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SPIEGEL-Bericht

Gedankenexperiment: So sähe Deutschland ohne Tierhaltung aus

Die Tierhaltung ist vielen Agrarkritikern ein Dorn im Auge. Die extremsten unter ihnen fordern die komplette Abschaffung. Doch geht das? Und wie würde die Landwirtschaft dann aussehen?

Lesezeit: 5 Minuten

Tierhaltungsgegner sinnieren seit längerem über ein veganes Deutschland. Da es von wissenschaftlicher Seite keine Studien gibt, weil die Vorstellung zu unrealistisch ist, hat sich der Spiegel in einem Artikel mit dem Gedankenspiel beschäftigt.

Nach Gesprächen mit Landwirten, Forschern, Experten und Aktivisten kommt das Magazin zu dem Schluss, dass ein veganes Deutschland ein Land mit viel Platz wäre. Es gäbe deutlich weniger Nutztiere, kaum noch große Ställe; auf den Feldern würden statt Mais und Weizen mehr Bohnen, Lupinen, Erbsen und Sojapflanzen wachsen.

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Und weiter schreibt das Blatt: „Auf den Wiesen und Äckern lebten mehr Tier- und Pflanzenarten, das Grundwasser würde sich erholen, die deutschen Treibhausgasemissionen sinken. Die Menschen trügen Schuhe aus Ananasblättern und Synthetik und äßen Burger aus Fleischersatz. Ab und zu würden sie Tabletten nehmen oder angereicherte Lebensmittel essen, um ihre Nahrung zu ergänzen. Aber im Großen und Ganzen lebten sie gesünder als heute.“

Prof. Spiller hält das theoretisch für möglich

Befragt zu dieser Annahme wurde auch Achim Spiller, Agrarökonom an der Universität Göttingen. Auch er bestätigt, dass ohne Fleischverzehr viel weniger Flächen benötigt würden, die bisher für den Anbau von Futtermitteln belegt sind. Er wird mit den Worten zitiert, dass sieben Kalorien Futter benötigt werden, um eine Kalorie aus Rindfleisch zu erhalten. Bei Schweinefleisch sei das Verhältnis immer noch eins zu drei. In der Landschaft stünden weniger Ställe, aber mehr Treibhäuser für heimisches Obst und Gemüse, vermutet Spiller. Wärme und Strom kämen aus Solaranlagen und Windrädern, auf freien Flächen wüchsen Energiepflanzen wie Raps für die Biogasanlagen.

Bisher wird etwa die Hälfte Deutschlands landwirtschaftlich genutzt, schreibt der Spiegel weiter. Von den knapp 17 Mio. ha sind rund 12 Mio. Ackerfläche und 5 Mio. Grünland wie Weiden und Wiesen. Auf etwa 4,4 Mio. ha wächst derzeit Futter für Tiere – 26 % der gesamten Agrarfläche.

Niggli: 2 Mio. ha renaturieren

Urs Niggli, der frühere Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz, ergänzt einen weiteren Aspekt: Da die Versorgung mit Proteinen aus Pflanzen wie Bohnen, Erbsen und Lupinen deutlich effizienter ist als mit Fleisch und Milch, würden bis zu 2 Mio. ha frei. Hier könnten dann neue Naturschutzräume, Blühstreifen und Hecken für Insekten und Vögel entstehen. Oder Moorflächen würden wiedervernässt.

Laut Niggli hat die Bundesrepublik ungewöhnlich gute Bedingungen, sich selbst vegan zu versorgen. Nur rund 30 % der landwirtschaftlichen Fläche sei Grünland, weltweit seien es 67 %. Grünland ohne Tiere sei für die Ernährung aber wertlos. Gerade weil Deutschland soviel Ackerfläche habe, sei veganer Anbau denkbar. Ganz ohne Rinder und Schafe würde es aber eh nicht gehen: Sie werden auch in Zukunft zum Erhalt von Wiesen und Weiden benötigt, heißt es.

Krüsken: "Ökonomisches und ökologisches Desaster!"

Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken, hält dieses Szenario für absurd: Um einen solchen „riesigen Streichelzoo mit angeschlossener Nutztierkompostierung“ zu finanzieren, müsste die öffentliche Hand „einige Tausend Euro pro Hektar“ aufwenden. Wie teuer ein solches System für den Steuerzahler wäre, lässt sich tatsächlich noch gar nicht abschätzen.

Schweine dagegen wären im veganen Deutschland vollständig verschwunden. Auch Geflügel gäbe es nur noch rund ums Haus, keinesfalls in großen Ställen. Das Sportfischen wäre ausgetrocknet, weil niemand mehr Tieren Leid zufügen möchte.

Ein veganes Deutschland wäre laut Krüsken ein ökonomisches und ökologisches Desaster, weil den Landwirten ohne Tierhaltung etwa die Hälfte ihrer Wertschöpfung und ihres Einkommens verloren gehen würden. Ohne Tiere bliebe den Landwirten nur der Erlös aus den Feldfrüchten, daher bräuchten sie deutlich größere Flächen für das gleiche Einkommen. Die Wertschöpfung durch die Veredelung von veganen Produkten bliebe bei den Lebensmittelherstellern hängen. Der wirtschaftliche Druck würde Höfe noch schneller sterben lassen.

Und: Ohne den Kreislauf von Ackerbau mit tierischem Dung müssten Betriebe mehr Mineraldünger einsetzen, der mit hohem Energieaufwand hergestellt wird. Dazu sänke der Verkehrswert von Grünlandgrundstücken, wenn keine Viehwirtschaft mehr stattfände.

UBA erwartet dann vegane Agrarindustrie

Auch Dr. Knut Ehlers, Landwirtschaftsexperte beim Umweltbundesamt, hält die Vorstellung vom veganen Deutschland für schwierig. Er warnt vor einem „Heile-Welt-Szenario“. Denn auch vegane Landwirtschaft sei nicht automatisch ökologisch. Der Anbau von Linsen, Hafer, Erbsen und Bohnen ließe sich in industriellem Maßstab und mit Mineraldünger ertragreicher organisieren als mit bäuerlichen Ökofamilienbetrieben. Der Druck zu Rationalisierung könnte sogar steigen, wenn keine Tiere mehr gehalten würden.

Zudem erwartet er, dass sich in diesem Szenario ohnehin eine völlig neue Agrarindustrie etablieren würde. Marktführer bei Sojaschnitzel und veganer Teewurst könnte die ursprüngliche Fleischfabrik Rügenwalder Mühle bleiben. Auch Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück habe mit seinem Veggie-Geschäftsbereich Vevia 4 You schon seit 2020 den Markt der Zukunft jenseits der billigen Massenware aus Tierfleisch entdeckt, heißt es.

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