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Interview

Aufgabeprämie, Umbaudruck und mangelnde Fairness Themen auf Fleischkongress

Bauernverband, Fleischindustrie und Handel diskutierten bei einem Kongress über die Neuorientierung der Landwirtschaft. WLV-Beringmeier beklagte eine sehr unfaire Situation derzeit.

Lesezeit: 7 Minuten

Am 29. Oktober hat die Zeitschrift Lebensmittel Praxis auf dem Petersberg bei Bonn einen Fleischkongress abgehalten. Im Beisein von rund 300 Vertretern der Fleischbranche, die sich erstmals nach der Pandemie wieder gemeinsam vor Ort trafen, ging es bei einer Podiums-Diskussion um aktuelle Themen. Mit dabei waren:

  • Hubertus Beringmeier (Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands),
  • Sarah Dhem (Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Fleischwarenindustrie),
  • Andreas Pöschel (Geschäftsführer Edeka Südwest Fleisch) und
  • Ophelia Nick (Mitglied des Deutschen Bundestags Bündnis 90/Die Grünen).

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Hier ein Auszug aus dem Gespräch, zuerst veröffentlicht in der LP 19/2021:

LP: Herr Beringmeier, wie denken Sie über eine Ausstiegsprämie für die Schweinehalter?

Hubertus Beringmeier: Wir sind auch weiter gegen eine pauschale Ausstiegsprämie, auch wenn die Lage in der deutschen Schweinehaltung derzeit existenzbedrohend ist. Die von uns geforderte Umstrukturierungsprämie soll nur für solche Betriebe in Betracht kommen, die aus baurechtlichen Gründen keine Perspektive mehr haben. Wir wollen nicht den verpachteten oder den ohnehin leer stehenden Stall herauskaufen. Die Prämie sollen auch nicht diejenigen bekommen, die ohnehin aufhören wollen. Die Umstrukturierungsprämie bezieht sich nur auf die Tierhaltung und nicht den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb.

Welchen Zeitraum halten Sie für möglich, um zu den Haltungsstufen 3 bis 4 zu kommen?

Beringmeier: Die von der Borchert-Kommission erarbeiteten Vorschläge zum Umbau der Tierhaltung bieten den tierhaltenden Betrieben in Deutschland eine grundsätzliche Perspektive, denn sie weisen Wege zu den Themen Planungssicherheit, Genehmigungsfähigkeit und Finanzierung auf. Die Borchert-Kommission hat eine Empfehlung herausgegeben: Ziel ist es, alle tierhaltenden Betriebe in Deutschland innerhalb von 20 Jahren auf ein deutlich höheres Tierwohlniveau zu bringen und „Tierwohl-Produkte“ zu den gleichen Kosten zu erzeugen wie herkömmliche Produkte.

Ophelia Nick: Mir wäre es lieb, wenn wir spätestens in einem Jahr sagen könnten, wo wir hinwollen und um welche Vorgaben es geht.

Sarah Dhem: Seit 2010 beschäftigen wir uns in unserem Unternehmen mit der Haltungsstufe 4 und bieten sie auch an. Mittlerweile verarbeiten wir 120 Schweine die Woche. Wir würden gern weitere Landwirte aufnehmen, leider können unsere Erzeuger so schnell nicht umbauen.

Andreas Pöschel: Wir sind gerade dabei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass den Erzeugern der Umstieg leichter fällt. Die Umstellung bedeutet für sie, dass sie viele Maßnahmen umsetzen müssen – verbunden mit Investitionen und baulichen Veränderungen. Wenn der Landwirt für unser Programm „Hofglück“ bereit ist, seinen Stall so umzubauen, dass er die Voraussetzungen für Haltungsstufe 4 erfüllt, schließen wir mit ihm einen Vertrag über zehn Jahre.

Nick: Ich muss gestehen: Mit unserem Baurecht lässt sich nicht schnell planen. Sogar beim Vorzeige- Projekt Schweinestall der Zukunft auf Haus Düsse ist es noch nicht einmal zu einer Baugenehmigung gekommen, weil so viel noch unklar ist. Ziel für die Zukunft muss es sein, die Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen.

Ärgert Sie das Übergewicht von Fleisch in der Ernährung?

Nick: Das hat nicht unmittelbar etwas mit Fleisch zu tun. Ernährungsbedingte Erkrankungen haben einen hohen Anteil in der deutschen Bevölkerung. 15 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben Übergewicht. Ernährung ist hier ein Schlüssel. Mein Fazit lautet: Wir brauchen mehr Ernährungswissen und eine bessere Ernährungsbildung.

Übrigens nicht erst in der Schule, sondern schon in der Kita. Wir wollen eine gute und gesunde Ernährung für alle. Das heißt, dass sich vor allem die Gemeinschaftsverpflegung verbessern muss.

Dhem: Dann bringen Sie bitte das Fach „Ernährung“ wieder an die Schulen. Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen. Das Thema muss als Bildungsaufgabe begriffen werden.

Wird das Kerngeschäft bei Ihnen im Fleischbereich bleiben?

