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EU-Waldstrategie sorgt für Alarmstufe Rot

Gerade erst wurde die EU-Waldstrategie 2030 veröffentlicht. Es dauerte nicht lange, bis es heftige Reaktionen der forstlichen Interessensvertreter hagelte. Was sind die Gründe dafür?

Lesezeit: 7 Minuten

Unser Autor: Stefan Zwettler, Leiter der ­Abteilung Forst und Energie, Landwirtschafts-kammer Steiermark

Die EU will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Die klima- und umweltbezogenen Herausforderungen verlangen ein dringendes und ambitioniertes Vorgehen, so das Credo der EU-Kommission. Mit dem „Green Deal“, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 veröffentlicht hat, wurde für Europa ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel eingeläutet. Ziel ist eine neue Wachstumsstrategie, die eine ressourceneffiziente, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft generiert und den Wohlstand der Gesellschaft sicherstellt.

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Nach der EU-Waldstrategie 2030 wird den Mitgliedstaaten die Waldkompetenz völlig entzogen.

Fahrplan: Ab 2035 klimaneutral

Der Fahrplan dazu sieht für den Sektor Land- und Forstwirtschaft inklusive der Bioenergie die Klimaneutralität ab 2035 vor. Im Rahmen dessen wurde u.a. auch eine neue EU-Waldstrategie 2030 veröffentlicht – und das trotz heftiger Reaktionen der forstlichen Interessensvertretungen, einiger Mitgliedstaaten und EU-Parlamentarier. Nun schrillen bei den Waldbewirtschaftern die Alarmglocken.

Die vorgesehenen Maßnahmen lassen eine massive Einschränkung der Wald- und Holzwirtschaft befürchten. Denn das primäre Ziel der EU liegt darin, die Holznutzung in Europa erheblich einzuschränken. Im Vordergrund steht die Kohlenstoffspeicherung im Wald und der Schutz der Biodiversität. Dies soll unter anderem durch großflächige Außer-Nutzung-Stellungen erreicht werden.

Da die bisherige Praxis der Waldbewirtschaftung laut EU-Kommission als nicht zukunftsfähig zu werten ist, bedürfe es eines weitgehenden Umdenkens. Dafür hat man durch einen so genannten delegierten Rechtsakt die Maxime der Subsidiarität umgangen. Die räumt den Mitgliedstaaten normalerweise größtmögliche Selbstbestimmung und Eigenverantwortung ein.

In der Folge werden die Mitgliedstaaten in ihrer Forstkompetenz beschnitten und entmachtet. Eine Konsultation der Strategie, etwa über den ständigen EU-Forstausschuss, hat nicht stattgefunden. Es ist zu befürchten, dass durch diese bedenkliche Vorgehensweise auch der wichtige Pan-Europäische Forstministerprozess gefährdet wird. Neben Österreich sprechen sich nun weitere EU-Staaten für eine intensive Debatte über die von der EU-Kommission vorgelegte Waldstrategie aus.

Nur eine Strategie?

Auf den ersten Blick scheint es, dass die neue EU-Waldstrategie 2030 keine rechtsverbindliche Politik, sondern nur eine Ausrichtung oder einen ambitionierten Vorschlag darstellt. Dem ist aber nicht so. Die EU-Kommission hat die Befugnis, Änderungen oder Ergänzungen von Rechtsvorschriften vorzunehmen. Parlament und Rat können eine Übertragung der Befugnis zwar widerrufen, doch braucht es dazu qualifizierte Mehrheiten. Dazu kommt, dass die Waldstrategie in einen Rahmen weiterer verbindlicher Rechtsmaterien eingebettet ist. Erwähnt sei die „LULUCF- Verordnung“ (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft). Diese sieht bereits heute eine Deckelung der Holznutzung mit rund 20 Mio. Festmeter pro Jahr für Österreich vor. Die so genannte „Taxonomie-Verordnung“ legt darüber hinaus Kriterien fest, wann eine Wirtschaftstätigkeit ökologisch nachhaltig ist.

Im November 2020 sorgte bereits eine von Greenpeace Deutschland vorgelegte Broschüre unter dem Titel „The future of forests in the European Union“ für Aufsehen. Darin wird festgestellt, dass durch eine Reduktion des Holzeinschlages auf 50 % des Zuwachses in Europa die jährliche CO2 Bindung der Wälder verdoppelt werden könnte. Wörtlich heißt es, dass durch einen Ausstieg aus der Frischholzverbrennung und durch einen geringeren Verbrauch an kurzlebigen Produkten, wie z. B. Papier, eine geringere Holzernte möglich sei. Diese ideologische Argumentation entbehrt jedem wissenschaftlichen Anspruch. Sie findet sich aber inhaltlich in der neuen EU-Waldstrategie wieder.

Völlig unpraktikable Kriterien

Neben den Einschränkungen der Holznutzung sollen vollkommen unpraktikable Nachhaltigkeitskriterien für Biomasse eingeführt werden. Dabei geht es um die genaue Festlegung der erlaubten Qualitäten, Holzarten, Holzdurchmesser etc. Zur Umsetzung einer ordnungspolitischen Stofflenkung ist ein weiterer delegierter Rechtsakt vorgesehen!

Ein starrer Kaskadenzwang, der die energetische Nutzung erst nach Durchlauf aller möglichen stofflichen Verwertungsmöglichkeiten vorsieht, würde sich nachteilig auf die gesamte Wertschöpfungskette Holz auswirken. Abgesehen davon ist dieses Prinzip nicht administrierbar und massive Marktverwerfungen wären die Folge. Der hohe Anteil an erneuerbarer Energie durch die nachhaltige Bioenergienutzung würde durch Reglementierung nicht nur in Österreich das Erreichen der Klimaziele extrem gefährden.

