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Faire Milch: Geschäfte in der Nische

Lesezeit: 11 Minuten

Faire Milch, regionale Milch, Milch ohne Gentechnik: Das Angebot an Milchsorten wird immer größer. Was haben die Erzeuger davon?


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Fast wöchentlich flattern Prospekte der Handelsketten mit neuen Milchmarken ins Haus: Real wirbt für die Bauernmilch, Rewe für „Bubi – Die faire Milch“, Netto hat „Ein Herz für den Erzeuger“ und Lidl bietet Milchprodukte als „Ein gutes Stück Heimat“ an.


Damit nicht genug: Auch Molkereien und Milcherzeuger mischen im Wettlauf um neue „Milch mit Mehrwert“ kräftig mit. Die Berchtesgadener Milchwerke loben ihre Bergbauernmilch mit gentechnik-freier Fütterung aus, die Breisgaumilch kommt mit Schwarzwälder Weidemilch und der BDM bringt die Faire Milch.


Seit dem Start der Bayerischen Bauernmilch vor zwei Jahren durch den Milchproduktenhandel Oberland in Miesbach schießen Programme, die mit regionaler Herkunft oder für faire Erzeugerpreise werben, wie Pilze aus dem Boden. Ein Ende ist (noch) nicht in Sicht. Experten vermuten, dass weitere Programme in Vorbereitung sind. So hat z. B. der Marktführer Aldi sein Herz für die Erzeuger bisher noch nicht entdeckt.


Wettlauf um Regalfläche


Die Antreiber sind in erster Linie die Handelsketten. Ihre Versprechen klingen gut: „Wir wollen zum Erhalt der heimischen Milchwirtschaft beitragen“, erklärt Heinz-Peter Bierwirth von der Rewe Dortmund-Tochter Bubi. Er hat gemeinsam mit der Molkerei Wiesehoff in Schöppingen „Bubi – Die faire Milch“ aufgezogen. Man wolle die Erzeuger am Kuchen teilhaben lassen, heißt es bei Edeka Südwest zur Produktlinie „Unsere Heimat.“


Soziale Verantwortung und der Bezug zur Heimat – gerade in Krisenzeiten kommt das beim Verbraucher offenbar gut an und dürfte daher vor allem der Imagepflege der Unternehmen dienen. Ein weiterer Grund für die Aktivitäten der Handelsketten dürften die sinkenden Umsätze sein. Mit dem Regional-Angebot sollen neue Kunden in die Märkte gelockt und höhere Preise durchgesetzt werden. Man wolle eine Alternative zum Preiseinstiegs-Sortiment der Handelsmarke bieten, erklärt Christhard Deutscher von Edeka Südwest in Offenburg.


Die neuen Angebote setzen einen unerbittlichen Wettlauf um Regalfläche und Kunden in Gang. Die Molkereien mit etablierter Markenmilch kommen unter Druck: „Die Regalfläche und die Kundschaft für hochpreisige Markenprodukte werden nicht größer. Daher müssen wir das Plus unserer Premium-Produkte noch besser kommunizieren“, so Barbara Steiner von den Berchtesgadener Milchwerken. Seit neuestem prangt deshalb auch auf der Bergbauernmilch aus Berchtesgaden das Label: „fair.“


Ob ihre Konzepte aufgehen, testen die Handelskonzerne bisher vorzugsweise in Bayern. Hier sitzen kaufkräftige Kunden mit einem traditionell sehr regional bezogenen Einkaufsverhalten. Wenn die Produkte bei den Verbrauchern im Freistaat gut ankommen, sollen sie bundesweit eingeführt werden.


10 bis 15 Ct über den Handelsmarken


Die Standard-Produkte sind bisher Frisch- oder H-Milch mit 3,5 % und 1,5 % Fett. Einige Handelshäuser wie z. B. Lidl oder Edeka Südwest bieten auch Quark, Sahne und Butter mit dem Regionallogo an. Zum Bauernmilch-Sortiment bei Real gehören Frischmilch, Butter und Käse.


