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Streitpunkt: Handwerkliche oder industrielle Produktion?

Traditioneller Familienbetrieb oder durchorganisierter Großbetrieb: Was für Kühe besser ist, analysiert Tierarzt Dr. Joachim Lübbo Kleen. In der Milchproduktion läuft eine rasante Konzentration: Weniger Betriebe, gleiche Kuhzahl, mehr Kühe je Betrieb. Die öffentliche Diskussion beschreibt das mit „Massentierhaltung“.

Lesezeit: 5 Minuten

Traditioneller Familienbetrieb oder durchorganisierter Großbetrieb: Was für Kühe besser ist, analysiert Tierarzt Dr. Joachim Lübbo Kleen.


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In der Milchproduktion läuft eine rasante Konzentration: Weniger Betriebe, gleiche Kuhzahl, mehr Kühe je Betrieb. Die öffentliche Diskussion beschreibt das mit „Massentierhaltung“ – und suggeriert, dass die Entwicklung für die Tiere schlecht ist. Um Klarheit zu schaffen, hilft ein Vergleich zwischen einer „handwerklichen“ und „industrialisierten“ Produktionsweise.


Das Handwerk


Der klassische Familienbetrieb ist das beste Beispiel für eine handwerkliche Produktion: Die einzelnen Tiere sind bekannt, jeder Betriebsangehörige ist in die Arbeit mit und am Tier einbezogen.


Die Stärke liegt darin, dass Probleme des Einzeltiers schnell erkannt werden. Persönliche Erfahrung und Verantwortungsgefühl für das Tier sind also die Motivatoren für erfolgreiches Arbeiten. Der Maßstab für die Arbeit ist selbst gesetzt: Das Ergebnis muss dem eigenen Anspruch im Hinblick auf Tierproduktion, Tierschutz und Tiergesundheit entsprechen. Aber genau hier hat die handwerkliche Produktion auch einen entscheidenden Nachteil: Die strategische Betriebsplanung ist häufig nur schwach ausgeprägt, langfristige Ziele fehlen meist. Und das Management ändert sich nur, wenn Abweichungen vom als normal Empfundenen vorliegen.


Was normal ist, bestimmt aber wiederum die Erfahrung und der gewohnte Status quo: Langfristig andauernde Abweichungen werden also nicht als solche wahrgenommen – ein Problem, das von der Eutergesundheit oder Reproduktion bekannt ist.


Die handwerkliche Produktion erzielt bis zu einer Bestandsgröße von etwa 250 Kühen hervorragende Ergebnisse. Auch größere Betriebe arbeiten häufig so. Aber hier gerät die individuelle Tierkontrolle und die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter schnell an ihre Grenzen. Der Übergang zur industrialisierten Produktionsweise wird nötig.


Die Industrie


Weil die handwerkliche Produktion das Bild der Milchviehhaltung bestimmt, klingt industrialisierte Milchproduktion zunächst merkwürdig.


Der entscheidende Unterschied liegt aber nicht in der Größe, sondern in der Arbeitsorganisation und der Kontrolle des Betriebsablaufes: Die Arbeit mit Standardanweisungen wird auf verschiedene Mitarbeiter aufgeteilt. Es gibt Spezialisierungen, etwa auf den Melkprozess, die Fütterung oder die Kälberversorgung. Diese systematische Arbeitsweise vermeidet viele Probleme von vornherein: Der Melkvorgang findet in immer gleicher Weise statt, die Fütterungstechnik stellt eine gleichbleibend homogene Mischung sicher.


Die Erhebung und Auswertung von Kennziffern ist ein weiterer entscheidender Unterschied. Durch die Analyse der Daten und systematisch erhobenen Beobachtungen werden Probleme frühzeitig erkannt. Der Vergleich mit anderen Betrieben führt zu einer realistischen Sicht auf den Status quo.


Anders als im Handwerk richtet sich die industrialisierte Arbeitsweise mehr auf die Herde als Gesamtorganismus. Das sichert gleichbleibende Bedingungen und Ergebnisse. Während Therapie in der handwerklichen Produktion möglich und sinnvoll ist, richtet sich ein industrialisiertes Haltungsmanagement noch stärker auf die Prävention. Bei sehr großen Beständen ist das noch wichtiger.


