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Wie zukunftsfähig ist die deutsche Milchwirtschaft?

Lesezeit: 6 Minuten

Welche Perspektiven haben Milcherzeugung und -verarbeitung bis 2030 in Deutschland? Prof. Dr. Johannes Holzner, Wissenschaftler und Milcherzeuger, beschreibt die Ergebnisse einer Studie.


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Herr Prof. Holzner, hat die Milchwirtschaft in Deutschland eine Zukunft?


Holzner: Ja, gerade in Zeiten von aufeinander folgenden Krisen wird deutlich, wie wichtig eine unabhängige heimische Lebensmittelerzeugung ist und welchen Stellenwert die Landwirtschaft in Deutschland einnimmt.


Der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Raiffeisenverband und der Deutsche Milchindustrie-Verband haben die Studie in Auftrag gegeben. Was war konkret das Ziel?


Holzner: Ziel der Studie „Perspektiven der Milchproduktion und -verarbeitung in Deutschland bis 2030“ ist es, zu analysieren, welche Chancen und Risiken für Milcherzeuger sowie -verarbeiter in den nächsten Jahren bestehen. Da es sich um einen Ausblick in die Zukunft handelt, können wir keine genauen Prognosen treffen. Vielmehr wollen wir Entwicklungsmöglichkeiten für Betriebsleiter aufzeigen. Damit sollen sie die Auswirkungen der jeweiligen Faktoren besser bewerten und frühzeitig reagieren können.


An wen richtet sich die Studie?


Holzner: Zielgruppe der Studie sind Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen. Das betrifft landwirtschaftliche Betriebe, Politiker, Unternehmer der Wertschöpfungskette und Verbandsmitglieder.


Welche Einflussfaktoren haben Sie berücksichtigt?


Holzner: Wir haben uns auf die wesentlichen Einflussfaktoren der Milchwirtschaft fokussiert: Haltungs-, Nährstoff- und Gesundheitsmanagement, Klima/Moorflächen, Lebensmitteleinzelhandel (LEH)/Markt sowie alternative Proteine. Dabei haben wir sowohl die konventionelle als auch die biologische Wirtschaftsweise betrachtet.


Welche Faktoren sind Ihren Ergebnissen zufolge ein Risiko für die deutsche Milchwirtschaft?


Holzner: Die Düngeverordnung oder Meldungen beim Antibiotikaeinsatz verursachen einen höheren bürokratischen Aufwand. Auch CO2-Bilanzierungen, die Infos zur Klimawirkung der Milcherzeugung geben sollen, tragen zu einer höheren Arbeitsbelastung auf den Höfen bei. Die Forderungen des LEH wie bspw. die Haltungsformkennzeichnung beeinflussen die Milchwirtschaft ebenfalls stark. Hinzu kommt, dass mögliche Wiedervernässungen von Moorflächen Betriebe in ihrer Existenz bedrohen. Die gegenwärtigen Marktverwerfungen wirken sich ebenfalls sehr stark auf den Milchsektor aus. In Zukunft werden auch Faktoren, wie der wachsende Marktanteil von alternativen Proteinen, den Milchmarkt beeinflussen.


Gibt es auch Faktoren, die Chancen bieten?


Holzner: Ja, bspw. stärken Managementsysteme zur Verbesserung der Tiergesundheit die Zukunftsaussichten. Grundsätzlich trägt die Digitalisierung dazu bei, Arbeitsabläufe zu erleichtern. Chancen bieten auch Kooperationen, die im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit wichtig sind: Tierhalter, Ackerbauer und Energiewirte sollten näher zusammenrücken. Der Fokus muss auf einer Kreislaufwirtschaft liegen, indem klassische Mehrproduktbetriebe unterstützt werden. Diese Mehrproduktbetriebe sind vor allem in Krisenzeiten stark.


Welche Perspektive schreiben Sie in Ihrer Studie der Anbinde- und der Kombinationshaltung zu?


Holzner: Der Druck auf die Anbindehaltung wird in den nächsten Jahren zunehmen und den Strukturwandel weiter fortschreiten lassen. Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass ein typischer Betrieb mit Anbindehaltung mit Kosten von bis zu 13,6 ct/kg Milch rechnen muss, wenn er einen Laufstall bauen will, der Haltungsstufe 3 entspricht. Deshalb muss die Kombinationshaltung auch über das Jahr 2030 erhalten bleiben. Gerade in Berggebieten leisten diese Betriebe einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft. ▶


Welche Rolle spielt zukünftig die Weidehaltung – und warum?


