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Landwirtschaft im Dialog

Habeck wirbt für stärkere regionale Verwurzelung

Anlässlich der Veranstaltung "Öko oder konventionell, klein oder groß, global oder regional: Welche Landwirtschaft wollen wir?", die top agrar am 29.09 durchführt, sprachen wir mit Robert Habeck.

Lesezeit: 6 Minuten

Wie schaffen wir im aktuellen Spannungsfeld den Ausgleich zwischen den Wünschen der Bürger und den Interessen der Landwirte? Welche Landwirtschaft wollen wir in Deutschland? Welche Rahmenbedingungen muss die Politik dafür setzen? Darüber wollen wir am 29. September 2020 mit Politikern, Wissenschaftlern, Wirtschaftsvertretern und dem landwirtschaftlichen Berufsstand in Berlin bei "Landwirtschaft im Dialog" diskutieren. Wir sprachen vorab mit Dr. Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.

In einem top agrar-Interview aus dem letzten Jahr sagten Sie, dass Sie die Nutztierhaltung in ihrer heutigen Form für nicht zukunftsfähig halten. Sind wir mit der TierSchutzNutztV und den Borchert-Plänen auf dem richtigen Weg?

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Habeck: Ich habe den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung zitiert. Das höchste Beratergremium der Regierung mahnt seit Jahren Änderungen an – auch, um die Absatzmöglichkeiten der Landwirtschaft zu schützen. Die Bauern brauchen Planungssicherheit. Aber im Augenblick gibt es völlig widersprüchliche Signale: Einerseits sind die Anreize so, dass möglichst Masse produziert und intensiv gewirtschaftet wird, andererseits ist die Ansage, macht mehr für Umwelt und Tiere. Das macht es schon allein ökonomisch schwer kalkulierbar. So gesehen lassen die Bundesregierung und Frau Klöckner die Bauern schlicht im Stich. Es ist allerhöchste Zeit, die Tierhaltung in Deutschland von Grund auf zu reformieren. Daher, ja, ich begrüße, dass in den letzten Wochen und Monaten mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission und dem Bundesratskompromiss zum Kastenstand Bewegung in die Sache gekommen ist. Aber das kann erst der Anfang sein.

Was fordern Sie darüber hinaus?

Habeck: Wir müssen ein System schaffen, in dem es sich für Bäuerinnen und Bauern ökonomisch lohnt, Umwelt, Tiere und Klima zu schützen. Heute haben die Bauern eigentlich nur die Möglichkeit, über größere Mengen und günstigere Preise konkurrenzfähig zu bleiben. Und alle Schritte zur Extensivierung werden als Einkommensverlust erlebt. Dabei wendet sich dieses System gegen die Landwirte selbst:

Zwei Prozent Strukturwandel sind doch nicht mehr gesund." - Habeck

Das bedeutet, dass sich alle 25 Jahre die Zahl der Betriebe halbiert – auch gut aufgestellte Betriebe gehen über Wupper. Da die Gesellschaft von der hohen Produktivität der Landwirtschaft insgesamt sehr profitiert hat, haben die Bauern auch ein Anrecht auf politische Unterstützung beim Wandel. Konkret: Erstens werbe ich für einen Tierschutzcent, der auf tierische Produkte aufgeschlagen wird, um tierhaltende Betriebe beim Umbau zu unterstützen. Zweitens brauchen wir eine verbindliche Haltungskennzeichnung für alle Tierarten, damit Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf erkennen können, aus welcher Art Tierhaltung das Produkt stammt. Nur dann können sie ja überhaupt entscheiden, dass sie für bessere Standards mehr bezahlen wollen. Drittens sollten die Agrargelder so qualifiziert werden, dass sie Umstellungen ermöglichen.

Wie müssen wir die künftigen Weichen für die Landwirtschaft stellen? Und welche Themenfelder sollten als erstes fokussiert werden? Was müssen Berufsstand und der vor- und nachgelagerte Bereich selber tun, um zukunftsfähig zu sein?

