Der Verkauf von laktosefreien Lebensmitteln boomt. War Milch ohne Milchzucker früher irgendwo unten im Kühlregal des Supermarktes, steht sie heute als Premium-Lifestyleprodukt auf Augenhöhe, der Liter Minus-Milch für 1,65 Euro.
Das Geschäft mit dem Laktose-Wahn läuft und läuft, bemerkte kürzlich auch das Magazin STERN. Seit 2007 habe sich die verkaufte Menge um mehr als 300 % gesteigert. Insgesamt setzte der Handel im vergangenen Jahr 307 Mio. Euro mit von Milchzucker befreiten Lebensmitteln um. Die Zahl der Verbraucher wachse seit Langem zweistellig. Der einstige Ladenhüter sei heute Trendartikel.
Vorreiter Omira dick im MinusL-Geschäft
Die Ravensburger Molkerei Omira war die erste, die das Potenzial erkannte. Im Jahr 2001, als selbst unter Medizinern Laktoseintoleranz weitgehend unbekannt war, brachte Omira die erste MinusL-Milch auf den Markt. "Wir haben viel experimentiert. Bis heute ist es ein streng gehütetes Betriebsgeheimnis, wie viel des natürlichen Enzyms Laktase wir der Milch zusetzen müssen, damit sie schmeckt und trotzdem frei von Milchzucker ist – noch nicht mal ich kenne es", sagt Sabine Kramer, Produktmanagerin der MinusL-Produktlinie.
Dass die Flüssigkeit anfangs bräunlich aussah und etwas süßlicher schmeckte als normale Milch, nahmen die Betroffenen in Kauf. Sie freuten sich, überhaupt eine Alternative zu haben, bedankten sich, riefen in Ravensburg an, schickten Briefe und Mails, wünschten sich weitere Produkte.
Mittlerweile gibt es unter der Dachmarke MinusL mehr als 80 unterschiedliche Lebensmittel: Milchreis, Schoko- und Erdbeereis, Frischkäse, Mozzarella, Tiefkühlpizza bis hin zu Weihnachtsmännern und jetzt bald wieder Osterhasen. Alles, was sie bei Omira nicht selbst können, stellen sie zusammen mit Partnerunternehmen her, berichtet der STERN weiter. Noch sind die Ravensburger Marktführer, aber längst hätten auch Weihenstephan oder Landliebe erkannt, wie lukrativ das "Frei von"-Geschäft ist. Schließlich seien Preisaufschläge von bis zu hundert Prozent möglich. Selbst Aldi und Lidl hätten ihre eigenen laktosefreien Handelsmarken, so das Magazin.
Die meisten Käufer sind gesund!
Kurios: Die Kunden würden zugreifen, auch wenn gar keine Unverträglichkeit nachgewiesen sei. Die Gesellschaft für Konsumforschung schätzt ihre Zahl auf 80 %! Tatsächlich sind die Surrogate für viele eher ein Lifestyleprodukt. Auch wenn sie dafür tiefer in die Tasche greifen müssen, am Ende siegt die Autosuggestion, dass es der eigenen Gesundheit diene.
"Die Hersteller vermitteln dem Verbraucher gerne das Gefühl, laktosefrei sei grundsätzlich etwas Gutes", sagt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Doch für gesunde Menschen haben die Produkte keinen Zusatznutzen. Wer nicht krank ist, sollte eigentlich nicht essen wie ein Kranker. Die Allergieexpertin Julia Weißkirchen rät sogar weniger schwer Betroffenen davon ab, bei der Ernährung komplett auf Laktose zu verzichten: "Es ist gut, die gerade noch vertragene Milchzuckermenge auch weiterhin zu sich zu nehmen, sonst sinkt der Schwellenwert weiter."