwächen untersucht werden. Ist in der Schweinemast noch ein attraktiver Markt und Wettbewerbsfähigkeit gegeben? Wenn der Landwirt beides mit Ja beantworten kann, sollte er diesen Bereich ausbauen.

Einzelne Geschäftsbereiche bewerten

Prof. Dr. Karin Schnitker: Wenn er sie mit Nein beantwortet, sollte er sich aus diesem Bereich dann zurückziehen, wenn ihm keine wichtigen Synergieeffekte verloren gehen. Ein Rückzug aus dem Ackerbau würde zum Beispiel vermutlich für viele bedeuten, gewerblich wirtschaften zu müssen. Deshalb wird auch ein im Vergleich schwacher Ackerbauzweig in Veredelungsbetrieben meist weiterbetrieben.

In der Wissenschaft gehen wir davon aus, dass alle Produkte eines Marktes und meist auch die Geschäftsbereiche eines Unternehmens einem Lebenszyklus unterliegen: demnach muss zunächst investiert werden, um das Produkt zu etablieren. Nach einer Phase steigender Umsätze und Gewinne kommt es irgendwann zu einem Peak und diese Kennzahlen entwickeln sich rückläufig. Nach einer gewissen Zeit wird das Produkt vom Markt genommen oder nicht weiter in eine Geschäftseinheit investiert. Im besten Fall hat der Unternehmer zu diesem Zeitpunkt bereits in ein neues Produkt investiert, dass dann künftig neue Gewinne erwirtschaftet. Desinvestition und Wachstum, bzw. die Gründung eines Start-ups, passen also gut zusammen! Es zählt aber immer der Blick und die Analyse der einzelbetrieblichen Situation.

Alle reden von Start-ups. Aber was kann ein Landwirt eigentlich darunter verstehen?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Die Definitionen von Start-ups sind unterschiedlich. Aber meistens haben alle gemeinsam, dass es neu gegründete Unternehmen sind, die auf Basis eines innovativen Produktes, Prozesses oder eines Geschäftsmodells versuchen, in einem oft relativ neuen Markt stark zu wachsen und schnell hohe Umsätze zu erzielen. Nicht nur in der digitalen Welt wird zurzeit so viel gegründet wie noch nie. Besondere Lebensmittel oder neue Food-Produkte zu produzieren und zu verkaufen, liegt bei Gründern stark im Trend.

Auch landwirtschaftliche Unternehmen bzw. ihre Jungunternehmer finden zunehmend Gefallen, in andere Geschäftsfelder als die bisherigen einzusteigen. An der Hochschule Osnabrück werden zum Beispiel seit geraumer Zeit neue Geschäftsideen in den Bereichen Agrar und Ernährung geboren und unterstützend begleitet. Eine nachhaltige Gänsebratwurst, eine innovative Bio-Beize oder eine Mast von Mehlwürmern für den Nonfood-Markt sind nur einige Beispiele.

Könnte ein Hofladen dann nicht auch als Start-up bezeichnet werden?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Ein Hofladen eher nein, weil es dieses Vertriebsmodell schon lange gibt und es zumindest im physischen Handel nicht skalierungsfähig ist. Ein globales "ebay" für landwirtschaftliche Produkte, auf dem alle Bauern dieser Welt ihre Produktchargen anbieten und Großkunden oder Nahrungsmittelhersteller bieten könnten, wäre schon eher ein Start-up: Es wäre innovativ, könnte über die ganze Welt ausgebreitet werden und die Vorteile wären für jeden gut und schnell ersichtlich.

Die Digitalisierung birgt ein riesiges, neues Potenzial für Landwirte, weil sie ihre Produkte direkt dem Konsumenten anbieten können." - Prof. Dr. Karin Schnitker

Prof. Dr. Karin Schnitker: Digitalisierung spielt einfach eine Rolle, weil sie innovative Geschäftsmodelle, ihre Skalierbarkeit und Sichtbarkeit gewährleistet. Gerade im E-Commerce von Lebensmitteln sind wir wie beim E-Auto am Rande einer Spielveränderung. Noch ist es schwierig die sogenannte "letzte Meile" zum Kunden zu seiner Zufriedenheit zu überwinden. Aber große Wettbewerber wie Amazon bis DHL arbeiten akribisch daran. Der konventionelle LEH gerät unter Druck, auch E-Commerce-Lösungen anzubieten. Für Landwirte birgt das ein riesiges, neues Potenzial, weil sie ihre Produkte direkt dem Konsumenten anbieten können.