Habeck: Wir brauchen eine andere Systematik. Und das fängt bei der Förderung der Landwirtschaft an. Landwirtinnen und Landwirte erbringen wichtige Leistungen fürs Gemeinwohl, angefangen damit, dass sie Lebensmittel herstellen. Insofern halte ich es durchaus für gerechtfertigt, dass es eine Förderung gibt. Aber sie muss in die richtige Richtung führen – hin zu einem ressourcenschonenden Wirtschaften, das auch in der Zukunft noch trägt. Dafür sollte die Agrarförderung anders aufgestellt werden. Es gibt ein ausgearbeitetes Modell, das sehr einfach und bürokratiearm ist und regional differenziert werden kann. Für Umweltleistungen, für mehr Tierwohl gibt es Punkte – und die werden vergütet.

Wir sollten gemeinsam darauf hinwirken, den Wandel gemeinsam anzugehen. Da sind wir Alliierte. Dazu müssen zunächst bestehende Gräben überwunden werden, wir müssen wieder viel stärker miteinander in Dialog kommen. Kommunikation ist die Voraussetzung für Veränderung.

Was können wir aus dem Borchert-Prozess (Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung) lernen? Ist das eine Blaupause auch für den Ackerbau?

Habeck: Das Kompetenznetzwerk hat sehr gute Arbeit geleistet. Doch erstens ist Papier geduldig. Und zweitens sind solche Kommissionen natürlich auch immer Ausdruck von politischer Orientierungslosigkeit. Seit 15 Jahren sieht die Leitung des Agrarministeriums es offenbar als ihre Aufgabe an, nichts zu tun. Das ist gegen die Interessen der Landwirtschaft. Wir brauchen endlich eine politische Führung des Agrarministeriums, die eine Idee von der Zukunft der Landwirtschaft hat und den Weg dahin einschlägt. Erfolgreich wird die Arbeit – und zwar für Bauern wie auch für Tier und Umwelt – erst sein, wenn die verantwortliche Ministerin die Veränderungen will und antreibt.

Machbarkeitsstudien und Prüfaufträge allein drohen zum Zeitspiel zu werden" - Habeck

Für den Ackerbau liegt ja besagtes Konzept vor. Natürlich muss man noch ein paar fachliche Runden drehen, aber ich meine, wir haben da kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.

Wie sieht nach Ihrer Wunschvorstellung ein „typischer“ landwirtschaftlicher Betrieb 2030 aus?

Habeck: Ich komme gleich auf Ihre Frage. Aber ich würde gern erstmal skizzieren, was passiert, wenn wir jetzt nicht umsteuern. Dann laufen wir Gefahr, dass der freie Bauer Vergangenheit ist. Dann macht die vertikale Integration die Bauern zu Lohnmästern und Lohnarbeitern, die Betriebe gehören quasi Discountern oder großen Schlachtbetrieben, der Strukturwandel läuft – getrieben durch Krise – schneller, wir haben ein Drittel der Betriebe verloren, der gesellschaftliche Konflikt eskaliert, Verbraucher wenden sich von den Bauern ab, die Bauern radikalisieren sich – ein Albtraumszenario, aber es ist meine große Sorge.

Damit es anders kommt, müssen wir den Schalter entschieden umlegen. Unser Ziel sollte sein, dass im Jahr 2030 jeder – und nicht nur der „typische“ – landwirtschaftliche Betrieb naturverträglich, ressourcenschonend und tiergerecht arbeitet und davon leben kann. Wir haben einen zweiten Markt für gesellschaftliche Güter geschaffen, der hat den Strukturwandel gebremst. Konventionelle Bauern und Grüne sind nicht in allem einer Meinung, ringen aber auf hohem fachlichen Niveau um den besten Weg. Es gibt eine stärkere regionale Verwurzelung statt Abhängigkeit vom Weltmarkt. Eine Kombination aus altem Wissen, moderner Technik und digitalen Lösungen schafft sichere, gesunde und nachhaltige Lebensmittel. Darauf möchte ich hinarbeiten.

Liveübertragung ab 19 Uhr: Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht. Die Diskussion wird aber auch ab 19 Uhr live über den top agrar-YouTube-­Kanal www.youtube.com/topagrar übertragen.

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