Zum Schutz der europäischen Wälder müssen in Zukunft biodiversitätsfreundliche Waldbewirtschaftungsmethoden zur Anwendung kommen. Für eine adaptive Waldrestaurierung steht ein bunter Mix an Maßnahmen auf der Agenda. Primär- und Auwälder sollen einen besonderen Schutzstatus erhalten.

Weiters sieht die Waldstrategie 30 % der Landfläche im Schutzregime vor, 10 % davon sind einem strengen Schutz unterstellt. Im Wirtschaftswald sind Außer-Nutzung-Stellungen von Flächen vorgesehen. Eine ausreichende Menge von Totholz sind Teil der Strategie. Kahlhiebe und die Holznutzung während der Brutzeit von Vögeln werden verboten. Der Einsatz überschwerer Maschinen zum Schutz des Bodens ist zu vermeiden. Zur Überwachung der EU-Waldplanung sind Screening-­Ins­trumente vorgesehen. Benchmarks, Schwellenwerte und Indikatoren geben dann Auskunft über die verbindliche Einhaltung vorgegebener Zielwerte zur Biodiversität und Waldgesundheit. Mit der Schaffung eines EU-Gütesiegels für mehr Naturnähe werden Zertifizierungssysteme wie PEFC in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

Österreichs Waldwirtschaft braucht solche zentralistischen Vorgaben nicht. Vielmehr bedarf es umsetzbarer Visionen und langfristige Lösungen für die Zukunft der Wälder.

Wo sind die finanziellen Anreize?

Was die Schaffung finanzieller Anreize betrifft, sind die Vorstellungen in der Strategie oberflächlich und nur sehr vage erklärt. Einen verbindlichen Rechts­rahmen sucht man unter diesem Punkt vergeblich. So glaubt man im Tourismus­sektor ein erhebliches Wachs­tums­po­tenzial für den ländlichen Raum zu erkennen. Unter dem Titel „naturbezogener Ökotourismus“ sollen neue Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die schon jetzt über zu wenige Geldmittel verfügt, möge der Forstbereich stärker bedient werden, so die Vorgabe.

Auch die Bereitstellung von Ökosystemleistungen soll honoriert wer­den. Die Frage nach dem Wie? bleibt unbeantwortet. Ein kleiner Lichtblick möge ein Bekenntnis zur Abgeltung der Kohlenstoffbindung sein. Aber auch hier fehlen konkrete umsetzungsfähige Ansätze.

Überwachung des EU-Waldes

Eine Überwachung des europäischen Waldes im Hinblick auf Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung und auf die Einhaltung aller Rechtsrahmen soll künftig über die EU-Kommission erfolgen. Dazu ist die Implementierung eines EU-Governance-Systems notwendig. Neben wissenschaftlichen Institutionen ist die verstärke Einbindung der Zivilgesellschaft vorgesehen.

Über ein Programm für Waldbiodiversität kann so ein Laien-Monitoring-System aufgebaut werden. Insgesamt ist man der Auffassung, dass die forstbezogenen Kernkompetenzen, die zur Erreichung der Ziele der neuen Waldstrategie notwendig sind, neu formuliert werden müssen. Das Ausbildungssystem für Förster und Forstwirte ist dazu zu evaluieren und zu adaptieren. Freilich sind wir in Österreich in der glücklichen Lage, über aussagekräftige, moderne, waldbezogene Monitoring-Systeme zu verfügen. Die Festlegung der zu erreichenden Zielgrößen und Schwellenwerte, die es zu erreichen gilt, liegen dann nicht in unserer Kompetenz.

Wir brauchen eine EU-Holzbauoffensive sowie eine nachhaltige Waldbewirt­schaftung statt Waldstilllegung.

Resümee

Wenn die Waldstrategie 2030 der EU tatsächlich umgesetzt werden sollte, wird den Mitgliedstaaten nicht nur die Waldkompetenz völlig entzogen. Vielmehr wird die gesamte Wertschöpfungskette Wald und Holz in ihrer Wirksamkeit für Klimaschutz und Bioökonomie massiv geschwächt. Eine Frage muss gestellt und diskutiert werden: Wie soll es in Europa gelingen, durch ideologische Ansätze anstelle von wissensbasierten Erkenntnissen und Erfahrungen eine Wachstumsstrategie zu generieren, die damit eine moderne, ressourceneffiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft in Gang setzen und den Wohlstand der Gesellschaft sicherstellen soll?

Aus Sicht der österreichischen Interessenvertretung

  • braucht Österreich weder ideologiegetriebene noch zentralistische Vorgaben für die nachhaltig wirtschaftenden Familienforstbetriebe.
  • Es braucht umsetzbare Visionen und langfristige Lösungen für die Zukunft der Wälder, die sich in Österreich im Eigentum von rund 145 000 WaldbewirtschafterInnen befinden.
  • Die Eigenverantwortung und Kompetenz der Mitgliedstaaten muss gewürdigt und erhalten bleiben.
  • Wir brauchen eine EU-Holzbauoffensive zur Klimarettung und keinen ausufernden EU-Bürokratismus.
  • Weiters ist eine nachhaltige Waldbewirtschaftung statt Waldstilllegung und Kohlenstoffmuseum notwendig, um die Waldbestände vital und klimafit zu halten.
  • Wir müssen den Roh­stoff Holz nutzen und raus aus der Fossilenergie.
  • Die Waldleistungen müssen honoriert werden, es darf keine kalte Enteignung stattfinden.

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