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topplus Diskussionsrunde

Lebensmittelsicherheit: „Die Deutschen sind chemophob“

Wie werden Lebensmittel kontrolliert und wie stark sind diese mit Pflanzenschutzmitteln belastet? Bei "Lass uns reden" von F.A.Z.-Konferenzen und top agrar standen diese Fragen im Mittelpunkt.

Lesezeit: 7 Minuten

33 % der Deutschen glauben, dass die Sicherheit unserer Lebensmittel abnimmt. Auf der gestrigen Diskussionsveranstaltung „Lass und reden“ von F.A.Z.-Konferenzen und top agrar in Zusammenarbeit mit Bayer, BayWa, Südzucker und QS stellte Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, dem seine eigene Einschätzung gegenüber: „Lebensmittel in Deutschland sind heute so sicher wie noch nie.“

„Man kann den Verbraucher nicht vollständig aus seiner Verantwortung entlassen“
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel

„Die Deutschen sind chemophob.“, schob er dann noch hinterher. Sie machten sich viel zu viele Sorgen über Chemikalien und Pflanzenschutzmittel, dabei lauere die größere Gefahr in der heimischen Küche. So befänden sich auf jedem Hähnchen zum Beispiel Campylobacter Bakterien. Das könne man nicht verhindern. Sie verursachen Durchfall und können den Menschen ernsthaft krank machen. Umso wichtiger sei dann der richtige Umgang mit den Lebensmitteln in der Küche, wo allerdings häufig Fehler gemacht würden. „Man kann den Verbraucher nicht vollständig aus seiner Verantwortung entlassen“, so Hensel.

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Verbraucherbildung für mehr Sicherheit

In der anschließenden Diskussion pflichteten ihm die übrigen Teilnehmer großteils bei. Verbraucheraufklärung spiele eine große Rolle für die Lebensmittelsicherheit. So erwähnte Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH, dass in einer von QS beauftragten Befragung herauskam, dass gut ein Drittel der Deutschen Gemüse und Hähnchenfleisch auf dem gleichen Brett schneiden. Genau das sei aber gefährlich, weil so Keime von einem Lebensmittel aufs nächste übertragen würden.

Auch im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel entlang der Produktionskette waren Hensel und Hinrichs einer Meinung. „Lebensmittel, die nicht sicher sind, sind keine Lebensmittel“, konstatierte Hensel.

Das Moderatorenduo Anne Kokenbrink, Wirtschaftsredakteurin der F.A.Z. und Diethard Rolink, Redakteur und Koordinator bei top agrar, hakten daraufhin nochmal nach und wollten wissen, wie die Lebensmittelkontrolle in Deutschland aufgebaut sei.

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Hier geht es zum Live-Mittschnitt: Lass uns Reden

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Die Lebensmittelsicherheit sei europäisch organisiert, wegen des gemeinsamen Marktes, so Hensel. Aber auch Importeure aus Drittländern müssten sich an EU-Standards halten. Die Kontrollen führe dabei nicht der Staat direkt aus, sondern der Hersteller bzw. Importeur selbst. Dieser müsse dieses aber dokumentieren. Die Rolle des Staates sei dann die Kontrolle der Eigenkontrollen, so Hensel. Dafür Zuständig sind in Deutschland zum Beispiel die Veterinärämter.

Daneben gebe es noch QS. Das Prüfsystem umfasse alle Stufen der Lebensmittelkette. Für die teilnehmenden Betriebe gelten strengere Anforderungen als nach den staatlichen Vorgaben. QS kontrolliert nach eigenen Angaben rund 95 % des frischen Schweine- und Geflügelfleischs, 85 % des Rindfleischs sowie 90 % des Obst, Gemüses und der Kartoffeln aus Deutschland.

Mehr oder weniger Kontrollen?

Regina Selhorst, Landwirtschaftliche Unternehmerin und ehemalige Landfrauenpräsidentin für Westfalen-Lippe gab Einblicke, wie das auf dem heimischen Betrieb aussehen könne: „Einmal im Jahr hatten wir das Veterinäramt ohne Vorankündigung auf der Matte." Hinzu kämen Kontrollen durch QS oder die Initiative Tierwohl.

Der Überwachungsdruck ist zu gering.
Georg Abel

Nach Ansicht von Georg Abel, Bundesgeschäftsführer der Verbraucher Initiative e.V., könnte die Kontrolldichte noch dichter sein: „Der Überwachungsdruck ist zu gering“, sagt er.

