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„Wir brauchen mindestens 5 €/m2“

Lesezeit: 6 Minuten

Für den Neubau einer Bundesstraße sollen Landwirte aus Oberschwaben enteignet werden. Denn mit überholten Flächenpreisen wollen sie sich nicht abspeisen lassen.


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Dass er seine Flächen einmal vor einer zehnköpfigen Kommission im Rathaus von Altshausen vor der Enteignung bewahren muss, hätte sich Landwirt Günter Schwegler vom Buchseehof in Fronreute (Lkr. Ravensburg) wohl auch in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. „Ich kam mir vor wie ein Angeklagter vor Gericht“, sagt er.


Im Dezember 2020 wurde in einer mehr als zweistündigen Sitzung die gesamte Auseinandersetzung, die Günter Schwegler gemeinsam mit anderen Berufskollegen seit 2015 mit dem Regierungspräsidium (RP) Tübingen führt, noch einmal im Detail aufgerollt. Zur Enteignung seiner 3ha Ackerfläche kam es zwar am Ende der Sitzung noch nicht, weitere mündliche Verhandlungen sind aber angekündigt. „Ich werde für mein Recht kämpfen und ziehe notfalls vors Verwaltungsgericht“, ist der Rinderhalter entschlossen.


Worum geht es?


Der Landwirt und seine rund 30 Mitstreiter möchten entweder mehr Geld oder Tauschflächen für die rund 12 ha, die sie für den 4 km langen Lückenschluss der B32 zwischen Altshausen und Vorsee auf der Gemarkung Wolpertswende bereits hergeben mussten. „Mit veralteten Verkehrswerten von 2,80€/m² für Grünland und 3,60 €/m² für Ackerland unabhängig von der Qualität der Flächen wollen wir uns nicht abspeisen lassen. Denn damit bekommen wir in erreichbarer Nähe keinen gleichwertigen Ersatz“, sagt Günter Schwegler. Er verliert von allen Eigentümern durch den neuen Straßenabschnitt die größte Fläche und gehört zum Sprecherkreis der eigens gegründeten Interessensgemeinschaft (IG).


gutachten erwirkt


Einen ersten Erfolg kann sie nach ihrem jahrelangen Streit mit dem RP verbuchen. Denn im Normalfall werden bei landwirtschaftlichen Grundstücken für den Verkehrswert die regelmäßig von der Kommune zu ermittelnden Bodenrichtwerte herangezogen und das hätte Preisen von nur 1,80 €/m² für Grünland und 2,40 €/m² für Ackerland entsprochen. Der Protest der IG führte jedoch dazu, dass das RP 2016 ein Verkehrswertgutachten durchführen ließ, das zu höheren Preisen führte. Dazu ziehen kommunale Gutachterausschüsse Kaufpreissammlungen des Landkreises heran. Laut Günter Schwegler liegen die Kaufpreise in der Region aktuell zwischen 2,10 bis 6,70 €/m². „Für Ersatzland müssen wir uns an dem orientieren, der den höheren Preis zu zahlen bereit ist und nicht am Durchschnitt. Deshalb brauchen wir mindestens 5 €“, fordert er.


Dass sich die Behörde seit dem zweiten Preisangebot nicht mehr bewegt, ist für ihn unverständlich. Schließlich habe er selbst schon 1996 für den Bau des B32-Anschlussstückes von Blitzenreute nach Vorsee für Grünland 3,60€/m² und Berufskollegen für die Umfahrung von Althausen für Ackerland 4,50€/m² erhalten. „In diesen mehr als 20 Jahren hat sich der Grundstücksmarkt doch weiter steil nach oben bewegt! Ohne einen eingebauten Preissteigerungsindex hinkt der Verkehrswert immer hinter dem aktuellen Marktwert her. Das ist nicht mehr zeitgemäß.“


Das RP Tübingen teilt auf Anfrage mit, dass damals nur einzelne, besondere Flächen, z.B. am Ortsrand, mit einem höheren Verkehrswert entschädigt worden seien, aber nicht alle pauschal. Dass die Behörde den Bauern kurz nach dem Planfeststellungsbeschluss und zu Beginn der Preisverhandlungen schon mit der Enteignung ihrer Flächen drohte, stachelte sie erst recht an, nicht nachzugeben. „Ich schaue nicht tatenlos zu, wenn meine besten Schläge zu einem Spottpreis zu Ausgleichsflächen werden sollen!“, ist Günter Schwegler entschlossen und zieht alle Register.


