Rechtsanwältin Sonja Friedemann, Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband, Münster
Der Europäische Gerichtshof hat soeben die Klagerechte von Umweltverbänden erweitert. Ist von dem Urteil auch die Landwirtschaft betroffen?
Friedemann: Durchaus. Das gilt vor allem für Betriebe, die einen neuen Stall bauen wollen, und die über den BImSch-Grenzen liegen. Denn diese benötigen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, gegen die Umweltverbände künftig unmittelbar klagen könnten. Dazu reicht es, wenn sie sich auf den Schutz der Umwelt berufen, es müssen nicht mehr konkrete Rechte von Personen betroffen sein.
Können Umweltverbände künftig auch klagen, um z. B. Verordnungen für FFH- oder Naturschutzgebiete zu Lasten der Landwirtschaft zu verschärfen?
Friedemann: Nein, sie können nicht gegen die Verordnungen als solche klagen, sondern erst aktiv werden, wenn ein Landwirt z. B. ein Bauvorhaben plant, das Auswirkungen für das betreffende Schutzgebiet haben könnte.
Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will künftig den Tierschutzverbänden ein sehr weitgehendes Klagerecht einräumen. Welche Konsequenzen hätte es für die Landwirte, wenn das Gesetz durchkommt?
Friedemann: Ziemlich dramatische. Nicht nur, dass anerkannte Tierschutzverbände künftig erhebliche Mitwirkungsrechte bei jedem Gesetzgebungsverfahren hätten, das Fragen des Tierschutzes berührt. Sie müssten außerdem bei jedem Stallbau-Vorhaben eines Landwirts angehört werden und könnten unmittelbar gegen erteilte Baugenehmigungen klagen, wenn sie Tierschutzvorschriften verletzt sehen. Im Einzelfall können sich dadurch Stallbauvorhaben um mehrere Jahre verzögern, ohne dass der Landwirt dafür einen Ausgleich fordern kann.
Und auf Themen wie Schnabelkürzen oder Ferkel-kastration werden sich die Tierschutzverbände dann erst recht stürzen, oder?
Friedemann: Das ist zu erwarten. Hier besteht die Gefahr, dass durch die Verbandsklagen die Fristen, die die Landwirtschaft benötigt, um zu anderen Lösungen zu kommen, massiv verkürzt werden.
Ist ein Bundesland wie NRW überhaupt berechtigt, ein solch weitgehendes Gesetz zu erlassen?
Friedemann: Das ist höchst umstritten. Maßgebende Experten sind der Ansicht, dass ein so weit gehendes Verbandsklagerecht, wie es NRW jetzt plant, nur vom Bund eingeführt werden könnte. Aufgrund dieser Bedenken gibt es bisher nur in Bremen ein Verbands-klagerecht, das aber sehr eingeschränkt ist.-hgt-