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Der lange Weg eines Milchviehbetriebs zur Energieautarkie

Energie selbst erzeugen, speichern, hofeigene Maschinen damit versorgen und überschüssigen Strom ins Netz einspeisen – klingt eigentlich simpel.

Lesezeit: 6 Minuten

Der Huabahof der Familie Demmel in Schönrain (Bayern) ist nur auf den ersten Blick ein ganz normaler Milchkuhbetrieb. Auf den zweiten Blick nimmt er in vieler Hinsicht eine Vorreiterrolle ein. Den Stall für 90 Kühe hat die Familie im Jahr 2019 neu gebaut.

Ziel des Neubaus auf dem Biobetrieb war nicht nur, optimale Bedingungen für die Kühe zu schaffen, sondern auch „Zukunftsthemen zu setzen“, wie Betriebsleiter Franz-Xaver Demmel sagt.

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Der Familienbetrieb ist Pilotbetrieb des Projektes „Stall 4.0“ der Technischen Universität München und der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

Das Projekt Stall 4.0

Seit 2013 arbeiten die Hochschule ­Weihenstephan-Triesdorf und die Technische Universität München unter Leitung der Professoren Jörn Stumpenhausen und Heinz Bernhardt an dem Projekt „Stall 4.0“. Der Begriff beschreibt den ganzheitlichen Einsatz automatisierter Technologien, digitaler Produktions-, Informations- und Kommunikationsstrukturen sowie cyber physischer Systeme in der Nutztierhaltung unter Berücksichtigung von Tierverhalten und Tierwohl.

Klingt kompliziert. Vereinfacht gesagt ist das Ziel, dass ein Milchviehbetrieb seine benötigte Energie überwiegend selbst erzeugt, intelligent im ­Betrieb verteilt und zur regionalen Energieversorgung beiträgt.

Um den Energiefluss im Betrieb zu lenken, braucht es digitale Strukturen, die Stoffströme und Ressourcenverbrauch optimieren. Ein sogenanntes Energie Management System (EMS) soll den Weg der eigen ­erzeugten Energie lenken. Das heißt, es optimiert Verbrauch, Notstrombetrieb sowie Ein- und Verkauf von Energie automatisch.

Die Nutzung eines EMS hat für Landwirte aus Sicht von Prof. Stumpenhausen gleich mehrere Vorteile: „Die eigene Autarkiequote steigt und es lassen sich zusätzliche Einnahmen generieren – durch die intelligente Einspeisung ins Stromnetz. Zudem leisten die Betriebe einen Beitrag zur regionalen Energieversorgung und können so die Akzeptanz für die moderne Landwirtschaft fördern.“

Umsetzung in der Praxis

Als klar war, dass Xaver Demmel in den Milchviehbetrieb seiner Eltern Gerlinde und Franz-Xaver einsteigen will, begann die Familie 2018 mit der Planung eines neuen Stalles außerhalb des Dorfes Schönrain. Dafür holte sie verschiedene Akteure an einen Tisch: Zwei Elektrikunternehmen, einen Programmierer, die Stallbaufirma Hörmann, Firma Baumgartner als Händler von Lemmer-Fullwood sowie Wissenschaftler aus Weihen­stephan. Das neue Stall- und Energiekonzept wollten sie in Teamarbeit erstellen.

„Ich habe technischen Umweltschutz studiert und leite ein Ingenieurbüro. Uns war es deshalb wichtig, dass der Stall in Sachen Klima- und Tierschutz auf dem neuesten Stand ist“, so Franz-Xaver Demmel. „Außerdem wollten wir als Familienbetrieb auf mehreren Säulen stehen. Da ist die Energieproduktion eine ideale Ergänzung zur Milchproduktion“, fügt er hinzu.

Im Jahr 2019 konnten die Kühe in den neuen Stall einziehen. Dieser zeichnet sich durch folgende Details aus:

Energie vom Dach: Die Photovoltaikanlage auf den Dächern des Kuhstalls hat eine Leistung von 200 kW. Erzeugte Energie, die der Milchviehbetrieb nicht direkt nutzen oder speichern kann, speist er ins Stromnetz der Bayernwerk Regio GmbH ein.

Eigene Energie aus der Batterie: Der Betrieb verfügt über einen 137 kWh-Batteriespeicher. Je nach Tageszeit be- oder entlädt sich diese Batterie: Zwischen 10 und 16 Uhr ist die Sonneneinstrahlung am stärksten. In dieser Zeit lädt die Batterie, während gleichzeitig Strom verbraucht und ins Netz eingespeist wird. Denn den Strom aus der 200 kW-Photovoltaikanlage kann der Betrieb nur zu einem Viertel gebrauchen, um den Batteriespeicher zu laden. Nach etwa 16 Uhr bis 8 Uhr morgens entlädt sich die Batterie.