Die Preise der neuen Fair-Milchmarken bewegen sich in der Regel zwischen 60 und 99 Ct. Häufig liegen sie 10 bis 15 Ct über der normalen Handelsmarke und noch leicht unter dem Niveau der Markenmilch. Bärenmarke oder Weihenstephaner Alpenmilch stehen in der Regel für 75 bis 99 Ct im Regal. Die Biomilch-Handelsmarken liegen knapp unter 1 €. Marken-Biomilch ist noch etwa 15 bis 20 Ct teurer.


Auffallend groß sind die aktuellen Preisabstände bei Lidl: Die H-Milch (3,5 %) von „Ein gutes Stück Heimat“ ist mit 99 Ct satte 45 Ct teurer als die Eigenmarke (54 Ct) und 10 Ct über der Weihenstephaner Alpenmilch (89 Ct).


Bei den meisten Programmen soll der Preisaufschlag zur Handelsmarke komplett den Erzeugern zugute kommen. Um eine gerechte Ausschüttung des Geldes kümmern sich meist unabhängige Wirtschaftsprüfer, bei „Bubi – Die faire Milch“ die Landesvereinigung der Milchwirtschaft in NRW.


Höhere Kosten


Bei den Programmen, die lediglich die regionale Herkunft der Milch ausloben, haben die Erzeuger keinen Mehraufwand. Die Molkereien müssen allerdings für getrennte Erfassung und Verarbeitung der Milch sorgen.


Höhere Auflagen und daher höhere Kosten haben dagegen die Lieferanten des Lidl-Programms und der fairen Milch des BDM. Lidl verlangt den Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel, die Teilnahme am QM-Programm und am Programm „Geprüfte Qualität Bayern“ (GQ) sowie Laufstall- oder Weidehaltung. Dass Milchbauern mit ganzjähriger Anbindehaltung nicht zugelassen sind, hat bereits zu heftigen Diskussionen geführt. Die Mehrkosten werden auf etwa 1 Ct/kg Milch kalkuliert.


Lieferanten der fairen Milch des BDM müssen ihre Tiere gentechnikfrei füttern und gentechnikfreies Saatgut einsetzen. Außerdem muss ein hoher Grünfutteranteil und die Teilnahme an einem Umwelt- oder Tierschutzprojekt nachgewiesen werden. Eine unabhängige Stiftung überwacht die Einhaltung der Kriterien.


Marktanteil noch gering


Ob die Fair-Konzepte aufgehen, ist bisher schwer zu sagen, weil die meisten Ketten konkrete Zahlen zum Absatz unter Verschluss halten. Sie geben sich aber optimistisch: „Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden“, erklärt Lidl-Sprecherin Petra Trabert. Stabil bis leicht steigend seien die Absatzzahlen bei der Bauernmilch von Real, berichtet Alexander Schwarzbach vom Milchproduktenhandel Oberland in Miesbach.


Bei Rewe in Dortmund hat sich der Absatz der „Bubi – Die faire Milch“ bei ca. 910 000 Litern im Monat eingependelt. „Unsere Erwartungen wurden übertroffen. Fast die Hälfte der Kunden für die bisherige Handelsmarke konnten wir für die faire Milch gewinnen“, versichert Hans-Peter Bierwirth.


Bei Netto liege der Absatz der „Ein Herz für Erzeuger“-Milch stabil bei 10 % des Gesamtumsatzes bei Trinkmilch, so Sprecherin Christina Stylianou.


Von deutlich steigender Nachfrage berichtet Jakob Niedermaier, der als Geschäftsführer der MVS GmbH für „Die faire Milch“ des BDM verantwortlich ist. Bisher kann er allerdings nur ca. 25 % der bereits zertifizierten Jahresmenge von 36 Mio. kg mit dem Label „fair“ in Rewe- und tegut-Märkten absetzen.


Dass der Marktanteil der fairen Milch noch gering ist, zeigen auch die Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK in Nürnberg. Danach machen die neuen fairen Milchsorten beim bundesweiten Trinkmilch-Absatz an Privathaushalte nur 0,7 % aus. Der Umsatzanteil liegt aktuell bei rund 1 %.


Die Akzeptanz der Programme beim Verbraucher steigt jedoch: „Rund 44 % der Verbraucher greifen mehr als einmal zur fairen Milch. Das ist ein guter Wert“, meint Steven Brechelmacher von der GfK. Die steigende Akzeptanz könnte jedoch auch daran liegen, dass das Preisniveau für die Milch inzwischen deutlich nachgegeben hat: Lag der durchschnittliche Preis für „faire Trinkmilch“ 2009 noch bei 77 Ct, ist faire  Milch heute im Schnitt für 65 Ct zu ­haben.


