Angesichts der drohenden Versorgungslücke sei das ein Signal, das Mut macht: So kommentiert Niedersachsens Energieminister Olaf Lies die Anlieferung der ersten Rohre für den Bau der 26,3 km langen Gasleitung der OGE von Wilhelmshaven an das Ferngasnetz bei Etzel. Mit den Rohren soll Gas, das ab diesem Winter am geplanten LNG-Terminal angelandet wird, in das Ferngasnetz eingespeist werden. „Zukünftig können über diese Leitung der OGE bis zu 20 Milliarden m³ Gas pro Jahr transportiert werden. Das würde alleine 40 Prozent der jährlichen russischen Gaslieferungen der vergangenen Jahre ersetzen“, sagt Lies.
Das aktuelle Projekt in Wilhelmshaven mit der Erweiterung der Terminals am Tiefwasserhafen, der Bau der Suprastruktur für die FSRU „Esperanza“ sowie der Bau der 26,3 km langen Gasleitung innerhalb einer Rekordzeit von 8 Monaten zeige, wozu Deutschland in der Lage sei, wenn es drauf ankommt.
Während es aktuell weitere Entwicklungen zum LNG-Import gibt, steigt die Kritik an den Maßnahmen:
Auch Schleswig-Holstein treibt LNG-Import voran
Wie das Energiewendeministerium in Schleswig-Holstein gestern mitteilte, wird das Amt für Planfeststellung Energie (AfPE) die Planunterlagen für den Bau zweier Gasleitungen im Zuge des geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel am 19. Juli 2022 veröffentlichen. Die Veröffentlichung markiert den offiziellen Start der Genehmigungsverfahren zum Bau von Flüssiggas-Infrastruktur in Schleswig-Holstein und sieht deren zeitnahe Anbindung an das deutsche Gasnetz vor. Das Genehmigungsverfahren umfasst zwei Leitungsprojekte:
- Eine rund drei Kilometer lange Leitung, die mit einem Verlauf innerhalb des Industriegebietes Brunsbüttel schon zum Jahresende 2022 den Flüssiggastransport von schwimmenden Importterminals in das vorhandene Leitungsnetz des Netzbetreibers SH Netz AG ermöglichen soll.
- Eine über 50 Kilometer lange Leitung, die ab Herbst/Winter 2023 einen unmittelbaren Anschluss an das Gasfernleitungsnetz am Einspeisepunkt Hetlingen/Haseldorf in der Nähe von Uetersen sicherstellt.
Deutsch-österreichische Zusammenarbeit
Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck und die österreichische Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Leonore Gewessler, haben gestern in Wien eine gemeinsame Erklärung für eine engere Zusammenarbeit beider Länder in der aktuellen Energiekrise unterzeichnet. Deutschland und Österreich haben bereits Anfang Dezember 2021 ein bilaterales Solidaritätsabkommen zur Bewältigung einer schweren Gasmangellage abgeschlossen im Sinne der sogenannten europäischen SoS-Verordnung und wollen nun die Zusammenarbeit nochmal weiter vertiefen. Konkret geht es um eine vertiefte Zusammenarbeit bei der Nutzung von LNG-Infrastrukturen und beim Thema Speicherbefüllung mit Blick auf die in Österreich befindlichen Speicher 7 Fields und Haidach, die beide auch direkt an das deutsche Netz angeschlossen sind.
Energieagentur kritisiert LNG-Strategie
„Europas steigende Nachfrage nach LNG als Ersatz für die russische Pipeline-Gasversorgung hat zu einem außergewöhnlich angespannten globalen Markt geführt“, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) einen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Die sehr hohen Gaspreise hätten Europa zu einem „Premiummarkt“ für LNG gemacht, der Lieferungen aus anderen Regionen anziehe, in anderen Märkten aber zu Versorgungsengpässen führe. Nach Schätzung der Energieagentur könnte Europas LNG-Bedarf die Angebotserhöhung in diesem Jahr übersteigen und bis zum Jahr 2025 mehr als 60 % des Nettowachstums des globalen LNG-Handels ausmachen. Wie die FAZ weiter schreibt, sollte Europa laut IEA die Energiewende forcieren und so eine Abkehr vom Erdgas beschleunigen, anstatt russisches Gas einfach nur durch Gas aus anderen Ländern zu ersetzen. Das würde den Druck auf den LNG-Weltmarktpreis verringern, preisbewussten Schwellenländern den Zugang zu Lieferungen erleichtern und die Kohleverfeuerung in solchen Regionen früher beenden. In der Folge würde der CO2-Ausstoß sinken.