E-Maschinen im Hofbereich: Auf dem Huabahof laufen ein Weidemann-Hoflader, ein Kramer-Radlader, ein selbstfahrender Futtermischwagen von Siloking sowie ein Fendt-Schlepper mit Elektroantrieb. Auch die Pkw von Nissan und VW sind elektrisch betrieben.

Zukünftig sollen die E-Maschinen auch als Speicher dienen. „Dafür müssen sie bidirektional funktionieren“, erklärt Franz-Xaver Demmel. „Das heißt, der Hersteller muss ein Be- aber auch Entladen vorgesehen haben.“ Damit ließe sich die Autarkiequote des Betriebes weiter steigern. Die Hoffnung des Landwirtes ist, auf diese Weise etwa 240 kWh durchgehend abrufen zu können. Bislang ist diese Funktion standardmäßig nur bei dem Nissan-Pkw vorgesehen.

Milchkühlung: Ein Eiswassertank kühlt die Tankmilch. Dieser wird in der Mittagszeit heruntergekühlt, wenn ausreichend Photovoltaikstrom zur Verfügung steht. In den übrigen Stunden des Tages lässt sich das Eiswasser für die Kühlung nutzen.

Kochendwasserreinigung: Die Reinigung des Melkroboters erfolgt mit kochendem Wasser. Um das Wasser auf­zuheizen, nutzt der Hersteller LemmerFullwood in seinen Melkanlagen überschüssige Energie aus der Wärmerückgewinnung. Ein Reinigungsgang des Roboters mit kochendem Wasser dauert etwa 16 Minuten.

EMS-Steuerung: Familie Demmel arbeitet mit einer Steuerung, dem EMS, welches die Stromverbräuche im Betrieb intelligent koordiniert. Dieses haben die beteiligten Wissenschaftler, Informatiker und Elektriker in den vergangenen Jahren optimiert.

Das System bezieht Informationen aus verschiedenen Überwachungsinstrumenten im Betrieb: z. B. von Smart Metern, die Stromverbräuche überwachen, aber auch von der Aktivitätserkennung der Kühe.

Außerdem lassen sich darüber Prioritäten festlegen: „Tierwohl und Milch haben oberste Priorität“, so Franz-Xaver Demmel. Das heißt, die Steuerung der Curtains, die Melkroboter und die Milchkühlung werden z. B. vor den privaten Pkw mit Strom versorgt. Wenn die E-Maschinen auf dem Betrieb irgendwann auch als Zwischenspeicher dienen, ließe sich über das EMS auch festlegen, wie stark die Maschinen zu welcher Tageszeiten entladen werden dürfen.

Familie Demmel hofft, dass ihr Milchviehbetrieb irgendwann netzdienlich ist. „Wir würden gerne mit unserem Energieversorger besser zusammenarbeiten. Der Strom könnte in Zwischenspeicher gehen und dann zu den Hauptverbrauchszeiten auf Abruf der Netzbetreiber ins Stromnetz eingespeist werden“, erklärt Franz-Xaver Demmel. Doch seit Jahren hapere die Umsetzung an rechtlichen Restriktionen. Es sei dramatisch anzusehen, dass hier so viele Ressourcen ungenutzt bleiben.“

Die Zusammenarbeit mit den Energieversorgern vor Ort kritisiert auch Prof. Stumpenhausen. „Diese wollen nicht flexibel auf die Stromerzeugung reagieren. Hier müsste das Wirtschaftsministerium Druck ausüben“, fordert der Wissenschaftler.

Potenzial für Stromnetz

Der Betrieb Demmel braucht etwa 500 kWh Strom/Kuh und Jahr und produziert die doppelte Menge über Photovoltaik. Würde die Zusammenarbeit mit den Energieversorgern optimal laufen, könnte sich der ländliche Raum sogar selbst versorgen, so Prof. Stumpenhausen: „Das theoretische Potenzial in Bayern sind 1 Mio. Kühe.“ Oder wie es Franz-Xaver Demmel ausdrückt: Der Betrieb hat eine theoretische Speicherkapazität von 250 kWh. Also hätten 10.000 Milchviehbetriebe eine Leistung von 2.500 MWh. Das ist mehr als die Atomkraftwerke Isar 1 und 2 zusammen produzieren.

Auch auf finanzielle Unterstützung für die Landwirte hofft Prof. Jörn Stumpenhausen: „Denkbar wäre z.B. eine Förderung für den Kauf von Batteriespeichern.“ Aber auch kleinere Anreize könnten oft schon viel bewegen.

Das nächste große Ziel der Wissenschaftler ist die Marktreife des Energie Management Systems. Das ist eine Herausforderung, denn kein Milchkuhbetrieb und -stall ist mit einem anderen vergleichbar. Doch das System soll sich in jeden Stall integrieren lassen. Dafür muss es flexibel in der Programmierung werden.

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