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topplus Projekt "DigiSchwein"

Digitalisierung: „Die finale Entscheidung trifft der Tierhalter“

Im Projekt „DigiSchwein“ entwickeln Forscher ein sensorbasiertes Frühwarnsystem für Schweinehalter. Soll dies das Auge des Landwirts ersetzen?

Lesezeit: 6 Minuten

Über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung im Schweinestall sprach top agrar mit Dr. Marc-Alexander Lieboldt von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Er koordiniert das Forschungsprojekt "DigiSchwein".

Wieso hinkt die Schweinehaltung ­anderen Branchen in puncto Digitalisierung hinterher?

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Lieboldt: Grundsätzlich ist die Landwirtschaft Vorreiter in der Digitali­sierung. Vor allem Milchviehhalter nutzen schon lange einzeltierbezogene Daten. Beim Schwein ist das anders. Die Branche ist zwar schon lange erfolgreich im Bereich Stallklima digital unterwegs. Der Trend geht jedoch hin zu einzeltierbezogenen Daten.

Viele Sensoren lassen sich aber nicht direkt am Schwein befestigen. Also muss man sie in der Umgebung des Tieres positionieren. Hinzu kommt, dass Sensoren wie Kameras zwar am Markt verfügbar, aber nicht explizit für den Stalleinsatz entwickelt wurden. Ihre Praxistauglichkeit wollen wir daher testen.

Was ist das Ziel des Forschungs­projektes „DigiSchwein“?

Lieboldt: Ziel des Projektes ist es, eine Art Frühwarnsystem für Tier­halter zu entwickeln. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen will in der Versuchsstation in Wehnen mit zahlreichen Projektpartnern aus Wissenschaft und Wirtschaft klären, welche Sensoren sich im Stall einbauen lassen, welche Daten gesammelt und verknüpft werden können und wie sich die Daten per Software auswerten lassen. Landwirte sollen dadurch Veränderungen im Verhalten bzw. der Tiergesundheit deutlich früher im Bestand erkennen und daraufhin Entscheidungen im Management treffen können.

Welche Sensoren sind in Wehnen ­verbaut und wie gut funktionieren sie im praktischen Einsatz?

Lieboldt: Zur Grundausstattung an ­jedem Tier gehört eine Radiofrequenz-Identifikations (RFID)-Ohrmarke. Das RFID-Signal ist grundlegend, um einzeltierbezogene Daten zu erheben. Bei den Sauen setzen wir zudem spezielle Sensorohrmarken ein, die die Temperatur und Beschleunigung messen. Das könnte Betriebsleitern künftig die Rauscheerkennung erleichtern bzw. rund um die Abferkelung unterstützen.

In der Haltungsumgebung der Tiere sind weitere Sensoren verbaut: 3D-­Kameras zur optischen Vermessung, Wärmebildkameras, Mikrofone zur Geräusch- und Hustendetektion. ­Zudem sind die Tränken mit Durchflusssensoren ausgestattet.

In puncto Stallklima haben wir Schadgassen­soren, Luxmeter, Temperatur- und Feuchtigkeitsmesser installiert. Alle Eingangs­türen zu den Abteilen verfügen über Lichtschranken, um den Personenverkehr zu erfassen.

Bereits jetzt lässt sich sagen, dass das Hustenmonitoring gut funktioniert. Die Stallklimasensoren sind ein alter Hut und liefern erfolgreich Daten. Sie wurden ja auch explizit für den Stalleinsatz entwickelt. Alles andere ist Technologie, die so gar nicht für den Stalleinsatz konzipiert wurde.

Welche Lösungen bietet das Projekt DigiSchwein den Schweinehaltern?

Lieboldt: Wir wollen erforschen, ­welche Sensoren sich für die Krankheitsfrüherkennung, das Geburts­monitoring, das frühe Erkennen von Schwanzbeißen sowie die Erfassung von Nährstoffströmen besonders gut eignen. Dazu müssen wir zuerst im Versuchsstall in Wehnen relevante ­Daten erfassen und passende Aus­wertungsalgorithmen entwickeln.

Im nächsten Schritt wollen wir testen, welche Sensorkombinationen gut zueinander passen. In Praxisbetrieben untersuchen wir dann, wie gut sich die Systeme im Alltag schlagen. Denn die Sensoren müssen langlebig und wartungsarm sein, um Tierhaltern wirklich die Arbeit zu erleichtern.

Wann soll die Software für das Farmmanagement praxisreif sein?

