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topplus Inselmilch mit Hindernissen

Gänse verursachen große Schäden für Milchbauern auf Pellworm

Die Milcherzeugung gehört zu Pellworm. Doch die dort rastenden Gänse erschweren die Produktion zunehmend. Wir haben uns Herausforderungen und Lösungen auf der Insel angesehen.

Lesezeit: 11 Minuten

Hier sieht man überall noch den Gänsekot. Die Pflanzen sind im Dauerstress. Sie wachsen langsamer und lückig “, erklärt Milcherzeuger Nico Nommsen, während er über das Grünland läuft. Dort setzt sich Unkraut durch. Disteln und Ampfer werden zum Problem. Bis vor wenigen Jahren hat er hier noch mehrere Grasschnitte pro Jahr geerntet. „Heute ist das nur noch eine Weide für die Jungrinder.“

Denn was Mitte Juni auf der Insel Pellworm kaum noch zu erkennen ist: Im Winter und Frühjahr machen hier mehrere 10.000 Gänse Rast. Sie fressen den Landwirten buchstäblich die Futtergrundlage und damit die Existenz weg. Doch die Zugvögel sind nur eine von vielen Herausforderungen für die Milcherzeuger.

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Wirtschaften unter dem Meer

Wer auf Pellworm unterwegs ist, dem wird schnell klar: Hier kennt jeder jeden. Kein Wunder. Schließlich zählt die drittgrößte nordfriesische Insel südlich von Föhr nur rund 1 100 Einwohner.

Im Vergleich zu den Nachbarinseln Föhr oder Sylt spielt der Tourismus eine kleinere Rolle, ist neben der Landwirtschaft aber der wichtigste Wirtschaftszweig. Rund 2.500 Gästebetten gibt es auf Pellworm.

Die Landwirte bewirtschaften rund 3.500 ha Fläche, die von einem 8 m hohen und 25 km langen Deich geschützt sind. Denn Pellworm liegt im Schnitt etwa einen Meter unter dem Meeresspiegel. Die Zahl der aktiven Landwirte auf der Insel hat sich in den letzten Jahren quasi halbiert. Heute gibt es noch 30 Haupt- oder Nebenerwebsbetriebe. Darunter elf Milcherzeuger mit etwa 900 Kühen und einer Jahresproduktion von 8 Mio. kg Milch. Mehr als ein Drittel die Flächen werden ökologisch bewirtschaftet. Eine 500 kW Biogas-Gemeinschaftsanlage und mehr als 10 Windkraftanlagen liefern einen Teil der Energie für die Insel und eine Einkommensalternative für Betriebe.

Fähre bestimmt Alltag

Pellworm ist etwa fünfmal täglich per Autofähre erreichbar. „Die Fähre ist das Nadelöhr und der Kostentreiber. Alles was wir zukaufen oder verkaufen, muss übers Meer“, erklärt Nommsen. Er hält 40 Milchkühe und betreibt zusammen mit seiner Frau Anna Ferienhäuser und Ferienwohnungen.

So kalkulieren die Insulaner bei Bauvorhaben mit mindestens 40 % Mehrkosten. Für jeden Strohballen fallen rund 15 € und für Kraftfutter 25 €/t zusätzlich für den Transport an. Für die Milchabholung zahlen die Landwirte 2,5 ct/kg Milch mehr als die Genossen auf dem Festland. Zwei Lohnunternehmen mit Werkstatt gibt es auf der Insel. Die wichtigsten Ersatzteile für Melkstand und Maschinen haben die meisten Landwirte außerdem immer auf Vorrat, um im Notfall nicht auf die nächste Fähre warten zu müssen.

Die Insellage beeinflusst auch die betriebliche Entwicklung. So hat sich Milcherzeuger Karsten Knudsen lange mit dem Umstieg zum Melkroboter beschäftigt. „Aber im Zweifel dauert es mehrere Stunden, bis ein Techniker hier sein kann und verlangt dann auch noch hohe Anfahrtskosten“, so der Landwirt. Stattdessen hat er sich für den Neubau eines Melkzentrums entschieden, um seine 240 Milchkühe schneller als bisher melken zu können und so die Arbeitszeit zu reduzieren.

