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Biogas: Strom, Gas und Wärme sind gefragt

Lesezeit: 10 Minuten

Die Biogasbranche befindet sich im Umbruch. Wir haben mit Experten aus verschiedenen Regionen über aktuelle und künftige Geschäftsfelder gesprochen.


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Zeiten wie aktuell hat die Biogasbranche noch nie erlebt: Bis vor Kurzem noch als teuerste Technologie unter den erneuerbaren Energien verschrien, liefern die Anlagen heute Strom, Gas und Wärme um einiges kostengünstiger als fossile Energieträger. Unter aktuellen Marktpreisen könnten die Anlagen sogar ganz ohne Förderung klarkommen. Eine typische landwirtschaftliche Anlage mit 500 kW installierter Leistung, die mit mehreren BHKW und großen Gas- und Wärmespeichern flexibel auf den Strompreis reagieren kann, hat allein im Monat Juni bis zu 20000 € Zusatzerlös im Strommarkt erwirtschaftet. Und auch das Biomethan aus teuren nachwachsenden Rohstoffen ist mit 10 ct/kWh (Heizwert) günstiger als Erdgas.


Stilllegung droht


Dennoch schaut die Branche nicht ausnahmslos positiv in die Zukunft. So denken doch einige Anlagenbetreiber über eine Stilllegung der Anlage nach, wenn die 20-jährige EEG-Laufzeit endet. „Ständig steigende Anforderungen und eine wachsende Bürokratie nehmen den Betreibern die Lust und gefährden die Wirtschaftlichkeit“, sagt Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas.


Dazu kommt, dass die Politik seit Jahren keine positiven Signale an die Branche sendet – z.B. mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das seit der Fassung aus dem Jahr 2009 immer schlechter für die Biogasbranche wurde. „Ohne die aktuelle Preisentwicklung auf diversen Märkten würden viel mehr Betreiber über eine Stilllegung der Anlage nachdenken“, ist er überzeugt. Daran können auch die jüngsten Ankündigungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nichts ändern, wonach die Bundesregierung aufgrund der Gaskrise übergangsweise die Produktionsgrenzen bei der Strom- und Gasproduktion aufheben will. Denn, wie so häufig in den letzten Jahren, ist es wieder nur eine Ankündigung.


Dazu kommt die angespannte Situation auf den Höfen. „Einige Betreiber haben keinen Nachfolger oder fühlen sich mit technischen und unternehmerischen Herausforderungen überfordert“, sagt Biogasberater Roland Schulze Lefert von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.


Seiner Erfahrung nach sind 5% der Anlagen baulich und technisch nicht für den Weiterbetrieb geeignet. Die nötigen Investitionen in Motoren, Abgastechnik, Substrateintrag, Rührwerke, gasdichte Abdeckungen und Lagerraum sind höher als der Neuwert einer vergleichbaren Anlage. Diese Investitionen wären aber oft nötig, um die Anforderungen wie die der Düngeverordnung (Lagerraum), der 44. BImSchV (Abgasgrenzwerte) oder den Umstieg auf schwierigere Substrate (Maisdeckel im EEG) zu erfüllen.


EEG nicht attraktiv


„Es gibt Anlagen, die immer modernisiert haben, aber für die die Höchstgebotswerte im Ausschreibungsverfahren nicht auskömmlich sind“, sagt Sascha Hermus, zuständig für Energiepflanzen und Prozessketten beim Kompetenzzentrum „Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie“ (3N) mit Sitz in Werlte.


Andere Anlagen müssten zur Teilnahme am Ausschreibungsverfahren viel investieren – z.B., um die Anlage, wie im EEG gefordert, zur Flexibilisierung doppelt zu überbauen. „Wenn sie guten Zugang zu Gülle und Mist haben, werden sie den Betrieb eher komplett auf Treibstoffproduktion umstellen“, erwartet Hermus. Angesichts der geopolitischen Lage hält er es für geboten, um jede Anlage zu kämpfen. „Wir werden daher sukzessive mit Experten jede Anlage durchleuchten und nach Möglichkeiten für den Weiterbetrieb suchen“, sagt er.


Biomethan im Fokus


Ein starker Trend ist im Moment die Biomethanproduktion und Einspeisung ins Erdgas. Grund: Das Gas lässt sich flexibel einsetzen, vor allem im Kraftstoffmarkt. „Wir erleben einen enormen Nachfragesog beim Biomethan. Die Mineralölwirtschaft steht aufgrund der Treibhausminderungspflicht in der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) enorm unter Druck“, sagt Uwe Welteke-Fabricius vom Biogasnetzwerk „Flexperten“. Das Konzept der handelbaren Treibhausgas-Minderungsquote (THG-Quote) für Biogas aus Gülle und Mist hat seiner Beobachtung nach die Preise in schwindelige Höhen getrieben.


Sascha Hermus erwartet, dass neben dem verflüssigten Biomethan (Liquefied Natural Gas, LNG) auch komprimiertes Biomethan (Compressed Natural Gas, CNG) eine Rolle spielen wird. Denn die Komprimierungskosten sind im Vergleich zu LNG günstiger.