Dhem: Für uns als Unternehmen wird sich definitiv nichts ändern. Wir wollen das machen, wo wir uns auskennen, was wir gelernt haben und wo andere unsere Kompetenz sehen. Mit der Haltungsstufe 4 gehen wir neue Wege. Als Branche müssen wir generell immer schauen, was die Kunden möchten und was sie wirklich konsumieren wollen. Jedes Unternehmen muss jetzt schauen, was zu ihm passt und welche Ausrichtung es in zehn Jahren haben wird.

Pöschel: Wir beschäftigen uns seit sechs Jahren mit der Thematik und haben sogenannte Veggietheken in unseren Fleisch-, Wurst- und Käseabteilungen integriert. Wir bieten dort vegane und vegetarische Produkte an und waren damit gleich von Beginn an erfolgreich. Dann ging die Nachfrage zunächst ein wenig herunter. Erst mit dem „Fridays for Future“-Effekt kam wieder Schwung in die Thematik. Während der Corona-Pandemie 2020 haben die Produkte ein Umsatzplus von 50 % erzielt. In diesem Jahr haben wir noch mal eine Steigerung von 30 % erreicht.

Herr Beringmeier, müssen sich Landwirte vor diesem Hintergrund umorientieren?

Beringmeier: Die Landwirte schreiben dem Verbraucher nicht vor, was er zu essen hat. Wir können alle Gruppen bedienen, denn der Ursprung sind immer landwirtschaftliche Produkte. Es gibt viele Chancen. Wir fordern aber vom deutschen LEH ein klares Bekenntnis zu Fleisch aus deutscher Herkunft. Unsere Tierhalter brauchen Planungssicherheit. Unsere Verbraucher wollen Tierwohl-Ware aus regionaler Erzeugung.

Wie denken Sie über Fairness in der Wertschöpfungskette?

Beringmeier: Im Moment wird viel über Fairness diskutiert. Für mich als Landwirt ist es im Moment nicht fair. Im Moment kommen wir mit den aktuellen Preisen nicht klar. Ich muss aber auch fairerweise sagen, dass im Handel erkannt wird, dass wir stärker zusammenarbeiten müssen, weil es der Verbraucher auch wünscht. Ich sehe das als Chance, weil es der einzige Weg ist, den wir auch haben.

Pöschel: Wir sind da klar und vergüten den Landwirten den höheren Aufwand mit einem fairen Preis. Das heißt konkret: Die Edeka Südwest Fleisch zahlt den Bauern Konditionen, die weit über dem Marktpreis liegen. Dazu zählen Boni und Mindestpreise. Anfang dieses Jahres haben wir neue Verträge mit den Mästern unseres Markenprogramms „Gutfleisch“ abgeschlossen. Hier haben wir eine Preisuntergrenze von 1,40 Euro pro Kilogramm Schwein festgelegt.

Beringmeier: Wir haben leider nicht die Lösung für die breite Masse. Wir brauchen wieder mehr Planungssicherheit. Die Erzeugerpreise sind im Moment nicht einmal kostendeckend. Außerdem brauchen die Landwirte eine langfristige Abnahmegarantie, dass sie ihre Tiere künftig auch für einen deutlich höheren Preis verkaufen können.

Dhem: Das Thema Planungssicherheit ist ein ganz großes Thema. Es ist immer eine große Forderung der Landwirte. Wir haben als Unternehmer aber auch keine Planungssicherheit. Wir treffen auch als Unternehmer immer strategische Entscheidungen. Ob das richtig ist oder nicht, das weiß ich immer erst zehn Jahre später.

Sollte Fleisch teurer werden?

Nick: Ich bin der Meinung, dass Fleisch teurer werden muss, da es unter Wert verkauft wird. Es muss aber überlegt werden, wie und ob das sozial abgefedert werden muss. Dennoch ist der Fleischverbrauch zu hoch. Zu viel Fleisch ist auch nicht gut – hier gibt es genügend Studien, die dies belegen.

Dhem: Dabei ist es wichtig, dass wir nicht nur von Fleisch reden, sondern auch von Fleisch- und Verarbeitungsware.

Beringmeier: Wenn die Politik beschließt, dass Fleisch ungesund ist, das wäre für unsere Branche eine Katastrophe. Wir sind nicht dafür verantwortlich, dass Erkrankungen auftreten.

Nick: Das wäre auch unfair zu unterstellen. Es gibt ganz klar Studien, was gesund ist und was nicht. Und es geht vor allem um das Maß der Dinge. Die Kunden wollen ehrliche und nachvollziehbare Programme.

Dann sind sie auch bereit, einen Aufschlag zu zahlen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Branche?

Dhem: Wir müssen wieder stolz auf unsere Arbeit sein. Wir stellen hervorragende Lebensmittel her, natürlich in unterschiedlichen Qualitätsstufen, aber immer sicher.

Beringmeier: Ich wünsche mir noch mehr Regionalität und einen stärkeren Kontakt zwischen Verbrauchern und Erzeugern.

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