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„Jungsauenzucht ist kein Zuckerschlecken“

Lesezeit: 11 Minuten

Wie viel Zeit und Zuchtarbeit investiert werden muss, bis eine Jungsau verkaufsreif ist, hat Simone Niedermeier im „Power-Praktikum“ bei Züchter Heinrich Budde erfahren.


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Ferkelerzeuger werden immer anspruchsvoller: Sie verlangen hochgesunde Jungsauen, die große Würfe gebären und problemlos aufziehen. Um diese Erwartungen erfüllen zu können, stecken die Züchter viel Know-how in die Entwicklung ihrer Sauenlinien.


Aber wie viel Aufwand macht die Zuchtarbeit wirklich? Was muss man tun, damit die eigenen Herdbuchzuchttiere besser sind als die der Züchterkonkurrenz? All diese Fragen brannten mir unter den Nägeln, als ich mein ein-wöchiges Power-Praktikum im Herdbuchzuchtbetrieb der Herrensteiner Agrar Gesellschaft (HAG) im westfä-lischen Drensteinfurt-Walstedde startete.


Zuchtarbeit ist nie langweilig:

Schon kurz nach der Ankunft in Westfalen am späten Sonntagnachmittag wird mir klar, dass Heinrich Budde Züchter mit Leib und Seele ist. Denn bereits beim Kennenlernen während des Abendessens mit der Familie dreht sich das Gespräch gleich um die Schweinezucht. Heinrich Budde erklärt mir, dass ihn die Schweinezucht schon immer gereizt hat. „Die Zuchtarbeit ist hoch spannend, weil ständig neue Herausforderungen auf uns warten. Zuchtarbeit wird nie langweilig“, sagt mir Budde begeistert.


Der Unternehmer erklärt mir, dass die sechs Gesellschafter der HAG vor gut 15 Jahren die Idee hatten, groß in die Zuchtarbeit einzusteigen. „Wir wollten etwas Neues, Zukunftsfähiges aufbauen“, erinnert sich der Landwirt. Ende der 90er-Jahre baute man deshalb eine nagelneue Sauenzuchtanlage für 1 400 Stamm­sauen auf die grüne Wiese.


Gemeinsam wurde die so genannte Herrensteiner Agrar Gesellschaft mbH & Co. KG (HAG) gegründet. Budde leitet als geschäftsführender Gesellschafter die Tagesgeschäfte. Die 1 400 Stammsauen setzen sich je zur Hälfte aus Landrasse- und Edelschweintieren zusammen. Hinzu kommen noch 20 bestandseigene Eber. Alle Achtung! Es gehört schon viel Mut dazu, solch einen Schritt zu wagen.


Duschen ist Pflicht:

Nachdem ich am Anreisetag einen ersten Einblick in den Zuchtbetrieb der westfälischen HAG bekommen habe, ist am Montagmorgen dann der große Moment gekommen: Es geht endlich in den Stall. Ich bin schon ganz gespannt, was mich dort erwartet. Doch dann muss ich feststellen, dass ich gar nicht so einfach in die Sauenzucht-anlage hineinkomme, wie ich gedacht habe. Zuerst muss ich unter die Dusche. Neben der Dusche liegen saubere Stallkleidung und neue Schuhe für mich bereit.


Heinrich Budde erklärt mir, warum er betriebseigene Unterwäsche, Socken, Overalls und Stiefel parat hält. „Jeder Besucher kann über seine Schuhsohlen oder die Kleidung Krankheitskeime und Schmutz in den Stall einschleppen. Auch auf der Haut und in den Haaren können sich Keime festsetzen“, verdeutlicht mir der Züchter. Ohne vorheriges Duschen betritt deshalb niemand den Stall. Selbst Personen, die noch nie Kontakt mit Schweinen hatten, müssen zuerst unter die Dusche. Ich frage mich, ob das wirklich nötig ist? Sind Lehrer oder Beamte wirklich potenzielle Gefahrenquellen? „Nicht direkt“, erklärt mir Heinrich Budde, „aber wir wollen einfach kein Risiko eingehen.“ Jetzt sind auch bei mir letzte Zweifel verflogen.