Denn wie viele auf der Insel sucht Knudsen geeignete Mitarbeiter. „Wer auf Pellworm arbeitet, muss hier auch wohnen. Mietwohnungen sind aber nur begrenzt verfügbar. Außerdem ist das Inselleben längst nicht für jeden etwas“, macht Knudsen deutlich.

Konflikte mit Gänsen

Die größte Herausforderung für die Betriebe sind die Acker- und Grünlandschäden durch Gänse. Während vor 20 Jahren nur wenige Graugänse auf der Insel rasteten, waren es im März 2021 mehr als 30.000 Nonnengänse („Weißwangengänse“). Hinzu kommen Ringelgänse, erklärt Silke Backsen. Die Pellwormer Biologin hat in den letzten Jahren Vogelzählungen gemacht und beschäftigt sich schon lange mit den Herausforderungen. Sie bestätigt: „In den letzten fünf Jahren hat die Zahl der Gänse extrem zugenommen.“

Während Graugänse mittlerweile das ganze Jahr bleiben, überwintern Nonnen- und Ringelgänse von November bis Mai auf der Insel. Anschließend fliegen sie zurück in die Brutgebiete in West-Sibirien. Durch den Klimawandel bleiben sie länger in Europa. Zudem finden die Gänse laut Backsen optimale Rastgebiete auf Pellworm: Zugang zu Süßwasser und energiereiches Futter. Die Gänse sind international als besonders geschützte Art eingestuft und dürfen nicht bejagt werden.

Seit etwa fünf Jahren können wir kein Wintergetreide oder Raps mehr anbauen. Die Gänse fressen alles kahl." - Milcherzeuger Thore Petersen.

Das sorgt für Konflikte. Denn für die Landwirte sind die Fraßschäden und das Verschlammen der Bodenoberflächen problematisch. „Stroh müssen wir komplett vom Festland zukaufen“, erklärt Milcherzeuger Thore Petersen, der gemeinsam mit seinen Eltern einen Betrieb mit 70 Kühen bewirtschaftet.

Auch im Grünland sorgen die Gänse für Schäden. Weil sie im Winter das Gras fressen, haben die Pflanzen keine Ruhe und wachsen kaum nach. „Bestimmte Grassorten oder Kleegras sind überhaupt nicht mehr denkbar“, so Petersen. Im Vergleich zum Festland können die Pellwormer erst deutlich später das erste Mal Gras mähen. In diesem Jahr war das erst Mitte Juni. „Wir hatten glücklicherweise viel Regen im Frühjahr. Trotzdem habe ich rund 50 % weniger Ertrag als beim ersten Schnitt im letzten Jahr“, sagt Thore Petersen.

Im Verhältnis zum Festland benötigen die Inselmelker mehr Futterfläche und kalkulieren mit maximal 0,8 Großvieheinheiten (GVE) je ha. Mehr Fläche zu bekommen ist aber kaum möglich. Wenn Betriebe aus der Tierhaltung aussteigen, stellen sie ihre Flächen häufig auf ökologische Bewirtschaftung um, um entsprechende Prämien zu erhalten. Karsten Knudsen hat sein Jungvieh auf das Festland ausgelagert und muss rund 30 ha Gras- und Mais zukaufen.

Zu den Fraßschäden kommt, dass die Gänse das Grünland verkoten und die Futterqualität reduzieren. Das hat Folgen für die Tiergesundheit und Fruchtbarkeit, berichten die Milcherzeuger. „Mittlerweile füttere ich bei den Laktierenden regelmäßig und bei den Jungrindern immer Gesteinsmehl. Das soll Toxine binden“, erklärt Thore Petersen.

Naturschutz als Lösung?