Nehmen wir mal an, ein Betrieb möchte wirklich Kapital abziehen und woanders investieren. Womit fängt er an?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Der wichtigste Erfolgsfaktor ist eine gute und innovative Geschäftsidee, die etwas bietet, was die Konkurrenz nicht hat. Wir nennen das einen "Unique Selling Point" (USP). Vor einigen Jahren ist eine studentische Gründung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg auf dem Markt erschienen: das Unternehmen true fruits GmbH. Die Studierenden haben 2006 sozusagen den ersten Smoothie auf den deutschen Markt gebracht - wohlgemerkt ein gutes Jahr vor den großen Unternehmen wie Schwartau oder Chiquita. Gut zehn Jahre nach der Gründung erwirtschaftet das Unternehmen einen Jahresumsatz von 40 Mio. Euro. Und ich frage mal ganz provokant: Hätte nicht auch ein Obst- und Gemüsebauer auf die Idee kommen können und viel größeres Gründerpotenzial gehabt?

Haben unsere Obstbauern also verkannt, dass es da ein neues Einkommenspotenzial gab, dass sich sogar durch eine studentische Kleingründung nutzen ließ?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Ja, leider. Es gibt viele unternehmerische und innovative Landwirte. Oft aber stecken sie derart intensiv im operativen Hamsterrad und ihre Arbeitskapazität ist so gebunden, dass ihnen nicht der Sinn nach Neuem steht.

Deshalb ist der Moment, wenn der Hofnachfolger vor der Tür steht, ideal um Betriebsentwicklung in neuen Kategorien zu denken." - Prof. Dr. Karin Schnitker

Prof. Dr. Karin Schnitker:Viele unserer Studierenden sind tolle Innovatoren. Traurig ist aber, wenn zu Hause nicht einmal genügend Raum für einen halben Hektar Versuchsfläche für ein neues Produkt gegeben oder 20.000 € in eine geprüfte Idee gesteckt wird. Da hatten es die Studierenden der FH Bonn-Rhein-Sieg ohne eigenen Hof und die Verpflichtungen einfacher.

Wie kann ein Gründer analysieren ob seine Idee auch zukunftsfähig ist?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Er sollte zunächst prüfen, wie einzigartig die Idee ist. Also ob nur ein Aspekt der Idee oder sogar ein ganzes Bündel an Merkmalen neu ist.

Die Geschäftsidee von true fruits enthielt tatsächlich mehrere Innovationen: Die Produkt-Kategorie "püriertes Getränk" war in Deutschland eine Neuheit. Noch dazu enthält fast jeder Smoothie-Typ bis heute einen in Deutschland noch wenig bekannten Inhaltsstoff wie Matcha, Chiasamen oder Chlorellaalgen. Im Regal standen damals auch noch nicht viele andere, so farbenfrohe Getränke, die obendrein ohne Zusatzstoffe auskamen.

Der Gründer müsste seine Geschäftsidee auch dahingehend analysieren, ob sie leicht skalierbar ist. Das heißt, sie muss das Potenzial für ein schnelles Größenwachstum mitbringen. Beim Beispiel der Smoothies stand der gesamte Verbrauchermarkt in Deutschland und international zur Verfügung. Heute steht wie gesagt der 40 Mio. €-Umsatz im Jahr unterm Strich.

Landwirtschaftliche Jungunternehmer finden zunehmend Gefallen, in neue Geschäftsfelder einzusteigen." - Prof. Dr. Karin Schnitker

Marketing in der Ausbildung?

Die Idee ist das eine - sie bekannt machen und richtig bewerben etwas anderes. Marketing und Kommunikation nimmt jedoch nicht unbedingt den größten Teil der landwirtschaftlichen Ausbildung ein.

Prof. Dr. Karin Schnitker: Ja, die Gründer von true fruits gingen bei Marketing und Kommunikation neue Wege, was in beträchtlichem Maße zum Unternehmenserfolg beitrug. Wogegen sich andere Hersteller seit Jahren weigerten, war bei true fruits die Regel: Sie schrieben sämtliche Inhaltsstoffe des Getränks in ihrer exakten Mengenangabe transparent und ehrlich auf die Verpackung und warben mit "true fruits - no tricks".