Holzner: Wir gehen davon aus, dass die Weidehaltung trotz finanzieller Anreize nicht deutlich zunehmen wird. Nicht alle Betriebe haben die Möglichkeiten, diese Haltung umzusetzen. Fehlende Aufwüchse, lange Trockenphasen sowie die zunehmende Wolfspopulation erschweren zudem die Weidehaltung.


Welche Rolle wird der LEH laut Ihrer Studie zukünftig spielen, und welche die Direktvermarktung von Milch?


Holzner: Der Absatz über die Molkerei und den LEH wird der dominierende Weg bleiben. Wenige Akteure sind am Markt beteiligt und besitzen dadurch Oligopolstellung. Die Direktvermarktung wird eine Nische bleiben.


Wie beeinflussen Milchersatzprodukte den klassischen Kuhmilch-Markt in Zukunft?


Holzner: Milcherzeuger, wie auch -verarbeiter müssen für neue Produkte und Verfahren aufgeschlossen sein. Nur so lassen sich mögliche Chancen nutzen. Andernfalls können zukünftige Ersatzprodukte zu massiven Verwerfungen führen. Eine genaue Abschätzung ist gerade in diesem Bereich sehr schwer vorherzusagen. Mittel- bis langfristig werden Milchersatzprodukte definitiv eine Rolle spielen und den Absatz von Milchprodukten verringern.


Was sind der Studie zufolge die größten Herausforderungen, denen sich Milcherzeuger stellen müssen?


Holzner: Die größte Herausforderung stellt unserer Ansicht nach die fehlende Planungssicherheit für landwirtschaftliche Betriebe dar. Auch die Umsetzung der vielen Maßnahmen, um die Klimaziele zu erreichen, sind eine große Aufgabe. Zusätzlich sind weitere politische Vorgaben, wie die Novellierung der Düngeverordnung oder das neue Tierarzneimittelgesetz eine sehr große Herausforderung. Darüber hinaus steht die Landwirtschaft mit erneuerbaren Energien, Bebauungen, Wiedervernässung von Mooren in Konkurrenz um den Faktor Fläche.


Was empfehlen Sie Landwirten konkret, die auch zukünftig noch erfolgreich Milch erzeugen wollen?


Holzner: Sie müssen offen bleiben für zukünftige Entwicklungen und den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus richten. Ziel sollte sein, den Betrieb im Hinblick auf Einkommensdiversifizierungen zukunftsfähig weiterzuentwickeln und unternehmerisch zu handeln. Die heimische Lebensmittelproduktion hat einen hohen Stellenwert. Deswegen sollten Landwirte allen Mut für die Zukunft behalten, getreu dem Motto: „Proud to be a farmer!“


Was fordern Sie in dem Zusammenhang von der Politik?


Holzner: Politiker und Politikerinnen müssen den Fokus auf die heimische Lebensmittelerzeugung legen und den gesamten Sektor bei seinen Herausforderungen unterstützen. Die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssen sie im globalen Kontext betrachten. Eine Verlagerung unserer Lebensmittelproduktion ins Ausland hätte klimaschädliche Auswirkungen, denn dort sind die Standards wesentlich geringer.


Inwieweit haben die Ergebnisse Sie überrascht?


Holzner: Die Studienergebnisse haben uns nicht überrascht. Die genannten Herausforderungen und Trends waren in den letzten Jahren durch unsere Arbeit an der Hochschule bei den Studierenden bereits sichtbar. Natürlich wird diese Studie nicht die Welt verändern, aber wir möchten unseren Beitrag dazu leisten und aufmerksam machen. Jetzt können wir noch die richtigen Weichen stellen.


Sie selbst führen einen Milchviehbetrieb in Bayern. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie konkret für Ihren Hof aus der Studie?


Holzner: Wir sind ein klassischer Mehrproduktbetrieb und haben immer viele Ideen. Momentan konzentrieren wir uns auf den Bereich Tiergesundheit: Wir entwickeln das Herdenmanagement mit einem digitalen Gesundheitsmanagementsystem weiter. In diesem Zusammenhang stehen wir in engem Kontakt mit unserem Hoftierarzt und legen viel Wert auf eine kooperative Zusammenarbeit. Außerdem wollen wir den Betrieb weitestgehend energieautark aufstellen und eine eigene Wasserversorgung aufbauen.


Ihr Kontakt zur Redaktion:


kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com


Warum miR Das Thema Wichtig ist


„Das ist doch nichts Neues!“, habe ich beim ersten Lesen der Studienergebnisse gedacht. Aber: Für viele Menschen außerhalb unserer Agrarblase liegen all diese Zusammenhänge nicht (mehr) auf der Hand. Es ist wichtig, dass wir unser Umfeld immer wieder darauf aufmerksam machen, wie wichtig die heimische Landwirtschaft ist. Reden wir drüber!

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