Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Agrarantrag 2024 Maisaussaat Erster Schnitt 2024

topplus Gastbeitrag

Ist die Jagd systemrelevant?

Die meisten Jäger jagen in ihrer Freizeit, manche bezeichnen sie daher eher verächtlich als Hobby-Jäger. Was ist dran an der Aussage, dass das Waidwerk für die meisten Jäger nur Hobby ist?

Lesezeit: 7 Minuten

Nicole Heitzig, Präsidentin des Landesjagdverbandes NRW, macht sich Gedanken zur Systemrelevanz der Jagd. Der Beitrag ist zuerst erschienen im Rheinisch-Westfälischen Jäger 6/2021.

Jagd ist für die meisten Jäger Leidenschaft, sie investieren dafür viel Zeit und Geld. Ohne ihre Leidenschaft und den hohen persönlichen und finanziellen Aufwand wären die Aufgaben der Jagd wohl unbezahlbar. Die Jagd ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.

Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

In Zeiten wie diesen, in denen eine Pandemie unser Leben seit über einem Jahr stark einschränkt, fällt immer wieder der Begriff systemrelevant. Laut Definition werden damit Unternehmen oder Berufe bezeichnet, die „eine derart bedeutende volkswirtschaftliche oder infrastrukturelle Rolle spielen, dass ihre Dienstleistung besonders geschützt werden muss“.

Wie steht es da also um die Jagd – ist sie eine Dienstleistung, hat sie eine bedeutende volkswirtschaftliche oder infrastrukturelle Bedeutung, oder wäre es denkbar, damit einfach mal auszusetzen?

Keine Zweifel möglich

Jagd hat nach den berühmten ersten Sätzen des Bundesjagdgesetzes den Auftrag, einen den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten gesunden und artenreichen Wildbestand sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zu erhalten – und zwar unter Vermeidung von Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung. Besonders Wildschäden sind möglichst zu vermeiden.

Um diesem umfassenden Auftrag nachzukommen, bedarf es schon einer durchdachten Planung. Die liegt zwar im persönlichen Ermessen der jeweiligen Jagdausübungsberechtigten, aber stets in enger Abstimmung mit den Eigentümern der Flächen und im Rahmen ggf. bestehender gesetzlicher und behördlicher Vorgaben. Auf wildschadenanfälligen land- und forstwirtschaftlichen Flächen spielen langfristige Bewirtschaftungs- und Bejagungskonzepte eine große Rolle.

So hätte etwa eine Aussetzung der Bejagung von wiederkäuendem Schalenwild in unseren von Stürmen, Käfern und Trockenheit stark gebeutelten Wäldern fatale Folgen: Der Verbiss würde zunehmen, ohne eine schwerpunktmäßige Bejagung der Kahlflächen würde eine standortgerechte Wiederbewaldung sehr lange dauern oder unmöglich gemacht werden. Das Ziel der Wiederaufforstung – ein (an Pflanzen und Tieren !) artenreicher und möglichst klimaresistenter Mischwald – wäre gefährdet.

Auch auf landwirtschaftlichen Flächen nehmen Schäden durch Sauen in manchen Regionen stetig zu. Um Schwarzwild effektiv zu bejagen, bedarf es umfassender Konzepte – mit Einzeljagd (häufig zur Nachtzeit) an gefährdeten Flächen und Kirrungen und Bewegungsjagden mit Hundeeinsatz. Steht eine solche lang im Voraus geplante Bewegungsjagd an und das Wetter ist am fraglichen Tag schlecht, kalt und regnerisch, bleibt kein rechter Jäger oder Hundeführer zu Hause vor dem Ofen. Wir kommen unserem Auftrag nach, egal wie ungemütlich solche Tage auch sind.

Hinzu kommen Schäden durch drohende und bereits ausgebrochene Wildkrankheiten. Aufgrund der ASP spielen Seuchenbekämpfung bzw. Vorbeugung bei der Sauenbejagung inzwischen eine große Rolle. Die Bestände müssen dauerhaft reduziert werden, um im Falle des Ausbruchs umfassende Seuchenzüge zu vermeiden. Die Auswirkungen bedrohen nicht nur das Wild, sondern auch Nutztierbestände, die Wirtschaft und den Menschen. Im Falle eines Ausbruchs müssen lokale Hausschweinbestände gekeult werden oder dürfen nicht mehr in den Verkehr gebracht werden.

Zudem drohen Exportbeschränkungen, Jagd- und Ernteverbote und viele weitreichende Einschränkungen für die Menschen in den Kerngebieten.

Ausbrüche von Krankheiten wie Vogelgrippe, Geflügelpest, Staupe, Tuberkulose oder ganz aktuell Tularämie bedürfen dringend eines jagdlichen Handelns, auch die Tollwut könnte jederzeit wieder auftreten. Jäger sind ausgebildet und staatlich geprüft, um gesundheitliche Veränderungen an lebendem oder totem Wild zu erkennen und an die Behörden zu melden. Durch aufmerksame Beobachtungen in Wald und Flur übernehmen sie eine wichtige Kontrollfunktion.

Jäger sorgen hierzulande für ein flächendeckendes, umfassendes Wildtier-Monitoring. Diese Erhebungen dienen nicht nur zur Feststellung von Beständen und frühzeitiger Erkennung der Warnzeichen, wenn Arten im Bestand bedroht sind, sondern auch und gerade zur Warnung der Bevölkerung vor Seuchenzügen und dem Umsetzen von Präventionsmaßnahmen. Durch Wildbestandsreduktion kann eine Krankheitsverbreitung vermieden werden. Durch gezielte Hegemaßnahmen können bedrohte Bestände zudem geschützt und gefördert werden. Ohne Kontrolle und Bejagung hingegen sind nicht nur Wildbestände, sondern der Mensch und seine Haus- und Nutztiere gefährdet.