Das bei der Biogasaufbereitung anfallende CO2, das aus dem Rohbiogas herausgereinigt wird, lässt sich künftig auch verstärkt nutzen – entweder in flüssiger Form als Rohstoff in der Industrie oder in der Lebensmittelproduktion. „Es könnte aber auch auf den Biogasanlagen mit der Zugabe von grünem Wasserstoff zur Methanproduktion genutzt werden“, schlägt Hermus vor. Mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten würde dieser Weg weitere Einnahmen für Anlagenbetreiber bedeuten.


Möglicher zusammenschluss


„Langfristig werden nur Konzepte zukunftsfähig sein, die eine vollständige Verwertung bzw. Vergütung jeder Kilowattstunde Biogas ermöglichen“, erwartet Roland Schulze Lefert.


Wenn das Gasnetz für einzelne Anlagen zu weit weg ist oder sich eine eigene Gasaufbereitung nicht rechnen sollte, könnte ein Anlagenzusammenschluss interessant werden. „Die Betreiber könnten dann das wirtschaftliche Optimum aus verschiedenen Konzepten herausholen“, sagt er. Gerade bei der hohen Anlagendichte im Münsterland oder am Niederrhein hält er einen Zusammenschluss über eine Rohbiogasleitung für relativ einfach.


Attraktiver Strommarkt


Aktuell erlebt aber auch die Stromerzeugung vor Ort eine neue Blüte. „Die Versorgungsengpässe beim Erdgas haben die Preise und Erlöse gleich mehrfach enorm getrieben“, sagt Welteke-Fabricius. Der Börsenstrompreis, der lange Jahre bei nur 2 bis 3 ct/kWh lag, ist teilweise sogar auf bis zu 50 ct/kWh gestiegen.


Mittelfristig werden die hohen Preise wegen der zunehmenden Erzeugung von kostengünstigem erneuerbarem Strom zwar wieder zurückgehen. Dennoch wird der hohe Erdgaspreis die Zusatzerlöse aus flexibler Stromerzeugung nachhaltig verbessern. „Daneben sind auch die Erlöse beim Verkauf der Wärme gestiegen“, beobachtet er. Viele Betreiber haben früher Wärme für maximal 2 bis 3 ct/kWh abgegeben, um den Kunden bei niedrigen Öl- oder Gaspreisen eine Alternative bieten zu können. „Heute ist jeder Wärmekunde froh, wenn er weniger als 20 ct/kWh zahlen muss. Der Preis für Wärme aus Biogasanlagen dürfte langfristig bei über 10 ct/kWh liegen“, sagt Welteke-Fabricius voraus. Wegen der auch langfristig hohen Erlöse am Strom- und Wärmemarkt sieht er die EEG-Vergütung nur noch als Rückfalloption.


„Der hohe Börsenstrompreis ist aktuell auch nötig, um die teilweise extremen Preissteigerungen für Ersatzteile, aber vor allem beim Substratpreis zu decken“, sagt Florian Weh, Geschäftsführer der Beratungsorganisation „renergie Allgäu“ aus Kempten (Bayern). Sollte der Börsenstrompreis wieder sinken, könnte der auf zehn Jahre fixierte Höchstgebotswert in dem Ausschreibungsverfahren von nur 16 ct/kWh zu niedrig sein. „Es gibt für die Betreiber keine Planungssicherheit, da es im Strombereich – anders, als bei der Wärmelieferung – keine Preisgleitklauseln gibt“, bemängelt er. Ohne Zusatzerlöse können 16 bis 18 ct/kWh nicht mehr auskömmlich sein. Dann könnte es passieren, dass auch Betreiber im Zeitraum der Anschlussvergütung aussteigen und ihre Anlage endgültig stilllegen.


Das wäre für die Versorgung fatal, zeigt eine Kurzstudie des Deutschen Biomasseforschungszentrums zum erneuerbaren Stromsystem im Jahr 2035. Eine Weiterentwicklung des heutigen Anlagenbestandes bietet die Chance, die zunehmenden Schwankungen bei der Stromversorgung von Windkraftanlagen und Photovoltaik auszugleichen, heißt es darin. Auch die Studienautoren führen hohe formelle Anforderungen, geringe Vergütungssätze, gestiegene Investitions- und Finanzierungsrisiken sowie steigende Kosten als Be-gründung an, weshalb die Zahl der Anlagen sinkt – wenn sich nichts ändert.


Künftige Märkte


Die flexible Stromproduktion bleibt daher als Option bestehen. „Im Markt werden sich künftig aber nur noch solche regelbaren Erzeugungsanlagen halten, die sich mit hoher Flexibilität auf die Spitzenlastdeckung spezialisieren – und mit Hilfe von Wärmepuffern gleichzeitig Erlöse für die Wärme erzielen“, erwartet Welteke-Fabricius.