Denn der Verbraucher halte keine Tiere. „Der Verbraucher will sich verlassen können.“, so Abel. Daraus entspann sich ein kurzer Schlagabtausch mit Regina Selhorst. Sie wollte nicht unter Generalverdacht stehen und meint: „Gesunde Lebensmittel zu produzieren, ist eine Haltung“. Da brauche es nicht jemanden, der einem dauerhaft über die Schulter schaue. Und das QS-System helfe ihr dabei nachzuweisen, dass ihr Betrieb ordentlich arbeite: „QS gibt uns den Stempel: Ja, ihr macht einen guten Job.“

Dr. Hinrichs pflichtete ihr bei: „Diejenigen, die ihren Beruf ernst nehmen, die sind entweder bei QS oder anderen Prüfsystemen.“

Blick ins Ausland

Einen Blick ins Ausland gab es mit Dr. Silke Bollmohr, Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft, INKOTA-Netzwerk e.V.. Sie berichtete davon, dass es in Ländern des globalen Süden, wie z.B. Kenia ganz andere Herausforderungen für Lebensmittelsicherheit gebe. Kontrollen auf Rückstände in Lebensmitteln gebe es seltener und wenn eher bei importierten Gütern. Das liege unter anderem an einer Unterfinanzierung der Behörden vor Ort.

Doch Hygienestandards seien das größte Problem. In Nigeria würden pro Jahr 200.000 an hygienebedingten Krankheiten sterben.

Hensel bestätigte einen Punkt, den auch Bollmohr machte: „Je mehr Geld man hat, desto mehr Sicherheit fordert man.“

Pflanzenschutzmittelrückstände - ein Problem?

Der vorletzte Schwerpunkt des Abends waren Grenzwerte von Stoffen, zum Beispiel von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln. Hier meinte Hensel: „Im deutschen Sprachraum ist der Begriff des Grenzwerts ‚grenzwertig‘“. Letztlich seien diese Grenzwerte Handelsgrenzen, die politisch bestimmt würden, auch wenn sie wissenschaftlich abgeleitet würden.

Georg Abel merkte an dazu an: „Verbraucher haben für Grenzwerte kein Gefühl. Sie haben das auch nicht studiert.“

Dabei seien die Spuren, die man von Pflanzenschutzmitteln in Nahrungsmitteln findet unbedenklich, so Hensel. Auch wenn zum Beispiel mehrere verschiedene Pflanzenschutzmittelrückstände in einem Produkt nachweisbar wären, würde das nicht auf eine unsachgemäße Anwendung des Landwirts hinweisen. Das könnte zum Beispiel auch bedeuten, dass er bedarfsgerecht mit bestimmten Wirkstoffen gearbeitet hat.

Dass in der Landwirtschaft letzterer Ansatz gewählt werde, bestätigte auch Regina Selhorst. Silke Bollenmohr gab zu bedenken, dass Kreuzwirkungen von verschiedenen Pflanzenschutzmitteln noch besser untersucht werden müssten. Hensel erwiderte, dass das BfR auch kumulierte Wirkungen von Stoffen untersuche und nach heutigem wissenschaftlichem Stand kein Lebensmittel in Umlauf kommt, was als schädlich gelte.

Ein anderer Kritikpunkt Bollmohrs war, dass im globalen Süden häufig Grenzwerte aus den USA und der EU übernommen würden. Die Grenzwerte würden sich aber auch nach den Verzehrgewohnheiten richten und die seien von Land zu Land unterschiedlich. Kenianer essen z.B. viel mehr Mais, daher müssten die Grenzwerte für beispielsweise Pflanzenschutzmittel niedriger sein. Hinzu komme, dass viele Pflanzenschutzmittel von europäischen Herstellern, die in der EU verboten sind, weiterhin in Drittländern verwendet werden dürfen. Dieser Doppelstandard müsste abgeschafft werden.

Resistente Keime

Zum Schluss ging es nochmal um ein ungelöstes Thema, was der Menschheit in Zukunft noch große Probleme bereiten könnte: Antibiotikaresistente Bakterien. Wie gefährlich sind sie für Mensch und Tier wirklich?

Professor Hensel gab zu bedenken, dass es nicht nur um Menschen und Nutztiere ginge. Auch in der Umwelt finde man resistente Keime, z.B. in der Nähe von Kläranlagen. Es gehe daher um das Prinzip „One Health“, wo die gesamte Umwelt mit einbezogen werden muss in gesundheitspolitische Maßnahmen.

Regina Selhorst betonte, dass niemand in der Landwirtschaft prophylaktische Antibiotika einsetze. Das sei nicht erlaubt. Aber wenn ein Tier krank sei, werde es bei ihnen auf dem Hof natürlich behandelt – und zwar vom Tierarzt.

Hensel warf ein, dass es hier einen gesellschaftlichen Verhandlungsprozess benötige. Irgendwann komme man an den Punkt, wo sich die Frage stelle, wen man weniger behandeln solle: Mensch oder Tier. Denn die Handlungsoptionen der Antibiotikabehandlung würden künftig durch resistente Bakterien geringer.

Hier geht es zum Live-Mittschnitt: Lass uns Reden

„Lass uns reden“ geht in die vierte Runde: Am 5. September treffen wir uns erneut um 19:00 Uhr im Berliner o2 Basecamp. Dann widmen wir uns dem Thema „Rohstoffe und Futter statt Weizen und Gemüse: Können wir uns das noch leisten?“ . Die Teilnahme vor Ort oder über den Livestream ist kostenlos. Informationen zum Programm sowie die Anmeldung finden Sie hier.

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