Mehrerlöse gering


Die Mehrerlöse für die Bauern sind bisher aufgrund der überschaubaren Absatzmengen bescheiden. Susanne Nüssel vom Verband der Bayerischen Privaten Milchwirtschaft erklärt: „Der Verbraucher denkt, dass der Erzeuger 10 Ct für jedes Kilogramm Milch mehr bekommt. In Wirklichkeit ist es wie in jeder Molkerei der Durchschnittserlös aus allen Produkten, der den Auszahlungspreis bestimmt.“


Bei den Genossenschafts-Molkereien kommen Zuschläge allen Mitgliedern zugute. Bei den Privatmolkereien liefern in der Regel nur einzelne Erzeugergemeinschaften in die Programme. Da nur sie von Zuschlägen profitieren, ist der Unmut unter den Lieferanten vorprogrammiert.


Netto verspricht 10 Ct pro verkauftem Liter. Bisher kamen tatsächlich nur 0,1 bis 1 Ct/l bei den teilnehmenden Bauern an. Ähnlich niedrig dürfte das Plus für die Lieferanten des Programms von Edeka Südwest sein, bei dem ein Zuschlag von 10 % auf den Produkt-Einkaufspreis garantiert wird.


Die MVS GmbH verspricht den 128 teilnehmenden Bauern 40 Ct pro verkauftem Liter fairer Milch. Bisher erhielten die Bauern für ihren Mehraufwand nach Angaben von Jakob Niedermaier einen Zuschlag von 3,46 Ct/kg Milch. Beim Fair-Programm von Rewe Dortmund bekommen die 160 beteiligten Bauern aus dem Münsterland 10 Ct pro Liter verkaufter Milch. Bisher landeten maximal 2 Ct/kg zusätzlich auf ihrem Konto.


Ähnlich schneidet „Ein gutes Stück Heimat“ von Lidl ab: Für das 1. Quartal bekamen die rund 260 Bauern 3,08 Ct/kg Milch. Damit bleiben nach Abzug der Mehrkosten von 1 Ct etwa 2 Ct übrig. Wie es allerdings weiter geht, ist fraglich, denn im Rahmen von Aktionswochen hat Lidl z.B. den Preis für H-Milch zeitweise von 99 auf 69 Ct gesenkt.


Hochpreis-Segment zersplittert


Experten bezweifeln, dass selbst bei deutlich höheren Absatzmengen für die Bauern mehr herausspringt. Ein Grund dafür ist, dass nur etwa 14 % der Milch überhaupt als Konsummilch verwertet werden und in diesem Segment kaum noch Wachstum zu erwarten ist. Höhere Wertschöpfung wird nur mit Käse oder Joghurt erzielt. „Der Handel, die Molkereien und die Milcherzeuger müssten dafür die Programme auf andere Produkte ausweiten und kräftig in die Markenpflege investieren. Diese Kosten dürften jedoch zumindest in der ersten Zeit mögliche Mehrerlöse für die Bauern drücken“, meint Dr. Hans-Jürgen Seufferlein vom Verband der Milcherzeuger in Bayern.


Branchenkenner befürchten, dass die etablierten Premiummarken und auch die Biomilch auf Dauer unter den neuen Milchsorten leiden werden: „Wenn die hochpreisige Markenmilch verdrängt wird und sich nur noch mit Preisabschlägen im Regal halten kann, haben wir nichts gewonnen“, erklärt Georg Keckl, Milchmarkt-Experte beim Niedersächsischen Landesamt für Statistik. Die Preis- und Qualitäts-Unterschiede zwischen den verschiedenen Milchsorten verwischen immer mehr. So ist zum Beispiel der Sprung von der Biomilch zur Lidl-Regionalmarke nicht mehr weit. „Die Gefahr ist, dass der Hochpreis-Bereich zersplittert und die Teile vom Kuchen kleiner werden,“ so Monika Wohlfahrt vom ZMB. Ein drohendes Szenario ist nach Dr. Seufferlein auch, dass der Verbraucher durch das derzeit unübersichtliche Angebot verunsichert wird, und dann erst recht bei seiner Gewohnheitsmarke bleibt.