Allerdings besteht hierbei auch die Gefahr, dass Einzeltiere „durch das Raster“ fallen und eine Therapie unter Umständen nicht oder nur unzureichend durchgeführt wird.


Der Vergleich


Um die Systeme bei Tierschutz, Tiergesundheit und Tierproduktion zu vergleichen, müssen wir Parameter festlegen. Das ist nicht einfach. Während die Tierproduktion mit Leistungsdaten leicht zu ermitteln ist, können Gesundheit oder Wohlbefinden der Tiere nicht ohne Weiteres erfasst und objektiv beurteilt werden: Die Diskussion um die vom Tierschutzgesetz geforderten „Tierschutzindikatoren“ zeigt das.


Zwar liegen gute Kataloge mit Kriterien vor, die einen gewissen Rückschluss auf die Tierschutzsituation erlauben. Allerdings wird vielfach zu stark ein entstandener Schaden gemessen, ohne auf präventive Maßnahmen einzugehen oder die verschiedenen Ursachen für den Schaden zu berücksichtigen.


Die (fach-)öffentliche Diskussion nennt zum Beispiel das Lebensalter der Kühe als wichtiges Kriterium für das Tierwohl. Allerdings ist dieser Parameter zur Beurteilung von Krankheitsvorkommen oder Tiergesundheit nicht hilfreich. Denn viele andere ökonomische Aspekte beeinflussen die Abgangsentscheidung. Sie ist nicht als eine Entscheidung für oder gegen ein Tier zu verstehen, sondern zwischen zwei Tieren mit der Frage, welches Tier die langfristig bessere Perspektive für die Produktion bietet: Die Entscheidung gegen ein Alttier und für eine Remontierungsfärse hat daher mit Tiergesundheit nur am Rande zu tun.


Auch aus den gemeldeten Abgangsgründen lassen sich keine Schlussfolgerungen ableiten. Wenn darüber hinaus die Häufigkeit von Behandlungen zur Beurteilung von Tierwohl herangezogen wird, kann es zum paradoxen Effekt kommen, dass Systeme, in denen aufgrund intensiver Tierkontrolle früher unterstützend behandelt wird, schlechter beurteilt werden als Systeme mit lückenhafter Tierkontrolle.


Gerade hier besteht allerdings der Unterschied zwischen industriellem und handwerklichem Haltungsmanagement: Bei der industriellen Milchproduktion liegen mehr Daten vor, da die Kontrolle intensiver erfolgt. Dies darf nicht zum Nachteil ausgelegt werden!


Als objektiv erhobener Parameter zur Tiergesundheit bietet sich die Zellzahlbestimmung an, mit Abstrichen auch die Daten zur Reproduktion. Größere Betriebe mit überdurchschnittlicher Produktion erreichen hier durchgehend gute Ergebnisse. Das zeigt die Vorteile einer industrialisierten Arbeitsweise. Zwar können gut handwerklich geführte Familienbetriebe auch hier ein überlegenes Niveau erreichen. Die Streuung ist aber naturgemäß größer. Das bedeutet, dass auch viele Betriebe mit unterdurchschnittlichen Ergebnissen in Tiergesundheit und -produktion einer handwerklichen Produktion zuzuordnen sind, nur dass diese nicht optimal umgesetzt wird.


Das Fazit


Auch wenn die Industrialisierung der Milchproduktion vielfach mit Argwohn betrachtet wird: Die objektiv erhobenen Daten in Bezug auf Tiergesundheit, Tierschutz und Tierproduktion lassen keine Verschlechterung erkennen.


Im Gegenteil: Für die traditionellen Milchviehbetriebe besteht die Herausforderung in einer stärkeren Systematisierung der Arbeit und effektiver Datenauswertung. Und andererseits sollten die industrialisierten Betriebe mehr Augenmerk auf die tierindividuelle Betreuung legen. Eine Herausforderung haben Betriebe, die ohne die notwendigen Anpassungen in der Arbeitsweise hin zum industrialisierten Produktionsstil gewachsen sind.


Ihre Meinung?


Dr. Joachim Lübbo Kleen ist ein Freund der industriellen Milchproduktion. Sie auch? Oder bevorzugen Sie den klassischen Familienbetrieb? Schreiben Sie uns Ihre Meinung! Stichwort „Milch“ an:

Fax: 0 25 01/80 16 54

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