Ferkelrutsche in der Wand:

Bei der Planung der Stallanlage haben Budde und seine Mitstreiter auch darauf geachtet, dass kein betriebsfremdes Fahrzeug zu nah an den Stall heranfahren muss. Die Blasleitungen für die Futter-Lkws hat man deshalb alle bis zum Schutzzaun verlängert. Und der Tiertransport erfolgt ausschließlich mit eigenen Fahrzeugen.


Besonders stolz ist man bei der HAG darauf, dass Tiere, die den Stall einmal verlassen haben, nicht wieder in den Stall zurücklaufen können. Im Betrieb gilt der Grundsatz: Wenn ein Tier einmal draußen ist, bleibt es auch draußen!


Ich frage mich natürlich, wie man das sicherstellt? Schließlich flitzt bei uns zu Hause immer mal wieder ein Absetz-ferkel von der Lkw-Rampe in den Stall zurück.


Heinrich Budde erklärt mir, dass alle Absetzferkel den Sauenstall ab dem 21. Lebenstag durch die Ferkelrutsche verlassen. Hierbei handelt es ich um ein in der Außenwand eingelassenes Kunststoffrohr mit 200 mm Durchmesser. In allen Abferkelabteilen sind solche Rohre eingemauert. Jedes Ferkel wird im Abteil zunächst rückwärts in das Rohr gesteckt, außen fängt ein Mitarbeiter das Tier auf. So ist tatsächlich sichergestellt, dass kein Tier zurücklaufen kann. Coole Idee, finde ich.


Nachdem die Ferkel verladen sind, werden sie mit dem Lkw oder dem Autoanhänger in mehrere Aufzuchtställe gefahren. Die Ställe werden von insgesamt vier Partnerbetrieben der HAG betreut. Am Sauenstall selbst gibt es keine Aufzuchtplätze. Heinrich Budde will die Ferkel möglichst früh räumlich von den Sauen trennen. So will er verhindern, dass Krankheiten im Stall die „Runde machen“.


Klare Aufgabenteilung:

Nachdem ich mittlerweile allerlei über das Hygiene-konzept gelernt habe, ist es jetzt endlich soweit: Die Stalltür öffnet sich, und ich betrete die Zuchtanlage.


Zuerst lerne ich die Mannschaft des Betriebes kennen. Johannes Baumann (42) ist der Betriebsleiter. Er ist der Herr der Zahlen. Er entscheidet zum Beispiel, welche Sau mit welchem Eber belegt wird. Johannes trägt also einen großen Teil der Verantwortung dafür, dass die HAG erfolgreich ist.


Ramona Kohring (25) kümmert sich um die Versorgung und das Wohlbefinden der Sauen und Ferkel im Abferkelstall. Nikolei Warkentin (23) betreut die tragenden Sauen und zapft die bestands-eigenen Eber ab. Andre Buß (18) ist der Lehrling im Betrieb und „mischt“ bei allen Arbeiten tatkräftig mit. Arthur Gajewski (37) lerne ich leider nicht kennen, denn er hat Urlaub.


Bereits beim ersten Stalldurchgang mit Johannes fällt mir auf, dass er jede einzelne Sau genau beobachtet. Dabei lässt er sich Zeit. Von Eile ist beim Stalldurchgang jedenfalls nichts zu spüren. Mich interessiert natürlich, worauf er achtet. Hierzu Johannes: „Die Sauen müssen gesunde Klauen haben und mindestens 15 funktionsfähige Zitzen. Nur wenn unsere Jungsauen beim Kunden problemlos laufen können, kommen sie in der Gruppenhaltung gut zurecht. Und nur wenn ihre Gesäugeleiste gut ausgebildet ist, sind sie in der Lage, eigenständig mehr als 12 Ferkel erfolgreich aufzuziehen.“


„Gibt es noch weitere Beurteilungskriterien?“, frage ich. „Ja, wir schauen uns jeden Wurf ganz genau an. Unser Ziel sind gleichmäßige Würfe und frohwüchsige Ferkel. Außerdem kontrollieren wir sehr genau die Futteraufnahme der Sau während der Säugezeit. Sauen, die viel fressen, bilden mehr Milch“, meint Johannes.