Kritik an neuer Infrastruktur
Die Bemühungen der Bundesregierung, russisches Erdgas durch den Aufbau neuer Gashandelsbeziehungen und neuer Infrastruktur auszugleichen, ist ein Risiko für die Energiewende, da Erdgas keine Brückentechnologie hin zu einem vollständig erneuerbarem Energiesystem im Sinne des Pariser Klimaabkommens ist. Das ist das Ergebnis einer Studie eines interdisziplinären Forschungsteams. Die Wissenschaftler stellen dem Gas eine vergleichbar schlechte Klimabilanz aus wie Kohle oder Öl. Sie empfehlen Politik und Wissenschaft, die aktuellen Annahmen über Erdgas zu überarbeiten. „Fossiles Erdgas ist weder sauber noch sicher. Das zu lange Festhalten an fossilem Erdgas hat Deutschland in eine Energiekrise geführt, aus der jetzt nur entschlossenes Handeln für eine konsequente Dekarbonisierung führen kann, hin zu einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien“, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Leiterin der Studie.
Keine Vorteile durch Erdgas
Die Forschenden hinterfragen weitverbreitete Annahmen zu Erdgas. Während die Vorstellung des sauberen Energieträgers noch immer weit verbreitet ist, zeigen Forschungsergebnisse, dass die Folgen der Erdgasnutzung auf das Klima erheblich unterschätzt werden und Erdgas keinesfalls per se die bessere Alternative zur Kohle- und Ölnutzung darstellt. „Das Problem ist nicht nur das bei der Verbrennung entstehende CO₂, sondern das stark wirksame Treibhausgas Methan, das entlang der kompletten Wertschöpfungskette durch flüchtige Emissionen unverbrannt in die Atmosphäre entweicht. Diese Emissionen wurden bislang nicht ausreichend berücksichtigt und unterschätzt“, erklärt Fabian Präger vom Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der TU Berlin.
Begriff „Brückentechnologie“ irreführend
Zudem stellen die Forschenden fest, dass ein Ausbau von Erdgas-Infrastruktur die Abhängigkeit von fossilen Energien zementiere („Lock-In Effekte“) und auf der anderen Seite ökonomische Risiken berge, wenn eben diese fossilen Vermögenswerte dann im Zuge der Energiewende einen vorzeitigen Wertverlust erfahren („Stranded Assets“). „Die klima- und geopolitische Energiekrise um fossile Brennstoffe unterstreicht die Notwendigkeit eines zeitnahen und konsequenten Erdgasausstiegs, der gesamtgesellschaftlich zu organisieren und umzusetzen ist“, betont Fabian Präger.
Fünf Maßnahmen für Klimaschutz und Unabhängigkeit
Die Wissenschaftler schlagen fünf Maßnahmen vor, um die oben genannten Risiken zu vermeiden:
- Reduzierung von Methan-Emissionen entlang der kompletten Wertschöpfungskette in der bestehenden Erdgas-Infrastruktur.
- Einbeziehung der neuesten Forschungserkenntnisse über die Treibhausgasemissionen in Zusammenhang mit Erdgas in allen Szenarien zur Energiewende und zur Klimaentwicklung,
- Ersetzen der Strategie der „Brückentechnologie“ durch eindeutige und entschlossene Dekarbonisierungskriterien,
- kein Bau von neuer Erdgas-Infrastruktur und damit Vermeidung neuer fossiler Abhängigkeiten und Methanlecks,
- ernsthafte und strikte Einbeziehung klimabezogener Risiken bei der Planung von Energie-Infrastruktur.
Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Leuphana Universität Lüneburg in Zusammenarbeit mit Fabian Präger von der TU Berlin sowie Wissenschaftler von der Ruhr-Universität Bochum und der Europa-Universität Flensburg erstellt. Sie ist auf englischer Sprache hier verfügbar.