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The American Way of Regenerative Landwirtschaft

Das amerikanische Start-up Indigo Agriculture will die Landwirtschaft umkrempeln. Dafür stehen rund 1 Mrd. US-Dollar Kapital von Investoren bereit. Was ist seit 2019 geschehen und wo geht es hin?

Lesezeit: 9 Minuten

Dieser Artikel erschien zuerst in f3 farm. food. future.

Der Mais überragt die Köpfe derer deutlich, die durch die Reihen der Maispflanzen streifen. Mit einem Spaten ausgestattet, läuft Sebastian van Triel in die Mitte des Testfeldes. Ein Blick auf den Zettel mit dem Versuchsaufbau, dann weiß er, wo er graben muss. In der einen Parzelle wächst Mais, der nach guter fachlicher Praxis gedüngt wurde. In der anderen reift jener heran, der in Abstufungen weniger mineralische Düngegaben erhielt, dafür aber mit mikrobiellen Pflanzenstärkungsmitteln des amerikanischen Start-ups „Indigo Agriculture“ behandelt wurde.

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Sebastians Auftrag als Mitarbeiter der Versuchsstation BioChem agrar am Niederrhein: Herausfinden, ob sich stabile Erträge unter Beigabe der Mikroorganismen mit weniger Stickstoff und Phosphor erreichen lassen. Das verspricht Indigo seit 2019 deutschen Landwirten. Mit dem Verkauf der Mikroorganismen dreht das Unternehmen am ersten Zahnrad von vielen, die nach der Gründung in Amerika auch hierzulande ineinandergreifen sollen.

In Deutschland gerade erst am start

Ein Blick aufs große Ganze: Das 2014 gegründete Unternehmen will das landwirtschaftliche System umkrempeln. Der Ansatz: Landwirte sollen nicht mehr möglichst viel Ware möglichst kostengünstig produzieren. Sie sollen qualitativ hochwertigere Lebensmittel auf besonders nachhaltige (regenerative) Weise produzieren und für diesen Mehrwert entlohnt werden.

In Amerika ist das System schon angelaufen: Landwirte kaufen bei Indigo mikrobielle Saatgutbeizen und Bodenhilfsstoffe. Sie stellen um auf die regenerative Bewirtschaftung ihrer Flächen: Pflug weglassen, Untersaaten und Zwischenfrüchte einplanen, Fruchtfolge variieren und mineralische Dünge- und synthetische Pflanzenschutzmittel reduzieren. Das soll das Bodenleben verbessern. Kohlenstoff wird im Boden gebunden. Dafür werden die Landwirte über Zertifikate entlohnt.

Über digitale Datenerfassung via Drohne oder Satellit sammelt Indigo Daten zum Vegetationsverlauf, um den Erfolg oder Misserfolg von Maßnahmen zu bewerten. Mithilfe der Daten kann Indigo Abnehmern auf Unternehmensseite nachweisen, dass eine Kultur wirklich regenerativ angebaut wurde. Das soll wiederum die höheren Preise rechtfertigen, die den Bauern gezahlt werden sollen. Gehandelt wird auf dem „Indigo Marketplace“. Erzeuger vertreiben dort ihr auf oben genannte Weise angebautes Getreide an Unternehmen oder verkaufen es direkt an Indigo.

In Deutschland steht das Unternehmen noch am Anfang. Hier bereiten die beiden Produktberater Dr. Wolfgang Benz und Johann Hempel buchstäblich den deutschen Boden für ihren Arbeitgeber aus den USA. In Nordamerika hat Indigo den Begriff „Regenerative Landwirtschaft“ in die Breite getragen und über 1 Mrd. US-Dollar Wagniskapital eingesammelt. Hierzulande ist das typisch amerikanische „think big“-Versprechen erst eine Vision. Aber ein frühzeitiger Blick auf das Geschäftsmodell lohnt sich. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine amerikanische Plattform Märkte umkrempelt, bevor wir in Deutschland „Antrag auf Unternehmensgründung“ sagen können.

Bakterien als Bodenhilfsstoffe

„Es ist tatsächlich die Vision, die heraussticht“, sagt Vertriebler Johann Hempel. „Die Mitarbeiter vereint die Mission, einen ganzheitlichen Ansatz zu etablieren, der nicht nur kleine Schrauben dreht, sondern ein neues Business schafft.“

Den Anfang macht das Berater-Duo in Deutschland mit dem Verkauf von biologischen Bodenhilfsstoffen und Pflanzenstärkungsmitteln. „Lebende Bakterien“, sagt Johann Hempel. Sie sollen dazu beitragen, dass Kulturen auch ohne oder zumindest mit weniger konventionellen Maßnahmen stabile Erträge bringen. „In Deutschland laufen Versuche an 22 Standorten auf rund 1200 ha“, informiert Dr. Wolfgang Benz. Derzeit sind zwei Produkte in Deutschland auf dem Markt: eins mit stickstoffbindenden Bakterien und eins, das Phosphor und Kalium mobilisierende Bakterien enthält. „Mit ihnen spart der Landwirt 30 bis 60 kg Stickstoff bzw. Kalium und Phosphor pro Saison und Hektar ein und erzielt trotzdem stabile Erträge“, sagt Johann Hempel. Dank der Einsparungen beim Mineraldünger und durch den geringeren Kraftstoffbedarf bei weniger Arbeitsgängen soll das Konzept wirtschaftlich interessant sein.