Sein Antrag auf Existenzgefährdung 2018 durch den Flächenentzug fiel knapp negativ aus: „Das Gutachten hat meinem Betrieb zwar eine bescheidene Existenzfähigkeit attestiert, aber letztlich keine Gefährdung.“ Wäre das der Fall gewesen, hätte das Land Baden-Württemberg ihm Tauschflächen anbieten müssen. So kam letztlich trotz mehrerer Vorschläge aus verschiedenen Gründen kein Flächentausch zustande. „Entweder waren die angebotenen Flächen zu weit weg oder es handelte sich um Grünland das mit der Auflage verbunden war, die Grunderwerbssteuer und sämtliche Nebenkosten zu übernehmen. Dazu bin ich nicht bereit“, sagt Schwegler.


Für einen Ausgleich über Ökopunkte war es schon zu spät. Diese Möglichkeit hätte man bereits im Planfeststellungsbeschluss 2014 als Kompensationsmaßnahme festlegen müssen. Später sei das laut RP nicht mehr möglich. Und auch die beiden Petitionen, die die Eigentümer im Landtag einreichten, blieben am Ende erfolglos.


Wurden Fehler gemacht?


Damit die Straße trotz der jahrelangen Uneinigkeit mit den Eigentümern gebaut werden kann, hat das Land die Flächen zwar ab 2016 nach und nach in seinen „Besitz eingewiesen“. Allein Günter Schwegler hat vier solcher sogenannter Besitzeinweisungsverfahren hinter sich. Die Straße ist inzwischen fertig und wird seit Ende 2019 befahren. Einige Eigentümer haben das Preisangebot des RP angenommen und ihre Flächen an das Land verkauft. Den Unbeugsamen, zu denen auch Nebenerwerbslandwirt Eberhard Sigloch aus Altshausen zählt, steht jetzt die Enteignung bevor.


„Wir hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass wir nach dem Planfeststellungsbeschluss 2014 in freier Verhandlung vernünftig entschädigt werden. Stattdessen hätten wir die Planungen gleich zu Beginn des Verfahrens 2010 mit Einwänden und Gutachten zur Existenzgefährdung blockieren sollen“, sagen die Bauern im Rückblick. Und das, obwohl alle nach wie vor die neue Straße zur Entlastung der Region befürworten.


Das sieht auch Schweglers Rechtsanwalt Martin Glöggler aus Biberach so: „Sobald ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorliegt, ist kaum noch etwas zu ändern.“ Danach laufe der Prozess rein nach den gesetzlichen Vorgaben ab.


Wie geht es jetzt weiter?


Der Jurist lässt dennoch nichts unversucht: „Wir wollen bei der anstehenden Festlegung der Entschädigung durch die Enteignungskommission beantragen, dass die 2015 per Verkehrswertgutachten ermittelten Grundstückspreise heute neu bewertet werden.“ Außerdem plant er einen Antrag auf eine aktuelle Überprüfung des Gutachtens zur Existenzgefährdung des Betriebes Schwegler zu stellen.


Auch die Landwirte halten unbeirrt an ihrem Ziel fest. „Wir wollen entweder attraktive Flächen im Tausch oder bessere Preise“, sagen sie. Außerdem müsse das Land ihnen bis zur endgültigen Entscheidung den entstandenen Ertragsausfall seit Wegnahme der Flächen entschädigen. Für die Eigentümer ist die Haltung des RP unverständlich: „Dass die Straße mit rund 23 Mio. € um 9 Mio. € teurer wurde, als ursprünglich geplant, nimmt das Land hin. Aber unsere Forderung, die die Gesamtkosten um maximal 1% erhöhen würde, akzeptiert es nicht.“ Vielmehr würden jetzt allein durch aufwendige Enteignungsverfahren immense Kosten verursacht.


Für das RP ist indessen noch nichts entschieden: Man strebe mit den Betroffenen weiterhin und trotz laufendem Enteignungsverfahren eine gütliche Einigung über den Grunderwerb an, teilt Sprecher Dirk Abel auf Anfrage mit. Die Enteignungsbehörde habe laut Gesetz sogar auf eine Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken.


Ob das unter Umständen auch ein höheres Kaufpreisangebot an die Bauern bedeute, ließ er offen. Von der Enteignung als letztem Mittel habe man in ähnlichen Fällen bisher keinen Gebrauch gemacht. Bleibt Günter Schwegler standhaft, könnte sein Fall also noch zum Präzedenzfall werden.


silvia.lehnert@topagrar.com

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