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Schwanzbeiß-Screening für Problembetriebe

Lesezeit: 10 Minuten

Gegen Schwanzbeißen gibt es kein Patentrezept. Die Risikofaktoren müssen in jedem Betrieb individuell ausgewertet werden. Wie man dabei vorgeht, hat top agrar von Dr. Dana Madey-Rindermann von der BHZP-Veterinärgesellschaft erfahren.


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Wenn der neue Flatdeckstall erst einmal fertig ist, wird alles besser“, tröstete sich Schweinehalter Jakob Bresser (Name geändert) bereits seit geraumer Zeit. Bresser bewirtschaftet im östlichen Niedersachsen einen Kombibetrieb mit 320 Sauen. Die biologischen Leistungen seiner Schweine sind gut. Und auch in puncto Tiergesundheit gibt es nichts zu meckern. Der Bestand wird engmaschig vom Hoftierarzt besucht und ist sowohl PRRS- als auch APP-frei. Immer wieder gibt es jedoch Probleme mit Schwanzbeißen, vor allem in der Mast und im Flatdeckstall. Denn der ist mit 800 Plätzen längst zu klein geworden. Die Probleme beschränken sich dabei nicht nur auf einzelne Buchten, sondern treten in verschiedenen Abteilen und Buchten auf – ganz unvorhersehbar.


Beißen auch im neuen Stall:

Bressers ganze Hoffnung ruhte daher auf dem neuen Aufzuchtstall. Zumal er für 1800 Ferkel ausgelegt ist und Bresser den Tieren mit 0,4 m2 Fläche freiwillig deutlich mehr Platz zugesteht als der Gesetzgeber fordert. Er wähnte sich daher auf der sicheren Seite.


Im Januar 2016 war es so weit, die ersten Ferkel konnten einziehen. Doch die Freude am neuen Stall währte nicht lange. Denn in mehreren Abteilen traten bereits nach einem Tag Lüftungsprobleme auf. Es war zu warm im Stall und die Luftfeuchtigkeit zu hoch. Prompt stellten sich auch die ersten Schwanz- und Ohrbeißereien ein.


Bresser alarmierte die Lüftungsfirma, die im Laufe mehrerer Besuche die Fehleinstellung des Wärmetauschers behob. Die Luftqualität im Stall wurde deutlich besser. Die Beißereien ebbten dadurch zwar ab, verschwanden jedoch nicht ganz. Das Problem pendelte sich bei etwa 5% gebissenen Tieren ein.


Gründlicher Betriebs-Check:

Doch Jacob Bresser gab nicht auf. Er schaltete die Veterinärgesellschaft des BHZP ein und vereinbarte mit der zuständigen Tierärztin ein gründliches Schwanz-beiß-Screening für seinen Betrieb.


„Es gibt leider kein Patentrezept gegen das Beißen, denn in jedem Betrieb können andere Faktoren der Auslöser sein, von denen einer schließlich das Fass zum Überlaufen bringt“, gibt BHZP-Tierärztin Dana Madey-Rindermann zu bedenken. Deshalb muss jeder Betrieb individuell beraten werden.


Wichtig ist ihrer Ansicht nach zudem, dass man beim Betriebs-Check keinen Produktionsbereich auslässt und auch dann weitersucht, wenn man bereits den ein oder anderen Risikofaktor fürs Schwanzbeißen entdeckt hat. Denn meistens seien mehrere Faktoren beteiligt, die die Schweine stressen. Das können sowohl tiergesundheitliche Probleme als auch Managementfehler sein.


Saugferkel gut genährt?

„Ich beginne mit dem Screening, das etwa einen halben Tag in Anspruch nimmt, stets im Abferkelstall“, beschreibt die junge Tierärztin das Prozedere. Hier interessiert sie vor allem der Ernährungszustand der Ferkel. „Denn Ferkel, die in ihrer körperlichen Entwicklung zurückbleiben, sind und bleiben potenzielle Störenfriede, die sich immer wieder ihren Platz am Trog erkämpfen müssen“, hat die Tierärztin beobachtet.


Der Ernährungszustand der Ferkel ist unter anderem abhängig von der Wurfgröße und von der Milchleistung der Sau. Schulterläsionen bei der Mutter weisen z.B. auf eine schlechte Kondition der Sau hin, die auch die Milchleistung beeinträchtigt. Werden die Ferkel über ein Tassensystem oder Futterschälchen zugefüttert? Werden die Schalen regelmäßig gereinigt? Und ab wann wird den Ferkeln Prestarter angeboten? Diese und weitere Fragen werden im Rahmen des Screenings angesprochen.


Schulterläsionen und Vulvaverletzungen sind noch aus einem weiteren Grund problematisch. Denn an ihnen haben die Ferkel eventuell schon einmal den Geschmack von Blut kennengelernt. „Und ein Schwein, das einmal Blut geleckt hat, wird diesen Geschmack später immer wieder suchen“, ist Dr. Madey-Rindermann überzeugt.


