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„Die Politik vernachlässigt die Energieproduktion aus der Landwirtschaft“

Prof. Jörn Stumpenhausen von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf berichtet im top agrar-Interview über die Potenziale der landwirtschaftlichen Solarstromproduktion.

Lesezeit: 5 Minuten

Prof. Jörn Stumpenhausen lehrt an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf Verfahrenstechnik Tierproduktion und Landwirtschaftliches Bauwesen. Er ist u.a. beteiligt an dem Forschungsprojekt CowEnergy. Er sieht noch viel Potenzial für die Landwirtschaft, um Strom selbst verbrauchen zu können und sich gegen Stromausfälle zu wappnen. Landwirte können aber auch gesellschaftliche Aufgaben wie die Stromversorgung von Dörfern oder als Leitstelle im Katastrophenschutz übernehmen, erklärt er im top agrar-Interview.

Das Interesse der Landwirte an der Solarstromproduktion ist aktuell sehr hoch. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

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Stumpenhausen: Das Thema ist vielschichtig. Die Landwirte wollen sich mit günstigem Solarstrom unabhängig von teurem Strom aus dem Netz machen. Außerdem behalten sie mit der eigenen Solaranlage die Stromproduktion in der eigenen Hand – etwas, was seit dem Ukrainekrieg deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Und immer wieder gibt es ungeplante Stromausfälle, gegen die sich ein Betrieb mit Solaranlage und Stromspeicher absichern kann. Gerade bei Milchviehhaltern haben Ausfälle eine große Bedeutung, weil Melkmaschine oder Roboter bzw. Milchkühlung auch ausfallen.

Dazu kommt, dass viele Betriebe eigene Solaranlagen haben, die heute schon oder demnächst keine Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr bekommen. Auch sie suchen nach Alternativen bei der Vermarktung. Dazu gehört, Strom an Nachbarn zu verkaufen. Aber das ist rechtlich so gut wie unmöglich. Die regionale Energieversorgung könnte dann nebenbei zur Imagesteigerung in der Landwirtschaft beitragen. Andere Betriebe stellen bestimmte Betriebsabläufe auf Elektroantrieb um, wie z.B. auf Roboter zum Füttern oder Futteranschieben.

Das hört sich so an, als wenn der Betrieb künftig viel Strom selbst benötigt. Ist dann überhaupt noch etwas übrig für die Vermarktung?

Stumpenhausen: Auf jeden Fall. Unser Forschungsprojekt zeigt, dass man pro Kuh und Jahr rund 1000 kWh Strom vom Stalldach ‚ernten‘ kann. Im Stall selbst benötigt man pro Kuh 500 kWh. Nehmen wir allein Bayern mit seinen 1 Mio. Kühen, dann wären das 500 Mio. kWh Strom, was rechnerisch für die Versorgung von über 100.000 Haushalte ganzjährig versorgen könnten. Kurzum: Der Milchviehbetrieb kann sich auf jeden Fall selbst mit Strom versorgen.

Wird denn eine Batterie zum Standard in der Landwirtschaft?

Stumpenhausen: Die Stromspeicherung ist notwendig, weil Betriebe mit Melkroboter z.B. auch nachts Strom benötigen. Aber auch aus energiewirtschaftlicher Sicht ist es sinnvoll, wenn gerade die größeren Anlagen von Gewerbe- oder Landwirtschaftsbetrieben nicht alle mittags Strom ins Netz einspeisen. Zur Vermeidung von Einspeisespitzen und zur Stromspeicherung können Milchviehbetriebe aber auch auf Eiswasserspeicher z.B. zurückgreifen.

Batterien sind noch sehr teuer. Und in der Landwirtschaft sind große Geräte gefragt.

Stumpenhausen: Ja, wir haben einen Landwirt in unserem Projekt mit einem Batteriespeicher mit 137 kWh Kapazität, die den Betrieb bei Stromausfall für eineinhalb Tage versorgen kann. Aber es gäbe noch eine weitere Möglichkeit: Hoflader, Futtermischwagen und Traktoren mit Elektroantrieb haben auch große Akkus. Sie könnten künftig ebenfalls Strom liefern.

Aber die Maschinen benötigen doch auch selbst Energie. Wie sollen sie da Strom abgeben können?

Stumpenhausen: Eine Maschine für die Hofarbeit kommt im Jahr vielleicht auf 400 Betriebsstunden. Das Jahr hat aber 8760 Stunden. Ein Traktor oder ein Lader steht also längere Zeit ungenutzt herum, in der man den Akku auch zur Stromversorgung nutzen könnte. Hierzu müssten die Maschinen aber auch technisch in der Lage sein. Dieses bidirektionale Laden ist aktuell noch nicht möglich. Die Landmaschinenhersteller wünschen sich zudem eine einheitliche Schnittstelle, damit man Fabrikate verschiedener Hersteller an das Stromnetz anschließen kann.

Der Betrieb braucht ja das ganze Jahr Strom und im Winter sogar mehr, wenn die Kühe nicht auf der Weide sind. Der meiste Solarstrom wird dagegen vor allem von April bis Oktober erzeugt. Welche Möglichkeiten gibt es zur saisonalen Speicherung?

Stumpenhausen: Aktuell ist das noch schwierig. Künftig könnte hier die Wasserstoffproduktion über die Elektrolyse eine Lösung sein. Dafür bräuchten wir aber günstige Elektrolyseure im kleinen Leistungsbereich und eine effiziente Rückverstromung. Aktuell ist das politisch nicht auf der Agenda, es geht immer nur um großtechnische Anwendungen wie z.B. in der Stahlindustrie. Generell kann man sagen, dass die Politik die Potenziale der Landwirtschaft und der mittelständischen Gewerbetriebe zu wenig berücksichtigt und fördert. Darum ist es auch schwer, für entsprechende Forschungsprojekte Fördergelder zu bekommen.

Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?

Stumpenhausen: Großes Potenzial haben landwirtschaftliche Betriebe z.B. als Lagezentrum im Katastrophenfall. Denn sie haben Platz für Lagezentren mit Containern und sie können bei Stromausfall ein Inselnetz zur Versorgung anbieten. Denn allein über Photovoltaik und Speicher ist auf vielen Betrieben auch bei Netzstörungen Strom vorhanden. Darüber könnten Verbraucher bei Bedarf auch Handys oder Elektroautos laden. Auch hier ist noch Forschungsbedarf, wie man im Katastrophenfall am besten vorgeht und was dafür technisch vorhanden sein muss. Auch das könnte das Ansehen der Landwirtschaft steigern – wenn die Politik es will.

Gibt es denn noch viele Betriebe ohne Energieerzeugung?

Stumpenhausen: In der Tat. Das sehen wir aktuell an einem Projekt einer oberbayerischen Molkerei und einem Einzelhandelsunternehmen. Sie wollen gemeinsam Landwirte anregen, Diesel einzusparen und Energie regenerativ zu erzeugen. Hierfür gibt es einen Zuschuss von bis zu 20.000 € pro Betrieb. In den ersten zwei Förderrunden haben sich über 40 Betriebe gemeldet, die Investitionen von 4 Mio. € ausgelöst haben. Erste Untersuchungen von uns zeigen, dass das auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Auch das spricht dafür, dass die Politik sich der Landwirtschaft als wichtige Akteursgruppe mehr widmen sollte.

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