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Ernährungssicherung: Was wird aus all den Öko-Plänen?

Viele Landwirte halten es angesichts verbreiteter Knappheiten für unverantwortlich, ökologische Ziele so weiterzuverfolgen wie bisher. DLG-Präsident Hubertus Paetow im Interview.

Lesezeit: 5 Minuten

Der völkerrechtswidrige (und wie sich gezeigt hat: auch verbrecherische) Angriff Russlands auf die Ukraine erschüttert uns alle. Er macht daneben erschreckend klar, dass viele Strategien, die eine dauerhaft friedliche Koexistenz der Staaten voraussetzen, ins Wanken geraten. Das gilt auch für die Agrarpolitik. Sind damit Green Deal, Nitrat- und Biodiversitätsstrategien von gestern?

Herr Paetow, kann die europäische und deutsche Agrarpolitik angesichts absehbarer Knappheiten noch so weitermachen wie bisher?

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Paetow: Die Preissteigerungen haben ja schon vor dem Krieg begonnen. Jetzt werden sie durch den potenziellen Ausfall der Region als Lieferant sowie durch die globale Krise auf den Energiemärkten noch einmal erheblich verstärkt. Eine ausreichende Versorgung der ärmeren Importländer in Afrika und Asien ist bereits heute in Gefahr. Damit ist die globale Ernährungssicherheit in einer Dringlichkeit und Dramatik wieder auf der weltpolitischen Tagesordnung angekommen, mit der man seit 2007 nicht mehr gerechnet hätte. Um aber die Frage zu beantworten: Die Konzepte und Strategien einer Transformation des deutschen und europäischen Agrarsektors bleiben zwar gültig, müssen jedoch im Angesicht dieser Situation neu durchdacht werden. Grundlage der aktuellen agrarpolitischen Strategien ist eine ausreichende Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, und die ist kurz- und mittelfristig nicht mehr selbstverständlich. Damit verringert sich der Spiel-raum für extensive Landnutzungskonzepte.

Heißt das, die ökologischen Ziele müssen sich der Produktivität beugen?

Paetow: Die Zielkonflikte zwischen Produktion auf der einen Seite und Klima/Umwelt auf der anderen sind bislang in jeder ernsthaft lösungsorientierten Diskussion ein zentrales Thema gewesen. Das Konzept einer ausbalancierten Nachhaltigkeit ist sowohl die Grundlage von Green Deal und Farm-to-Fork als auch die Leitlinie des Abschlussberichtes der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Vorschläge der Borchert-Kommission. Insofern müssen sich die Strategien nicht grundsätzlich ändern.

Schon das Pariser Klimaabkommen von 2015 enthält den bemerkenswerten und selten zitierten Satz, dass alle Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen zum Klimawandel in keinem Fall die Nahrungsmittelerzeugung gefährden dürfen. Mit einer Aufkündigung aller gemeinsam gefundenen Strategien für ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Ernährungssystem wäre niemandem geholfen. Das gilt sowohl für die Forderung der Freigabe aller ökologischer Vorrangflächen als auch für den Vorschlag einer Verminderung der Tierbestände, die nicht dem tatsächlichen Konsum folgt.

Haben nicht Krieg und Krise diese aus-balancierten Einigungen hinfällig werden lassen?

Paetow: Ich meine: Auf keinen Fall! Denn die Ziele der nachhaltigen Transformation sind nach wie vor gültig – in all ihrer Vielfalt und Komplexität! Eine extreme Intensivierung der Nahrungsmittelerzeugung mit gravierenden negativen Folgen für Biodiversität und Klima kann nur eine kurzfristige Entlastung auf den Märkten bringen. Langfristig kann Ernährung nur gesichert werden, wenn die Ökosysteme funktionsfähig bleiben und das Klima den Ansprüchen der Nutzpflanzen entspricht. Dazu müssen die Produktionssysteme ökologisch verträglich und klimaschonend weiterentwickelt werden – bei möglichst geringer Einschränkung der Flächenproduktivität.