Mit ihnen spart der Landwirt 30 bis 60 kg Stickstoff bzw. Kalium und Phosphor pro Saison und Hektar ein und erzielt trotzdem stabile Erträge." - Johann Hempel

Die Produkte werden in der laufenden Saison zusätzlich von rund 20 landwirtschaftlichen Pilotkunden nach dem sogenannten „Uplift-Modell“ getestet: Ein Landwirt teilt seinen Schlag dabei in zwei Hälften. Seite A bewirtschaftet er wie immer. Auf Seite B verwendet er die Indigo-Mikroben. Erwirtschaftet er höhere Erträge, wird eine Rechnung für die Produkte gestellt. Wenn nicht, bleibt der Einsatz kostenlos. „Die Hälfte des Mehrertrags geht nach der Ernte an uns“, sagt Johann Hempel.

Die Vertriebler erleben täglich, dass das Thema Bakterien für viele Landwirte, gelinde gesagt, alternativ angehaucht ist. Allerdings scheint die Offenheit dafür eine Frage von Leidensdruck zu sein. „Das Vorgehen ist vor allem für Betriebe in den roten Gebieten interessant, die aufgrund der Düngeverordnung 20 % weniger düngen dürfen“, sagt Johann Hempel. Dr. Benz ergänzt: „Einige Landwirte sind regelrecht gezwungen, über solche Lösungen nachzudenken.“ Die Mikroorganismen sollen zum einen helfen, die Erträge trotz Einschnitten in den Düngegaben stabil zu halten und Einkommen zu sichern. Und wer ohnehin mit dem Rücken zur Wand steht, dürfte sich zum anderen über anvisierte Zusatzeinnahmen im Zertifikatehandel freuen, so die Annahme. Noch dazu passen die Pläne des Start-ups gut in die politische Großwetterlage von Farm-to-Fork- bis zur Biodiversitätsstrategie.

Zweiter Schritt: Geld für Kohlenstoffspeicherung

Die regenerative Bewirtschaftung der Äcker soll dazu führen, dass die Böden gesünder, auf Dauer ertragreicher und stressresistenter werden. In dem Zuge reichern sie Humus an und können Kohlenstoff binden. Ab 2021 will Indigo daraus eine Einkommensquelle für landwirtschaftliche Betriebe generieren. Pro gespeicherter Tonne Kohlenstoff sollen die Betriebe einen Betrag X erhalten. Dieser speist sich aus Einnahmen, die Unternehmen oder Einzelpersonen für ihre CO2-Kompensation zahlen. Derzeit kostet die Tonne 25 bis 30 € netto. Der Marktpreis kann schwanken und welche Beträge zur Kostendeckung aufgeschlagen werden, steht noch nicht fest.

Wir gehen davon aus, dass sich der Humus im Boden durch die Maßnahmen pro Jahr um 0,1 % steigern lässt." - Johann Hempel

„Das Projekt befindet sich in der Pilotphase“, sagen Johann Hempel und Dr. Wolfgang Benz. Der Prozess muss aufgebaut und zugelassen werden. „Noch sind Fragen offen.“ Aber die Grundidee steht und soll 2021 in die Tat umgesetzt werden: Indigo vereinbart mit den teilnehmenden Betrieben eine 10-Jahres-Regelung. Sie bewirtschaften ihre Flächen spätestens ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Regeln. Mithilfe von Eingangsmessungen und einer mathematischen Modellierung sagt Indigo die für jede Einzelfläche zu erwartende CO2-Fixierung voraus. Das heißt, im Jahr 0 steht eine Ausgangsmessung des Humusanteils mit Bohrstock in 0 bis 30 cm Tiefe an.

„Wir gehen davon aus, dass sich der Humus im Boden durch die Maßnahmen pro Jahr um 0,1 % steigern lässt“, erklärt Johann Hempel. Das sind in CO2-Equivalenten (CO2e) rund 2 t/ha. Ab Jahr 1 bekommt der Landwirt ein Zehntel der für den Programmzeitraum von zehn Jahren vorhergesagten Gesamtsumme ausgezahlt. 20 % jeder Zahlung werden als Rückstellung einbehalten. Diese deckt Jahre ab, in denen kein Zuwachs an fixiertem CO2 erzielt werden kann. Kontrolliert wird das jedes Jahr durch rechnerische Modellierungen und tatsächliche Messungen auf zufällig ausgewählten Flächen. Die Kosten dafür trägt Indigo - hofft aber, dass die Algorithmen mit mehr Daten stetig besser werden. Irgendwann, so das langfristige Ziel, könnten die Modellierungen die Messungen ersetzen. Für die Erarbeitung einheitlicher Messstandards arbeitet Indigo mit der unabhängigen amerikanischen Organisation „Verra“ zusammen.

