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Lothar: Mehr Natur wagen

Der Orkan Lothar hat im Revier Gengenbach, Schwarzwald, das Lebenswerk des alten Försters ­zerstört – unmittelbar vor dessen Pensionierung. Sein Nachfolger setzt heute auch auf die Kräfte der Natur und fördert bewusst Freiflächen in den einst dichten Wäldern.

Lesezeit: 5 Minuten

Der Orkan Lothar hat im Revier Gengenbach, Schwarzwald, das Lebenswerk des alten Försters ­zerstört – unmittelbar vor dessen Pensionierung. Sein Nachfolger setzt heute auch auf die Kräfte der Natur und fördert bewusst Freiflächen in den einst dichten Wäldern.


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Nach knapp 15 Minuten Fußmarsch kommen wir am Aussichtsturm an. Er ist umgeben von einer lockeren Bewaldung mit einigen Freiflächen. Das ist durchaus so gewollt, denn in der Gegend ist das überaus seltene Auerwild noch heimisch – und das braucht offene Landschaften.

Von oben hat man eine schöne Rundumsicht über die Vorgebirgszone des Schwarzwaldes. Und mit etwas geübtem Auge erkennt man an den Süd-West-Hängen, wie stark der Orkan Lothar am 26.12.1999 gewesen sein muss. Förster Matthias Saecker (50) ist Leiter des Reviers Moosbach mit 2 450 ha Staatswald um Berghaupten, Baden- Württemberg. Er hat seine Stelle im Ortenaukreis am ersten Februar 2000 angetreten, also nur einen Monat nachdem einer der stärksten Stürme in der jüngeren Geschichte Deutschlands mit bis zu 200 km/h Windgeschwindigkeit hier 600 ha Wald angerissen oder komplett zerstört hatte.


Zerstörtes Lebenswerk:Für Matthias Saeckers Vorgänger, der im damals noch deutlich kleineren Revier fast jeden Baum kannte, war das eine persönliche Katastrophe. Zum Ende seiner Karriere lag ihm quasi sein Lebenswerk vor den Füßen. Am Aussichtsturm zeigt uns Förster Saecker ein Bild: Der Turm steht noch als einzige Landmarke inmitten eines komplett niedergewalzten Waldes. Früher war er umringt von hohen, dichten Fichtenbeständen. An den Hängen hat der Sturm alles umgelegt – egal ob Nadel- oder Laubwald.

Für Matthias Saecker ging es nach seinem Antritt zunächst darum, die Ärmel hochzukrempeln und die Schäden zu beseitigen: „Wir hatten einmal in der Woche Teambesprechungen in der Region. Da saßen 20 Verantwortliche von Privat-, Kommunal- und Staatswald ­zusammen – die Reviergrenzen waren quasi aufgehoben, alle haben sich gegenseitig geholfen. Und wir wurden ­unterstützt von Förstern aus anderen Regionen.“


Wichtig war vor allem die Holzvermarktung. Aber nach dem Sturm fiel der Holzpreis rasant – allein in Baden-Württemberg lagen 40 Millionen Festmeter Stammholz am Boden. Mehrere Nasslager mussten eingerichtet werden, um das Holz für den späteren Verkauf zu konservieren. Allein im benachbarten Gegenbach lagerten an einem Platz 250 000 fm, erinnert sich Matthias Saecker.

Kapazitäten von Forstunternehmern waren extrem knapp. Es ging um Harvester, Seilkrananlagen für die Steil­lagen und um Transportkapazitäten. Zunächst mussten die Wege geräumt und ausgebaut werden. Der Schotter stammte aus einem alten Steinbruch im Revier, den man kurzerhand mit mobilen Brecheranlagen wieder in Betrieb nahm.


Dann hatten Käferholz bzw. Einzelwürfe Priorität. Erst danach arbeiteten sich die Teams blockweise durch die großen Windwurfflächen. Das Stammholz ließ sich noch gut nutzen, es gab verhältnismäßig wenig Bruchholz. Das Aufräumen dauerte schließlich rund anderthalb Jahre.