Jagdlicher Einsatz ist aber auch im Straßenverkehr unverzichtbar. Wildunfälle passieren täglich und resultieren daraus, dass sich Wild seine Lebensräume mit uns teilen muss und wir diese durch ein Straßen- und Schienennetz immer mehr zerteilen. Bei Wildunfällen wird durch die Polizei der örtlich zuständige Jagdausübungsberechtigte kontaktiert und unverzüglich dafür Sorge tragen, dass eine Nachsuche stattfindet oder das verendete Tier geborgen und ordentlich entsorgt wird. Unabhängig von Tagesoder Nachtzeit, an Sonn- und Feiertagen – also rund um die Uhr – haben wir den Auftrag, krankes Wild nachzusuchen und zu erlösen. Dies ergibt sich nicht aus dem im Grundgesetz verankerten Staatsziel Tierschutz, sondern ist jedem Jäger ein ganz persönliches Anliegen aus ethischem und moralischem Empfinden.

Weiterhin helfen Jäger Landwirten, vor der Mahd ihrer Verpflichtung nachzukommen, Jungwild, das in den Wiesen liegt, aufzuspüren und vor dem grausamen Mähtod zu retten. Für die Kitzrettung mit Drohnen ist ein zeitiges Handeln in den frühen Morgenstunden erforderlich. Da Kitze mit Thermografie von Wärmebildkameras aufgespürt werden, wird ein deutlicher Temperaturunterschied zwischen dem Kitz und der noch von der Nacht kühlen und feuchten Wiese benötigt. Sobald die Sonne die Wiese aufgewärmt hat, wird es schwierig bis unmöglich, Kitze noch zu finden. Zudem beginnt dann auch die Mahd. Dafür muss immer ein Team aus Drohnen-Pilot und Helfern aktiv werden.

All dies vor Augen, steht es uns Jägern nicht frei, zu erlegen, was und wie viel wir wollen oder die Jagd einfach ruhen zu lassen. Wir haben gesetzliche Aufgaben zu erfüllen, Jagdzeiten und zum Teil auch Abschusspläne zu beachten. Und wir haften für entstandene Wildschäden.

Im Falle einer behördlich angeordneten Zwangspause könnte vielerorts der erforderliche Abschuss nicht mehr erreicht werden und Wildschäden nicht mehr verhindert oder auf ein erträgliches Maß minimiert werden. Das Prinzip, nach dem Jagdausübungsberechtigte für Wildschäden in ihrem Revier haften, kann sicher nicht mehr gelten, wenn eine effektive Bejagung über Wochen oder Monate verwehrt würde.

Wenn also die Jagd zur Nachtzeit aufgrund von Ausgangssperren verboten würde, könnte man nach vertretbarer Rechtsauffassung auch nicht mehr für nachts entstandene Schäden zur Kasse gebeten werden.

Wer aber kommt dann dafür auf ? Die Vermeidung von Wildschäden ist ein wesentlicher Auftrag der Gesellschaft an uns Jäger und dient der Sicherung der Lebensmittel- und Holzproduktion.

Fazit – Jagd ist kein Hobby! Sie erfüllt verantwortungsvolle Aufgaben der Gesellschaft, ist also systemrelevant.

Für Freude an der Trophäe rechtfertigen wir uns nicht!

Der Einwand, viele Jäger betonten auch den Erholungswert und Genuss in der Natur, lässt keine anderen Schlüsse zu, auch besondere Jagderlebnisse auf einen starken Bock oder kapitalen Hirsch ändern nichts an der Systemrelevanz.

Der einzelne Abschuss eines Trophäenträgers ist immer nur ein Teil vom Ganzen, wer ganzjährig fleißig jagt, in ausreichender, den Revierstrukturen angemessener Zahl Sauen und Rehe erlegt, darf sich auch an der Blattjagd erfreuen und muss sich für die Trophäe eines kapitalen Bocks nicht rechtfertigen !

Die Freude an der Jagd, einem besonderen Abschuss, die Leidenschaft, die wir verspüren, wenn’s raus geht, schmälert nicht die Systemrelevanz der Jagd als Ganzes.

Jagdliche Erfordernisse bestehen und liegen auf der Hand – egal ob für Freizeitjäger mit Leidenschaft ehrenamtlich oder Berufsjäger und Förster mit genauso viel Leidenschaft und Freude am Beruf.

Richtig und verantwortungsvoll ausgeübte Jagd erfordert jedenfalls in einer Vielzahl von Bereichen ein zeitlich uneingeschränktes Handeln, das auch eine Ausnahme von angeordneten Ausgangssperren rechtfertigt.

Dass Jäger sich dabei an alle nötigen Hygieneregeln und -maßnahmen halten, ist selbstverständlich.

Hinweis: Gastkommentare geben nicht in allen Bereichen die Meinung der Redaktion wieder. Wir veröffentlichen sie dann, wenn wir sie für einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft halten. Wie stehen Sie dazu? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar unten.

Die Redaktion empfiehlt

top + Das Abo, das sich rechnet: 3 Monate top agrar Digital für 9,90€

Unbegrenzter Zugang zu allen Artikeln, Preis- & Marktdaten uvm.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.