Lieboldt: Das Projekt DigiSchwein läuft zunächst noch bis Anfang 2023. Eine Verlängerung wurde bereits beantragt. Bis Projektende soll eine Demoversion des Frühwarnsystems fertig sein, die wir in einem Folgeprojekt in Praxisbetrieben testen. Im Rahmen der Praxiserprobung wollen wir dann herausfinden, wie sich die zusammengestellten Sensorkombinationen im Stallalltag bewähren. Damit starten wir vermutlich in 2024.

Wo sehen Sie die Einsatzgrenzen der Digitalisierung im Schweinestall?

Lieboldt: Die Landwirtschaft ist eine kreative Branche. Den Einsatzmög­lichkeiten sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Im Projekt DigiSchwein wollen wir die technischen Einsatzgrenzen testen, vor allem bei den optischen Systemen. Denn Kameras und Co. wurden nicht explizit für den Stalleinsatz entwickelt.

Ich sehe jedoch moralische Einsatzgrenzen. In der Wissenschaft gibt es zusehends Diskussionen über komplett autonom arbeitende Farmen. Dort lässt sich der Betrieb quasi vom Sofa aus managen.

Das ist für mich ein absolutes No-Go. Landwirte sind sich ihrer Verantwortung gegenüber Tieren, Menschen und Umwelt bewusst und üben ihren Beruf mit großer Leidenschaft aus. Die Digitalisierung ist ein Werkzeug, um die Schweinehalter zu unterstützen – und nicht, um sie zu ersetzen. Am Ende muss immer der Tierhalter die finale Entscheidung treffen

Es fehl.

Schnittstellen, um die gesammelten Daten zu vernetzen und auszuwerten. Wie lässt sich das ändern?

Lieboldt: Die Industrie bietet nach wie vor ihre eigenen Systeme an. ­Gesammelte Daten bringen jedoch nichts, wenn sie auf Datenträgern liegen und sie niemand auswerten kann. Wir brauchen einheitliche Standards, um Daten austauschen, verknüpfen und systemübergreifend auswerten zu können. Dazu bieten sich z. B. Cloudlösungen an – also eine internetbasierte Bereitstellung von Speicherplatz, Rechenleistung oder Software.

Wie kann der Landwirt dabei sicherstellen, dass er die Hoheit über seine sensiblen Betriebsdaten behält?

Lieboldt: Datenschutz ist ein ganz heißes Thema. Es gibt Systeme, in denen der Landwirte Eigentumsrechte abtritt und Dritten Zugriff gewährt, wenn er seine Daten in die Cloud einspeist. Wir brauchen deshalb klare Datenschutzbestimmungen in Cloudsystemen. Es muss definiert sein, wer der Eigentümer der Daten ist und wem er Zugriffsrechte einräumt.

"Die Digitalisierung ist ein Werkzeug, um die Schweinehalter zu unterstützen – und nicht, um sie zu ersetzen." - Dr. Lieboldt



Für personenbezogene Daten hat die Politik einen gesetzlichen Rahmen geschaffen. Das brauchen wir auch für betriebsbezogene Daten.

Welche digitalen Trends sehen Sie in den kommenden Jahren?

Lieboldt: Ein Trend sind aus meiner Sicht IT-Lösungen zur Betriebsvernetzung. Sie führen die Daten aller Akteure in der Wertschöpfungskette ­zusammen und sorgen so für Trans­parenz und Rückverfolgbarkeit. Auch das sog. „Cloud Computing“ wird immer wichtiger. Darunter versteht man die Dienstleistung, Daten auf webbasierten Plattformen auszuwerten und sie dem Landwirt kurz und knackig darzustellen, damit er entsprechend handeln kann. Aktuell noch Mangelware in der Schweinehaltung ist die Echtzeitanalyse von großen Datenmengen durch künstliche ­Intelligenz sowie die daraus resultierenden Vorhersagemodelle, z. B. kurz vor einem Schwanzbeiß-Ausbruch.

Ein weiterer Trend ist die Robotik. Im Bereich der Reinigung und Desinfektion übernehmen immer häufiger Roboter die Arbeit. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels können sie helfen, Arbeitskraft und -zeit ein­zusparen.

Zur Person

Dr. Marc-Alexander Lieboldt ist Fachtierarzt für Tierernährung und Diätetik. Seit Juli 2020 ist er als Projektkoordinator des vom Bundesagrarministerium geförderten Projekts „Experimentierfeld DigiSchwein“ für die Landwirtschaftskammer Niedersachsen tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit auf der Versuchsstation für Schweinehaltung in Wehnen vertritt er das Verbundprojekt auch im BMEL-Kompetenznetzwerk „Digitali­sierung in der Landwirtschaft“.

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