Am Ende der 10-Jahre-Regelung hat der Landwirt 80 % der vorhergesagten Gesamtsumme erhalten. Dafür muss er durch die Rückstellung keine Rückzahlungen bei Nichterreichen der Ziele befürchten.

Datenerfassung: Effizienzsteigerung und Kontrolle

Hieran wird deutlich: Der Unterschied zu anderen Zertifikatsregelungen liegt in den intelligenten Vorhersagen. „Wir möchten verschiedene Werkzeuge einsetzen, um die Kohlenstoffspeicherung zu bewerten“, sagt Johann Hempel. So gelte nicht nur die Bodenprobe als Basis. „Wir bieten digitale Services an. Das heißt, wir setzen öffentliche Schlag- und Satellitendaten mit Ertragsdaten und Wetterdaten in Verbindung. Daraus modellieren wir eine Vorhersage, wie viel Kohlenstoff jeder Betrieb wahrscheinlich in der Lage sein wird, in den kommenden Jahren zu speichern.“

Da müssen die Landwirte etwas Ruhe mitbringen. Man sieht nicht so deutlich, woran ein Erfolg oder Misserfolg gelegen hat." - Dr. Wolfgang Benz

Außerdem könnten nach der Analyse Handlungsanweisungen ausgesprochen werden, wie in einem Bestand gegengesteuert werden muss, damit ein Ziel erreicht wird. „Wir können z. B. sagen: ‚Setz bei den Zwischenfrüchten statt auf Ölrettich und Lupinen auf Sandhafer und Phacelia‘“, konkretisiert Dr. Benz. Nicht zuletzt dienen die digitalen Tools dazu, die Erfolge der Bakterien-Anwendungen sichtbar zu machen. „Da müssen die Landwirte etwas Ruhe mitbringen. Man sieht nicht so deutlich, woran ein Erfolg oder Misserfolg gelegen hat.“

Indigo als "Datenkrake"?

Kritiker bezeichnen Indigo als Datenkrake, bei denen die teilnehmenden Betriebe maximal transparent werden müssen. Noch nicht geklärt ist, was passiert, wenn der Landwirt einer Handlungsempfehlung etwa aus Kostengründen nicht nachkommt (wenn Zwischenfrucht A teurer ist als Zwischenfrucht B). Johann Hempel kennt den Kraken-Vorwurf und bestätigt: „Die Daten sind natürlich auch Kontrollwerkzeug, ob wirklich regenerativ gewirtschaftet wurde. Aber letztlich ist es einfach: Wir können nur mit dem Einverständnis der Landwirte mit ihren Daten arbeiten. Und diese geben sie uns nur, wenn wir ihnen einen Mehrwert bieten.“

Indigo ist in Deutschland gerade erst angekommen. Für ein Urteil mag es zu früh sein. Landwirte, die bereits Anfragen des Unternehmens erhalten haben, bestätigen gegenüber f3, dass es derzeit noch wenig Konkretes zu testen gibt. Den Produktberatern ist das klar. Zu zweit sei man in der Kundenansprache limitiert. Derzeit sollen die Landwirte die neuen Produkte erst mal kennenler-nen und im besten Fall positive Erfahrungen machen. „Sie sollen feststellen, dass die Zusammenarbeit mit Indigo anders ist,“ sagt Johann Hempel.

Neues System, alte Abhängigkeiten?

Anders - das passt zur Vision von CEO Ron Hovsepian: Eine andere Art der Landwirtschaft etablieren. Einen Systemwechsel herbeiführen. Sein Ziel ist: Die Landwirtschaft löst das CO2-Problem der Welt und wird für die Bauern (wieder) lukrativ. Dass aber beim „Umkrempeln“ auch mal jemand eingeklemmt werden kann, schwingt mit. Und dass Wagniskapitalgeber, die eine Milliarde Dollar investiert haben, das nicht aus gutem Willen tun, sondern ein lukratives Geschäft anstreben, liegt auf der Hand. Indigo steht am Anfang. Bleibt zu hoffen, dass am Ende nicht die unterste Stufe der Produktion hintenüberfällt. Oder im neuen System in alten Abhängigkeiten steckt.

Finanzierung und Standbeine

Indigo wurde 2014 in Boston gegründet. 2019 erfolgte der Markteintritt in Europa. Hier sitzt das Unternehmen in Basel. Das Geschäftsmodell basiert auf mehreren Standbeinen: 1. Produktverkauf von mikrobiellen Saatgutbeizen bzw. Pflanzenstärkungsmitteln, 2. agronomische Services/Datenanalyse, 3. Zertifikathandel für Kohlenstoffspeicherung, 4. Marktplatz, auf dem Produkte gehandelt werden (hier werden auch Einnahmen aus der Logistikabwicklung generiert, seit 2018 über 1 Mrd. Dollar Umsatz)

Indigo wird über Wagniskapital finanziert. Folgende Investoren gaben bislang schon über 1 Mrd. Dollar: Flagship Pioneering (seit Gründung), Alaska Permanent Fund Corporation (Staatsfonds), Baillie Gifford (Investmentunternehmen, Schottland), Investment Corporation of Dubai (Staatsfonds) sowie mehrere Privatinvestoren und Familienunternehmen

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