Gezielte Wiederbewaldung: Gleichzeitig starteten die Planungen für die Wiederbewaldung. Insgesamt wurden in Matthias Saeckers Revier immerhin 90 Einzelflächen identifiziert. Über die Forsteinrichtung im Staatswald hat man die Flächen zunächst feinkartiert und dann die Maßnahmen festgelegt: pflanzen, nutzen vorhandener Naturverjüngung oder vertrauen auf die natürliche Sukzession?

Nach der Bestandsaufnahme entschied man sich, etwa die Hälfte der Mooswalder Sturmfläche der Naturverjüngung und Sukzession zu überlassen und auf den anderen rund 300 ha zu pflanzen.


Es entstanden hier in gut fünf Jahren 60 % Mischbestände mit Nadelholzanteil (Fichte und vor allem Douglasie) sowie rund 20 bis 30 % reine Laubholzwälder (vor allem Buche). Alles wurde von Hand wurzelnackt gepflanzt. Eine wichtige Lehre für Matthias Saecker ist, beim Pflanzen möglichst präzise in geraden Reihen zu arbeiten. Denn der spätere Pflegeaufwand war enorm, und gerade Reihen in exakten Abständen lassen sich besser finden. Vor allem Ginster, Brombeere und Adlerfarn machten den jungen Bäumen starke Konkurrenz.

Bei der Pflege setzten die Schwarzwälder vor allem auf die Heppe bzw. auf die Kultursichel – normalerweise nur direkt um den Baum herum. Beim Adlerfarn mussten die Forstleute großflächiger arbeiten, bei Schnee erdrückt er sonst alles unter sich. Die sorgfältige Kulturpflege hält Matthias Saecker für enorm wichtig: „Was wir damals nicht geschafft haben, verfolgt uns noch bis heute!“


Pflege mit Anspruch: Sehr anspruchsvoll war auch die Pflege der Naturverjüngung nach sieben bis acht Jahren: Hier musste die Stammzahl oft von mehr als 10 000 Einzelbäumen runter auf 3 000 pro ha. Matthias Saecker gab den Kolonnen ein grobes Raster von ca. 2,50 x 2,50 m Abstand und die angestrebten Prozentanteile der einzelnen Baumarten (schematische Pflege). Die Waldarbeiter entschieden dann auf der Fläche selbst, welche Bäume sie stehen ließen. Das setzt einen genauen Arbeitsauftrag und geschultes Personal voraus.

Und heute? In den nächsten fünf Jahren stehen Durchforstungen auf den Lothar-Flächen an. Dazu muss noch die Feinerschließung für die maschinelle Holzernte durchgeführt werden. Durch die intensive Pflege und weniger dichte Bestände war der Zuwachs der Bestände ordentlich. Matthias Saecker ist durchaus optimistisch, dass der Holzertrag die Durchforstungskosten deckt.

Die Erfahrungen in der Zeit nach ­Lothar haben Matthias Saeckers forst­liches Selbstverständnis beeinflusst. Er bevorzugt heute praxisnahes, naturnahes Wirtschaften. Der Staatswald ist dabei nicht nur Wirtschaftswald. Manches kann man hier durchaus auch der Natur überlassen. So wie die Wiederbewaldung rund um den Aussichtsturm.

Seit einiger Zeit führt Matthias Saecker sogar wieder kleinere Kahlhiebe bis etwa einem halben Hektar aus, die danach nicht wieder bepflanzt werden. Das geschieht – unter anderem in Absprache mit den Zertifizierungsstellen von FSC und PEFC – im Rahmen des Auerwild-Programms.

Auf der einen Seite also Durchfors- tung der Lothar-Flächen mit dem Harvester, auf der anderen Sukzession auf neu geschaffenen Kahlflächen – das ist kein Widerspruch für Förster Matthias Saecker. Dass er dabei in der richtigen Richtung unterwegs ist, sehen wir zum Schluss unseres Revierbesuchs: An gleich zwei Stellen laufen uns die extrem seltenen Auerhennen direkt über den Weg.



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