Weiterhin entwickeln sie auf der Verpackung und in den sozialen Medien einen frechen Dialog mit den Verbrauchern. So bezeichneten sie ihren rosafarbenen Smoothie zum Beispiel als "Einhornkotze". Die Idee kann noch so gut sein - das, was an ihr neu ist, muss für den Kunden zudem klar und schnell erkennbar sein.

Angenommen ein landwirtschaftlicher Betrieb kann oder will kein Betriebskapital abzwacken, woher nehmen Gründer sonst das Geld?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Der Zugang zu Kapital ist neben einer guten Idee und dem Gründer selbst die wichtigste Ressource für eine erfolgreiche Gründung. Nach einer Befragung der KfW-Bankengruppe benötigten im Jahr 2015 etwa 25 % der Gründer nur Sachmittel, aber 65 % auch Finanzmittel. Davon hatten etwa 2/3 Zugriff auf Eigenmittel und 1/3 musste sich externe Gelder beschaffen.

Da Finanzierungen für derartige Vorhaben herkömmlichen Banken oft zu risikoreich sind, greifen Start-ups meist auf ein besonderes Finanzierungsmodell zurück: sogenannte Business Angels oder Risikokapitalgeber beteiligen sich für einen gewissen Startzeitraum mit Risikokapital (VC, Venture Capital) und erhalten Unternehmensanteile. Weiteres Kapital kann über Gründerpreise, staatliche Förderungen oder Stipendien zugänglich gemacht werden.

Die Ressource Boden kann beliehen werden

Prof. Dr. Karin Schnitker: Im Gegensatz zu anderen Gründergruppen wie Studierende oder Immigrierte haben landwirtschaftliche Start-ups meist bessere Möglichkeiten, auf Kapital zurückzugreifen: Durch die unternehmerische Tätigkeit liegen häufig Barreserven vor und die Ressource Boden kann bei den Banken beliehen werden. Auf Fremdkapital von Banken können nicht-landwirtschaftliche Start-ups meist nicht hoffen. An der Hochschule versuchen wir deshalb eine Beteiligungsstruktur für sog. Strategische Kapitalgeber und Start-ups aufzubauen. Mittelständische Unternehmen aus der Region wollen Gründer im Bereich Agrartechnik, Food und Digitalisierung mit Kapital und Knowhow unterstützen. Das ist viel nachhaltiger als VC, da strategisches und nicht reines Renditeinteresse im Vordergrund steht.

Zum Schluss noch ein Mut machendes Wort für angehende Gründer?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Ich möchte noch einmal festhalten, dass die Aufgabe eines landwirtschaftlichen Betriebszweiges nicht die Aufgabe des gesamten Hofes bedeutet. In Gegenteil, wenn ich eine Frucht nicht ernte, kann ich auch keine neue säen. Der erfolgreiche Unternehmer und dm-Markt-Gründer Götz Werner sagt: "Die Folgen des Erfolges sind, dass man nicht so weitermacht. Unternehmer sein heißt, aufgreifen und verwandeln und nicht aufgreifen und so weitermachen!" Durch die Ressourcenlage müssen Landwirte dies vielleicht noch weitläufiger aufgreifen als bisher. Die Bioenergiewelle war eigentlich das beste Beispiel, welch starker Gründergeist in unserer Branche steckt. Jetzt die nächsten Geschäftsfelder suchen und Pflöcke einschlagen!

Ein paar Worte zur "Portfolio-Matrix":

In der Wissenschaft geht man davon aus, dass alle Produkte eines Marktes einem Lebenszyklus unterliegen: Demnach muss zunächst investiert werden, um das Produkt zu etablieren. Nach einer Phase steigender Umsätze und Gewinne kommt es irgendwann zu einem Peak und diese Kennzahlen entwickeln sich rückläufig. Nach einer gewissen Zeit wird das Produkt vom Markt genommen oder nicht weiter in eine Geschäftseinheit investiert. Im besten Fall hat der Unternehmer zu diesem Zeitpunkt bereits in ein neues Produkt investiert, das dann künftig neue Gewinne erwirtschaftet. Desinvestition und Wachstum bzw. Gründung eines Start-ups passen also gut zusammen. Es zählt aber immer der Blick und die Analyse der einzelbetrieblichen Situation.

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