Zusätzlich zu den Schäden im Frühjahr kämpft Karsten Knudsen auch mit einem späteren Fraß im Mais: „Ich bewirtschafte rund 15 ha an einem Angelteich. Von dort ziehen die Graugänse mit ihren Küken in den Mais und fressen die Maisblätter.“ Der Milcherzeuger hat deshalb diese Flächen mit Geflügeldraht und Stromlitzen eingezäunt.



Da wo es erlaubt ist, versuchen die Landwirte die Gänse zu vertreiben. Doch Maßnahmen wie das Spannen von Litzen im Acker, um das Landen der Gänse zu verhindern, oder der Einsatz von Vogelscheuchen, Drohnen, Sirenen etc. haben kaum Erfolg. Im Zweifel fliegen die Gänse auf die benachbarte Fläche und von dort zurück.

Stattdessen nehmen immer mehr Betriebe an Naturschutzprogrammen, wie dem „Rastplatz für wandernde Vogelarten“ teil. Dabei ist unter anderem die Aussaat von Wintergetreide oder Ackergras vorgeschrieben und eine Bodenbearbeitung bis Ende März verboten. Die Betriebe erhalten dafür 360 € pro ha und Jahr. Zwar bezeichnen das einige Landwirte als „den Anfang vom Ausstieg“. Doch es ist auch die einzige Möglichkeit, um Ausgleichszahlungen für die Gänseschäden zu erhalten.

Beim Futteranbau haben die Betriebe neue Strategien entwickelt. Weil die Gänse Hafer als eine der wenigen Getreidesorten meiden, findet sich die Frucht auf vielen der Ackerflächen der Insel. „Hafer setzen wir als Ganzpflanzensilage (GPS) in der Gemeinschafts-Biogasanlage ein. Und es eignet sich auch als Futter für die Kühe. In meiner aktuellen Ration füttere ich 40 % Hafer-GPS statt Maissilage und melke 8.300 kg“, berichtet Thore Petersen.

Viele Landwirte bauen Legu-Hafer an – eine Sortenmischung mit Leguminosen und einer Gras-Untersaat. So versuchen sie eine Grasnarbe für das Folgejahr zu etablieren und durch den Hafer vor den Gänsen zu schützen. Bisher funktioniert das gut. Einige Praktiker fürchten aber, dass die Gänse bei mangelnden Alternativen auch den Hafer fressen. „Dann müssen wir sehen, welche Optionen es für den Ackerbau noch gibt“, resümiert Petersen.

Auch Biologin Silke Backsen sieht die massiven Schäden durch die Gänse. Sie appelliert an Landwirte und Naturschutz gemeinsam und flexibel zu handeln: „Der Naturschutz muss zu praktikableren Lösungen bereit sein. Und Landwirte sollten anerkennen, dass ein Wirtschaften wie vor 30 Jahren im Zweifel nicht mehr möglich ist. Vielmehr gilt: Weniger ist mehr! Qualitative Produkte, eine regionale Vermarktung und der Tourismus können Chancen für die Betriebe sein.“

Tierwohlmilch von der Insel

Das versuchen die Betriebe bereits umzusezten, indem sie die Wertschöpfung der Milch erhöhen. Beispielsweise mit dem Label „Für mehr Tierschutz“.

Die Milchbauern von Pellworm liefern seit 2016 an die Molkerei Nordseemilch in Witzwort. Auf der Insel erfasst die Molkerei alle zwei Tage zwei Milchsorten: Weidemilch (inkl. einem Betrieb mit Bioweidemilch) und seit 2018 Tierwohlmilch.

Die Premiumstufe des Labels „Für mehr Tierschutz“ ist in die Haltungsform Stufe 4 eingruppiert. Dafür kooperiert die Molkerei mit dem deutschen Tierschutzbund, der die Kriterien festlegt. Vorgeschrieben ist unter anderem Weidegang von April bis Oktober mit mindestens sechs Stunden pro Tag, ein Laufhof und pro Tier mindestens ein Fressplatz sowie Liegeplatz. Hinzu kommt viel Dokumentation vom Medikamenteneinsatz, über Tiergesundheitskennzahlen bis zum Weidetagebuch.