Die Ferkel können nur dann im Flatdeck problemlos durchstarten, wenn sie vorher gelernt haben, ausreichend Wasser aufzunehmen. Denn ein Tier, das nicht säuft, frisst auch nicht. Deshalb sollte man die Ferkel bereits in der Abferkelbucht spielerisch an die Wasseraufnahme gewöhnen. Die Tränkekon-trolle gehört daher zum Schwanzbeiß-Screening unbedingt dazu. Funktionieren die Tränken in der Bucht? Können sie von den Ferkeln erreicht werden? Und ist der Druck nicht zu hoch, damit die Ferkel nicht verschreckt werden? Ideal sind kleine Schalentränken oder Mutter-Kind-Tränken, die allerdings leichter verschmutzen und deshalb regelmäßig kontrolliert werden müssen.


Zudem müssen Ferkel lernen, sich zu beschäftigen. Das macht sie ausgeglichener und lenkt ihr Interesse von den Wurfgeschwistern ab. Im Rahmen des Screenings wird daher auch geprüft, ob den Saugferkeln Beschäftigungsmaterialien zur Verfügung stehen. „Gut eignen sich kleine Baumwollseile, die an der Buchtentrennwand befestigt werden, ein Stück Jutesack oder kleine Mengen Heu“, schlägt Dr. Madey-Rindermann vor.


Risikoanalyse im Flatdeck:

Nach dem Abferkelbereich nimmt die Tierärztin das Flatdeck unter die Lupe. Auch hier gilt ihr erster Blick dem Ernährungszustand der Ferkel. Sind die Gruppen ausgeglichen, machen alle einen munteren Eindruck und haben gefüllte Bäuche? Oder sind bei einigen Tieren die Flanken eingefallen?


„Damit alle die gleichen Startchancen haben, müssen die Ferkel beim Einstallen sorgfältig nach Größe sortiert werden“, erläutert Dr. Madey-Rindermann. Das ist auch wichtig, um sie bedarfsgerecht ernähren zu können.


Entscheidend ist, dass die Futterumstellung nicht abrupt erfolgt. Den Ferkeln muss daher schon in der Abferkelbucht Prestarter angeboten werden. Diesen Prestarter erhalten die Tiere im Flatdeck noch für weitere vier bis fünf Tage – am besten in Anfütterungsschälchen, die regelmäßig gereinigt werden.


Parallel dazu wird den Tieren im Futterautomat Ferkelaufzuchtfutter 1 angeboten. Beides sollte nicht verschnitten werden, denn häufig vertragen sich die Komponenten untereinander nicht, es kann z.B. zur Komplexbildung der Mikronährstoffe kommen.


Wasserschlauch in jedem Abteil:

Eng verbunden mit dem Fressverhalten ist die Wasseraufnahme. Deshalb kontrolliert die Tierärztin im Verlauf des Screenings auch immer die Tränken: Sitzen sie in der richtigen Höhe und sind für alle Tiere in der Bucht erreichbar? Passt die Durchflussrate, ist der Druck nicht zu groß und ist das Wasser schmackhaft? Diese Fragen müssen geklärt werden.


„Um den Ferkeln die Umstellung zu erleichtern, empfehle ich, zusätzliche Anfütterungsschalen in die Bucht zu stellen und mehrmals täglich mit frischem Wasser zu befüllen“, sagt Dr. Madey-Rindermann. Das geht umso fixer, wenn in jedem Abteil ein angeschlossener Wasserschlauch liegt.


Stallklima zum Wohlfühlen:

Neben dem Futterangebot entscheidet natürlich auch das Stallklima darüber, ob sich die Tiere im Flatdeck wohl oder gestresst fühlen. Im Idealfall können die Ferkel zwischen verschiedenen Klimazonen wählen, einem kühlen Aktivitätsbereich und einem 28 bis 29°C warmen, abgedeckten Liegebereich.


Ob das Stallklima passt, sieht man anhand des Liegeverhaltens. Ferkel, die sich wohlfühlen, liegen ausgestreckt nebeneinander unter der Abdeckung. Ist es ihnen zu warm, suchen sie Abkühlung in der Kotecke und sehen entsprechend schmutzig aus. Ist es ihnen zu kalt, legen sie sich übereinander.


Extreme Stressfaktoren für die Ferkel sind Zugluft und direkte Sonneneinstrahlung, der sie nicht ausweichen können. Das macht die Tiere nervös und fördert das Schwanz- und Ohrenbeißen. Direkte Sonneneinstrahlung kann man u.a. durch einen verlängerten Dachüberstand, Jalousien, Folienbeklebung oder eine Schatten spendende Bepflanzung entlang des Stallgebäudes vermindern. Und Zug- bzw. Falschluft spürt man am besten mit einer Rauchpatrone auf.