Wie die von uns befragten Experten erklären, gibt es neben dem Wärmeverkauf künftig weitere attraktive Märkte außerhalb des EEG:


  • Der Verkauf von Gärrestprodukten als Mineraldüngerersatz: Dazu zählen streufähiges Granulat, Gärrestpellets und andere Formen, die nicht nur eine exakte Düngung, sondern auch einen Transport über weitere Strecken ermöglichen. Gerade in Nährstoffüberschussregionen können Biogasanlagen damit auch Probleme der Tierhalter lösen.
  • Weitere „Problemlösungen“ wie die Vergärung von blühenden Wildpflanzen, die der Biodiversität dienen, oder von überschüssigen Nebenprodukten oder Ernteresten wie z.B. Maisstroh. Dazu kommt der Aufwuchs von Naturschutzflächen oder von wiedervernässten Moorflächen. „Zudem können die Anlagen Futterreste, Schad- oder Bruchgetreide verwerten“, sagt Uwe Welteke-Fabricius.
  • Das aus ökologisch wertvollen Substraten hergestellte Biogas könnte ein wichtiges Bindeglied im Nährstoffkreislauf spielen und viel synthetischen Dünger (und damit Treibhausgasemissionen) einsparen.
  • Biogasanlagen werden in unmittelbarer Nähe verschiedene Gewerbebetriebe oder Produktionsanlagen anziehen, es wird zu einer starken Verzahnung von Stoffströmen kommen, erwartet Sascha Hermus: „Dazu zählt beispielsweise die Produktion von Fischen, Algen, Gemüse oder Pilzen.“


Was zu tun ist


Der Gesetzgeber hat zwar auch im EEG 2023 der Biogasbranche kaum Perspektiven gegeben. „Wenn nun die angekündigte Biomassestrategie der Bundesregierung die richtigen Punkte adressiert, besteht aber die Hoffnung, dass die Zahl der Anlagen nicht weiter sinken wird“, erwartet Biogasberater Schulze Lefert.


Immer wieder nennen die Experten fehlende oder widersprüchliche Rahmenbedingungen als Hemmschuh für die weitere Entwicklung. „Viele Anlagen würden gerne mehr Gülle einsetzen. Aber wir kämpfen in Niedersachsen noch immer mit hohen Auflagen oder sogar dem Verbot, bestehende Güllebehälter als Gärrestlager einsetzen zu dürfen“, nennt Hermus ein Beispiel. Die Politik habe nicht verstanden, dass damit viele Emissionen von Lachgas, Ammoniak und Methan vermieden werden könnten. „Alle Beteiligten aus dem Baurecht, dem Wasserrecht, dem Klimaschutz und weitere Behörden und Institutionen müssen zusammen praxisgerechte Lösungen erarbeiten. Die überbordende Bürokratie muss ein Ende haben“, fordert er. Ansonsten werde es unmöglich, dass der politische Kurs auf kommunaler Ebene auch tatsächlich umgesetzt werden kann.


Von den Betreibern dagegen erhofft er sich, dass sie ganzheitliche Ansätze verfolgen und die Möglichkeiten als Chance sehen – anders als in den Anfangsjahren des EEG, wo viele Neueinsteiger nur nach Bonioptimierung im EEG gesucht haben.


Für Florian Weh müsste die Güllevergärung unabhängig von der Stromeinspeisung bzw. einer Einspeisevergütung lukrativ werden. Dazu müsste man die CO2-Einsparung bewerten und von der Energieerzeugung entkoppeln. „Das wäre auch im Hinblick auf das Sektorziel der Landwirtschaft nach dem Klimaschutzgesetz interessant“, sagt der renergie Allgäu-Geschäftsführer. Denn 15% der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft stammen aus der Gülle. Die Biogasanlage könnte beispielsweise im Lohnbetrieb auch für andere Tierhalter Gülle ‚demethanisieren‘ und das über CO2-Zertifikate finanzieren.


Das DBFZ sieht trotz der aktuell attraktiven Preissignale auf den Strommärkten für viele Anlagenbetreiber und deren Banken finanzielle Risiken für weitere Flexibilisierungsmaßnahmen – vor allem die Kombination aus der Laufzeitbegrenzung der Flexibilitätsprämie für Anlagen, die diese bereits beziehen, und die verkürzte Förderdauer von nur zehn Jahren für Bestandsanlagen im Ausschreibungsverfahren. Damit sei es schwer, zusätzliche Anlagenkomponenten über deren technische Laufzeit abzuschreiben, heißt es in der Studie. Diese Hemmnisse ließen sich entweder durch eine angepasste Flexibilitätsprämie oder eine 20-jährige Vergütungsdauer für Bestandsanlagen beseitigen.


Ihr Kontakt zur Redaktion:hinrich.neumann@topagrar.com


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Die Biogasbranche musste sich in den letzten 20 Jahren auf viele Herausforderungen einstellen. Jetzt bietet sie ein Stück Unabhängigkeit von russischem Erdgas. Die Aussichten sind sehr gut.

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