Sieben Betriebe mit mehr als 800 Kühen produzieren auf der Insel Tierwohlmilch. Nico Nommsen ist stolz, dass sich so viele Betriebe auf so kleinem Raum für mehr Tierwohl engagieren. Er hält das Konzept für den richtigen Ansatz: „Die höherpreisige Vermarktung bietet uns eine Perspektive, und es passt zu uns: Wir leben Tierwohl! Viele Kriterien, wie den Weidegang, erfüllen wir sowieso.“ Allerdings musste der Milcherzeuger vor dem Start in einen 600 m2 großen Laufhof investieren.

Auch Landwirt Thore Petersen hat einen Laufhof mit Liegeflächen angebaut und so auch seine Tierzahl um 20 Kühe erweitern können. „Ich hätte so nie gebaut, aber jetzt überzeugt mich das Konzept. Die Liegeboxen unter dem angeschleppten Dach sind immer als Erstes belegt.“

Milcherzeuger Karsten Knudsen hat für die Tierwohlmilch einen neuen Stall gebaut und ebenfalls aufgestockt. „Einen Laufhof hätte ich am Altgebäude nicht anbauen können und die Idee für einen Neubau stand sowieso. Daher war es eine gute Gelegenheit – auch um für den Bau die Tierwohlförderung von 20 % nutzen zu können“, sagt Knudsen.

Für die Tierwohlmilch haben die Landwirte einen Zuschlag in Höhe von 4 ct/kg Milch bekommen. Seit Anfang 2022 sind es aber nur noch 3 Cent. „Wir haben den Tierwohlmilch-Anteil in den letzten Jahren stetig erweitert. Aktuell übersteigt die Rohmilchmenge die Nachfrage. Deshalb mussten wir den Zuschlag anpassen“, sagt Jonathan Weingang, Nodseemilch-Erzeugerberater für Pellworm. Sobald die Nachfrage steigt, soll der Zuschlag wieder angepasst werden.

Auch der Tourismus ist für viele Betriebe eine wichtige Einkommensquelle. Mehr Aktivitäten und ein besseres Angebot der Gastronomie würde die Insel für Urlauber noch ­attraktiver machen, meint Nico Nommsen. Er würde sich mehr Touristen auf der Insel wünschen. Denn mit Blick auf die vielen Herausforderungen und Einschränkungen auf der Insel zieht er – obwohl sein 20-jähriger Sohn Michel gerade die landwirtschaftliche Lehre abgeschlossen hat – ein nüchternes Fazit: „Unter den ­aktuellen Bedingungen kann die Zukunft für unseren Betrieb nur im Tourismus liegen.“

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Inselkäserei

Käse für ­die Insel und das Festland

Bis 2016 haben die Landwirte ihre Milch an eine Meierei auf der Insel geliefert. Nach ihrem Wechsel zur Nordseemilch-Molkerei kauften Hauke und Maike Koll das Gebäude. Es ist eine Ergänzung zu ihrem Reifelager im 50 km entfernten Ostenfeld auf dem Festland. Der gelernte Milchtechnologe vermarktet bundesweit an Handel und Endverbraucher sowie auf Pellworm über Gastronomie, Handel und im eigenen Laden plus einen Verkaufsautomaten.

Hauke Koll verkäst bis zu 20.000 l Milch pro Woche, vor allem Biokuh- und Bioziegenmilch. Die Rohmilch bezieht er hauptsächlich vom Festland aus der Region. „Unsere Anlage und Technik ist auf mindestens 5 000 l pro Charge ausgelegt. Diese Menge Biomilch steht uns auf der Insel leider nicht zur Verfügung. Zudem ist das Entsorgen der Molke teuer“, sagt Koll. Aktuell nimmt der Milchlieferwagen vom Festland die Molke wieder mit.

Langfristig will Hauke Koll das Problem mit einer Molkevergärungsanlage lösen, die Methangas produziert: „Wenn die Anlage läuft, wollen wir mehr Käse produzieren – gerne auch aus Milch von der Insel.“

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