Ein Streitpunkt von Prof. Dr. Michael Rosenberger, Theologe, Katholische Privat-Universität Linz:
Viele der derzeitigen Haltungsbedingungen sind […] in wesentlichen Teilen nicht zukunftsfähig [...]. Die Landwirtschaft wird sich darauf einstellen müssen, dass die Tierhaltung, bei allem politischen ‚Auf und Ab‘ dieses Themas, mittel- bis langfristig deutlich mehr Tierwohl gewährleisten muss.“
Das schrieb 2015 nicht eine Aktionsgruppe der Tierrechtsbewegung, sondern der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“. Auch im christlichen Bereich hat dieses Gutachten viel Anklang gefunden.
Aus christlicher Sicht sind Tiere von Gott geliebte Mitgeschöpfe des Menschen (Gen 1–2) und gemeinsam mit diesem Bundesgenossen Gottes (Gen 9). Lebensräume und Ressourcen der Erde sind Mensch und Tier gemeinsam anvertraut, um sie miteinander zu teilen. Damit dieses Teilen fair vonstatten geht, wird dem Menschen die Verantwortung zugewiesen, als Gottes Bevollmächtigter auf Erden für Gerechtigkeit zu sorgen.
Nur wenn er dies tut, ist er „Ebenbild Gottes“ (Gen 1,27). Folgerichtig enthält die Bibel eine Vielzahl an Vorschriften, die das Wohlergehen der Nutztiere wie der Wildtiere unter den damaligen Lebensbedingungen sichern.
Gerechtigkeit ist kein fertiges Konzept, sondern bestimmt sich jeweils aus Verhältnismäßigkeiten. Solange der Mensch selbst ums Überleben kämpfen musste, konnte er auch den Tieren wenig geben. Heute aber leben die meisten Menschen Europas in einem nie dagewesenen Wohlstand. Das verändert das Verhältnis von Mensch und Tier.
Die Tiere gerecht zu behandeln heißt also, ihnen von unserem Wohlstand einen angemessenen Anteil zu geben – so wie den benachteiligten Menschen der Gesellschaft.
Vor einigen Jahren hat die deutsche Bundesregierung einen Mindestlohn für arbeitende Menschen eingeführt. Das war ein großer Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit. Jetzt ist es an der Zeit, über einen Mindestlohn für Tiere nachzudenken.
Denn Landwirtinnen und Landwirte können den Tieren nur dann ein besseres Leben ermöglichen, wenn es ihnen finanziell abgegolten wird – durch Förderungen, vor allem aber über höhere Lebensmittelpreise. Für das Wohl der Tiere tragen alle gemeinsam Verantwortung: Landwirtschaft, Politik, Handel, Verbraucherinnen und Verbraucher.
top agrar-Rubrik "Der Blick von außen"
Dieser Text stammt aus der Rubrik "Der Blick von außen", die jeden Monat in der top agrar-Heftausgabe erscheint. Der Streitpunkt zeigt, wie die Landwirtschaft von außen gesehen wird und ist nicht die Meinung der Redaktion. Wie stehen Sie dazu? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar unten.