Zuchtarbeit kostet Zeit:

Dann erklärt mir Johannes die weiteren Schritte der HAG-Zuchtarbeit. Alles beginnt mit der gezielten Auswahl der Sauen und Eber, aus deren Anpaarung später die Zuchtferkel hervorgehen.


Wöchentlich ferkeln in der Anlage rund 60 Sauen ab. 45 Sauen werden mit dem Ziel angepaart, daraus „German Hybrid Zuchtferkel“ zu produzieren. Die DL-Sauen werden mit DE-Ebersperma belegt und die DE-Sauen mit Sperma von DL-Ebern.


Zehn weitere Sauen, die Spitzentiere jeder Abferkelgruppe, sind für die eigene Nukleuszucht vorgesehen. Die Nachkommen der Nukleustiere stellen quasi die nächste Zuchtsauen-Generation in den Basiszuchtbetrieben. Die Tiere werden nach einem eigenen Anpaarungsschema mit Sperma von ausgewählten Vorstufenebern belegt. Entscheidend dabei: Es werden nur solche Sauen ausgewählt, die neben einer guten Fruchtbarkeit auch in allen anderen wirtschaftlich relevanten Merkmalen – Futterverwertung, Muskelfleischanteil usw. – Spitzenleistungen aufweisen. Über diesen Weg wird die Remontierung in der HAG und in zwei angeschlossenen Vermehrungsbetrieben gesichert.


Die fünf leistungsschwächsten Sauen einer Gruppe werden mit Piétrainsperma besamt. Deren Ferkel werden als Mastferkel vermarktet. So wird sichergestellt, dass nur die besten Sauen der Herde zur Weiterzucht herangezogen werden.


Fünfstufige Leistungsprüfung:

Damit Johannes später weiß, ob die Anpaarungsentscheidungen richtig waren, werden alle Sauen und Nachkommen einer Leistungsprüfung unterzogen. „Ich muss schließlich wissen, was hinten rausgekommen ist“, erklärt mir Johannes. Die Leistungsprüfung der HAG basiert auf fünf Bausteinen:


  • Fruchtbarkeitsmonitoring,
  • Exterieurbeurteilung,
  • Eigenleistungstest,
  • Stationsprüfung,
  • BLUP-Zuchtwertschätzung.


Ganz schön viel Aufwand, der hier betrieben wird, finde ich. Doch Heinrich Budde und Johannes Baumann machen mir klar, dass die Sauenzucht ohne intensive Leistungsprüfung heute nicht mehr möglich ist. „Wir dürfen uns einfach keine Fehler erlauben. Wir müssen sehen, dass wir genau die Tiere produzieren, die die Sauenhalter verlangen“, betont Heinrich Budde. Das leuchtet ein.


Und was steckt nun genau hinter dem Fruchtbarkeitsmonitoring? Johannes erklärt mir, dass bei jeder Sau z. B. alle lebend- und totgeborenen Ferkel erfasst werden. Daraus wird dann der Zuchtwert „lebend geborene Ferkel“ errechnet. „Unser Ziel ist, Sauen zu selektieren, die viele, gleichmäßige und vitale Ferkel produzieren“, verdeutlicht mir Johannes.


Das Fruchtbarkeitsmonitoring ist aber noch viel umfangreicher, wie ich wenig später erfahre. Im Betrieb Budde werden auch Zuchtwerte für die Zitzenanzahl und die -qualität berechnet. Das Ziel sind unter anderem eine gleichmäßige Zitzenverteilung und eine gute Zitzenform. Außerdem soll die Zitzenleiste möglichst weit vorn beginnen. „Wieso ist das so wichtig?“, frage ich. „Vorne sind immer die milchstärksten Zitzen zu finden. Daher ist es gut, wenn die Zitzenleiste so weit vorn wie möglich beginnt. Außerdem ist dann mehr Platz für die übrigen Zitzen vorhanden“, erklärt mir Heinrich Budde.


Jetzt will ich wissen, wie viele Zitzen die ausgelieferten Jungsauen des Betriebes im Schnitt aufweisen. „Über 15!“, betont Johannes zufrieden. Wow, nicht schlecht, denke ich. Heinrich Budde ergänzt noch, dass die Erhöhung der Zitzenzahl zum Teil auch den Ebern zu verdanken ist. „Der Eber Pinot zum Beispiel vererbt bei seinen Nachkommen durchschnittlich 15,8 Zitzen. Und der Eber Normanne bringt es sogar auf 18 top ausgeprägte Zitzen“, erklärt mir der westfälische Züchter stolz.