Was bedeutet das konkret für den landwirtschaftlichen Betrieb?

Paetow: Ernährungssicherheit heißt höchstmöglicher Flächenertrag. Aber ob dieser zwangsläufig mit 100 kg/ha Stickstoffüberschuss und Ackern bis an den Grabenrand verbunden sein muss, stelle ich doch in Frage. Umgekehrt lässt sich Ökologisierung sicherlich durch ökologischen Landbau erreichen – aber wenn damit langfristig eine Ertragslücke von 30 bis 50 % verbunden ist, kann das nur als Auftrag zur Weiterentwicklung des Systems verstanden werden. In den Leitlinien der Zukunftskommission Landwirtschaft steht, dass eine Umstellung der Produktion im Sinne der ökologischen Ziele zu geringeren Erträgen und/oder höheren Produktionskosten führt, die zumindest in dem Maße ausgeglichen werden müssen, wie der betriebswirtschaftliche Erfolg sich durch die Ökologisierung vermindert. Dieser Teil der Rechnung ist durch die aktuelle Krise erheblich beeinflusst. Aber gerade daran ist zu erkennen, dass das Modell geradezu nach dem Prinzip kommunizierender Röhren (man könnte sogar sagen: marktwirtschaftlich) funktioniert.

Aha ...?

Paetow:Ein Beispiel ist die finanzielle Ausstattung der Eco-Schemes aus dem deutschen GAP-Strategieplan. Die basieren auf den betriebswirtschaftlichen Verhältnissen vor dem starken Anstieg der Getreidepreise. Heute werden sie viele Betrieben nicht in Anspruch nehmen. Sie sind betriebswirtschaftlich nicht attraktiv, weil die intensive Produktion selbst bei hohen Düngerpreisen an Vorzüglichkeit gewonnen hat. Wenn sich die Situation auf den Märkten über kurz oder lang wieder entspannt, sind aber wieder Situationen vorstellbar, in denen eine ökologische Extensivierung der Produktion betriebswirtschaftlich hochattraktiv sein kann.

Häufig wird so diskutiert, als gäbe es zwischen Produktion und Ökologie ausschließlich Zielkonflikte. Dabei gibt es aus dem Bereich der Innovationen vieles, was beiden Zielen gleichermaßen zugutekommt. Verlustärmere und bedarfsorientierte Düngeverfahren, neue Pflanzenschutzsysteme mit weniger Auswirkungen auf die Biodiversität, neue Sorten mit verbesserten Resistenzen sind nur ein kleiner Teil des Spektrums.

Manchmal hat man den Eindruck, als könne das alles in der Praxis viel schneller umgesetzt werden.

Paetow: Wer stellt denn (auch als Landwirt) gut funktionierende Geschäftsmodelle zugunsten innovativer Produkte infrage? Aufseiten der Gesellschaft sorgt das Vorsorgeprinzip dafür, dass Deutschland von wesentlichen Trends abgekoppelt ist. Der Satz, dass jedes Verbot auch ein Innovationstreiber ist, gilt eben nur, wenn man nicht auch die Innovationen verbietet. Wir brauchen in Deutschland grundsätzlich ein innovationsfreundlicheres Klima bei Erprobungsgenehmigungen, Forschungsförderung, Zulassungsverfahren und Regulierung.

Ihr Fazit?

Paetow:Die gemeinsam beschlossenen Strategien und insbesondere ihre Ziele stehen nicht zur Disposition. Ihre Umsetzung wird angesichts der steigenden Knappheiten aber noch anspruchsvoller als sie es ohnehin schon ist. Hier muss an vielen Stellen ohne Frage nachgesteuert werden, um die Instrumente den veränderten Anforderungen anzupassen.

Das Interview wurde von Thomas Preuße, DLG-Mitteilungen, geführt.

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