Die Ketten versichern zwar, dass sie bisher keine Verschiebungen im Sortiment feststellen können. Biomolkereien berichten von stabilen Absatzzahlen. „Der Biokunde kennt die Qualitätsunterschiede und bleibt bei Bio“, ist sich Rüdiger Brügmann von Bioland in Augsburg sicher.


Genaue Zahlen gibt es dazu im Moment noch nicht. Allerdings hat die GfK 2009 bei der Biomilch und auch bei der hochpreisigen Markenmilch erstmals stagnierende und zum Teil sogar leicht rückläufige Absatzzahlen festgestellt. Die Wirtschaftskrise spiele hierbei sicher auch eine Rolle, so das Marktforschungsinstitut.


Steigt der Marktanteil?


Trotz des befürchteten Verdrängungswettbewerbs begrüßen es viele in der Branche, dass man sich mehr Gedanken um höhere Wertschöpfung macht.


Doch dass die faire Milch aus der Nische kommt, glauben selbst manche Verfechter nicht: „Auf den gesamten Milchmarkt gesehen wird das ein Randsegment bleiben. Für die Bauern würde es mich aber sehr freuen, wenn der Absatz weiter steigen würde“, erklärt Martin Boschet, Geschäftsführer der Hohenloher Molkerei in Schwäbisch-Hall. Er füllt Milch für die Programme von Netto und Edeka Südwest ab.


Auch der Milchindustrie-Verband ist skeptisch: „Der Verbraucher ist immer noch der Gleiche. Daher werden wir die Haushalte, die preisbewusst beim Discount kaufen, mit den neuen Milchprogrammen nicht erreichen“, erklärt Eckhard Heuser. Er rechnet auf Dauer mit einem Marktanteil von maximal 2 %.


Noch stärkere Zweifel an den Fair-Milch-Konzepten hat Susanne Nüssel: „Nur 40 % der gesamten Milch gehen in den Lebensmittelhandel und davon wiederum nur ein Bruchteil in die Konsummilch. 60 % dagegen gehen in die Industrie und den Export. Das ist das Zugpferd für die Erlöse!“


Viele geben der fairen Milch nur eine Chance, wenn es gelingt, dem Verbraucher ein Produkt mit einem zusätzlichen Nutzen zu bieten.


Dass den Verbrauchern allein die Botschaft „fair“ vermutlich zu wenig ist, zeigte sich an einem Projekt aus dem Raum Gütersloh. Dort konnten Verbraucher beim Kauf durch das Anstecken einer Wäscheklammer auf die Milchpackung freiwillig entscheiden, ob sie zusätzlich 7 Ct für die Erzeuger zahlen wollen. Das Projekt wurde sechs Wochen nach Beginn wieder eingestellt.


Nach vorne blicken


Optimistisch ist Karin Artzt-Steinbrink von der Upländer Bauernmolkerei: „Projekte mit einer ehrlichen und transparenten Botschaft haben durchaus eine Chance am Markt. Aus meiner Sicht haben die Projekte, an denen Milcherzeuger direkt beteiligt sind, die größte Glaubwürdigkeit. Denn hier ist sichergestellt, dass die Erzeuger auch davon profitieren.“ Die Upländer Bauernmolkerei hat bereits vor fünf Jahren die erste faire Bio-Trinkmilch mit einem Zuschlag von 5 Ct auf den Markt gebracht. Da 20 % der Liefermenge als Trinkmilch abgesetzt wurden, konnte ein Mehrerlös von 1 Ct/kg auf die gesamte Menge bezahlt werden. Aus praktischen Gründen wurden die fair-Aufkleber aber wieder aufgegeben: „Jetzt kalkulieren wir unsere Produktpreise so, dass wir für den Rohstoff 40 Ct bezahlen können. Das funk­tioniert recht gut!“ so Artzt-Steinbrink.


Und Jakob Niedermaier von der MVS GmbH hat neue Absatzmärkte in Nord- und Westdeutschland bereits fest im Blick: „Wir legen kontinuierlich zu und wollen die faire Milch bald bundesweit produzieren und verkaufen.“S. Lehnert

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