Körperbau unter der Lupe:

Und was hat es mit der Exterieurbeurteilung auf sich? „Die nutzen wir, um festzulegen, wie welche Sau weiter genutzt wird“, erklärt mir Johannes. Die Exterieurbeurteilung erfolgt in zwei Schritten. Zuerst bewertet Johannes die Zuchtsauen im Stall per Auge. Seine Eindrücke hält er in einem Beurteilungsbogen fest. So weiß er immer, wie welche Sau einzuschätzen ist. Einmal jährlich wird der gesamte Bestand zusätzlich von der German Genetic-Zuchtleitung begutachtet. Das ist quasi die Meisterprüfung für den Betrieb.


Danach erhalten alle Zuchtsauen ihren so genannten Verwendungscode. Hier wird festgelegt, wie die Sauen weiter genutzt werden – zur Produktion von Zuchtferkeln bzw. Jungsauen oder zur Nukleuszucht. Die Exterieurbeurteilung kostet viel Zeit. „Allein für die Zuchtarbeit beschäftigen wir mittlerweile zwei Arbeitskräfte. Zuchtarbeit ist eben kein Zuckerschlecken. Sie macht viel Mühe und Arbeit“, erklärt Heinrich Budde.


Als wäre der Aufwand nicht schon groß genug, folgt auch noch ein Eigenleistungstest. Bei diesem müssen die im Sauenstall geborenen Ferkel zeigen, was sie können, erfahre ich. Der Test erfolgt im Partnerbetrieb Maria Budde. Hier werden alle Leistungsdaten der Jungsauen genau ermittelt und ausgewertet. Zudem wird jedes Tier zwischen dem 150. und 170. Lebenstag in den Selek-tionsraum getrieben. „Hier begutachten wir den ‚Körperbau‘ der Jungsauen“, erklärt mir Heinrich Budde.


Regelmäßige Stationsprüfung:

Neben der eigenen Leistungsprüfung schickt man in der HAG regelmäßig Nachkommen in die Mastprüfungsanstalt der LWK Nordrhein-Westfalen, Haus Düsse. Bei dieser Prüfung werden zwei männliche Nachkommen einer Muttersau aufgestallt. Pro Jungeber werden mindestens zehn Ferkel geprüft. „Mithilfe der Stationsprüfung erfahren wir, wie gut die Nachkommen abschneiden. Vom Ergebnis hängt ab, ob eine Muttersau weiter zur Zucht genutzt wird, oder ob das Tier ausscheiden muss“, beschreibt mir der Züchter das Prozedere.


Allmählich wird mir immer klarer, dass die Züchter keine Kosten und Mühen scheuen, um einen möglichst großen Zuchtfortschritt zu erreichen. Das müssen sie aber auch. Denn wenn die Konkurrenz ihnen davonzieht, bleiben sie auf den eigenen Jungsauen sitzen. Und das kann sich kein Züchter leisten.


Zum Schluss frage ich mich: Wer verarbeitet eigentlich die ganzen Daten? Heinrich Budde erklärt es mir. „Alle Daten und Ergebnisse werden in der BLUP-Zuchtwertschätzung zusammengefasst. Diese Arbeit erledigen die Experten des Zuchtverbandes in Stuttgart (SZV) für uns. Sie errechnen den Gesamtzuchtwert sowie die Teilzuchtwerte Fruchtbarkeit, Tageszunahme, Futterverwertung und Fleischanteil“, so der Landwirt.


Niemals hätte ich gedacht, dass die Zuchtarbeit dermaßen viel Aufwand bedeutet. Überwältigt bin ich auch davon, wie konsequent man im Betrieb der westfälischen HAG auf Hygiene setzt. Das kannte ich bislang nicht. Besonders die Ferkelrutsche werde ich noch lange in Erinnerung behalten.


Nochmals vielen Dank an alle, die mir das Praktikum ermöglicht haben.-ar-

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