Attraktive Beschäftigung:

Das A und O beim Vorbeugen von Verhaltensauffälligkeiten ist attraktives Beschäftigungsmaterial. Wichtig: Es darf nicht erst angeboten werden, wenn die ersten Beißereien aufgetreten sind, sondern gehört ständig in die Bucht.


Ideal sind Materialien, die sich bewegen, von den Schweinen verändert werden können oder das Wühlverhalten befriedigen. „Bewährt haben sich lange Ketten, die längs über alle Buchten gespannt werden, an denen wiederum senkrecht hängende Ketten befestigt sind, die bis zum Boden reichen“, sagt Dr. Madey-Rindermann. Denn wenn ein Tier an einer Kette zieht, bewegen sich alle anderen Ketten gleich mit. Das macht neugierig.


An der Kette können zudem noch andere Materialien zum Beknabbern befestigt werden. Geeignet sind Baumwollseile, die per Karabinerhaken in die Kette eingehängt werden, Weichholzstangen (Tanne oder Pappel) oder Beißsterne aus Gummi.


Entscheidend ist, dass sich die Beschäftigungsmaterialien leicht austauschen lassen. Denn Schweine lieben Abwechslung. Außerdem müssen die Materialien nach jedem Durchgang zusammen mit der übrigen Stalleinrichtung gereinigt (Ketten) oder ausgetauscht (Weichholz) werden, um keine Krankheitserreger zu übertragen.


Einige Landwirte schwören zudem auf Heu, das den Tieren in kleinen Mengen in einer Rütteltonne angeboten wird. Unter dem Heuspender sollte sich eine fest installierte Gummimatte befinden, damit sich die Tiere mit den heruntergefallenen Halmen beschäftigen können und wenig in der Gülle landet.


Die Rangordnungskämpfe nach dem Umstallen hinterlassen Kampfspuren. In diese oberflächlichen Verletzungen können Keime eindringen, die sich auf der Haut der Ferkel bzw. Läufer befinden. Deshalb ist es ratsam, die Tiere vor dem Umstallen mit einem keimtötenden Tierwaschmittel zu waschen.


Ideal eignet sich dafür die Schaumlanze des Hochruckreinigers. Das Waschmittel bewirkt zudem, dass alle Ferkel beim Einstallen einheitlich riechen. Das lenkt die Tiere ab.


SchwIP für die Mast:

Nachdem im Flatdeck alle Risikofaktoren für das Schwanzbeißen herausgearbeitet wurden, geht es in den Maststall. Um die individuelle Risikoanalyse zu erleichtern, kann hier das vom Institut für Tierschutz und Tierhaltung im Friedrich-Loeffler-Institut in Celle entwickelte Schwanzbeiß-Interventions-Programm (SchwIP) für Mastschweine zum Einsatz kommen. Das Programm arbeitet auf Excel-Basis. Ein vergleichbares Tool für die Ferkelaufzucht wird gerade erarbeitet. Das Projekt wird voraussichtlich 2018 abgeschlossen sein.


In puncto Liegeverhalten und Stallklima gelten im Prinzip die gleichen Aussagen wie für die Ferkelaufzucht. Bei Stallklima-Problemen ist es sinnvoll, die Ammoniak-, CO2- und H2S-Gehalte der Stallluft zu bestimmen. Darüber hinaus sollte die Luftbewegungsrate gemessen werden. Ab 0,2 m/s herrscht im Tierbereich Zugluft – und Schweine hassen Zugluft!


Kritisch ist auch starker Fliegenbefall im Stall. Denn die Fliegen nerven und stressen die Schweine. Sind Fliegen ein Problem, sollte über die Ansiedlung von Killerfliegen nachgedacht oder die Bekämpfung der Fliegenmaden intensiviert werden.


Tier-Fressplatz-Verhältnis:

Optimal ist ein Tier-Fressplatz-Verhältnis von 1:1. Denn sobald die Schweine am Trog Schlange stehen wie z.B. bei der Sensorfütterung, besteht die Gefahr, dass sich die Wartenden am Hinterteil der gerade fressenden Schweine zu schaffen machen. Die „Schlangesteher“ und die körperlich zurückgebliebenen Schweine sind die auffälligsten Beißer. Um die Wartezeit zu verkürzen, kann es bei der Sensorfütterung daher sinnvoll sein, zwei Futterphasen direkt hintereinander zu programmieren.


Genügend Platz und Ausweichmöglichkeiten sind generell ein Thema. Mäster, die ihren Schweinen freiwillig etwas mehr Platz gewähren (+10%) als der Gesetzgeber verlangt, haben tendenziell weniger Probleme mit Schwanzbeißereien. Dabei sollte man die Stallfläche jedoch ehrlich ausmessen. Der Trog zählt nicht zur Fläche, die den Schweinen zum Liegen und Laufen zur Verfügung steht!-lh-

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