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„Schweinefleisch soll wieder schick werden“

Lesezeit: 9 Minuten

Die Müller Gruppe will den Rückgang der süddeutschen Schweinehaltung stoppen. Doch mit welchen Schritten soll die Trendwende gelingen? top agrar hat nachgefragt.

Herr Müller, angesichts des dramatischen Abbaus der Schweinebestände in Süddeutschland haben Sie im Oktober Alarm geschlagen und dringend Perspektiven für die Schweinehaltung gefordert, die alle mittragen. Wie ernst ist die Situation und an wen richtet sich Ihr Appell?

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Müller: Die Situation ist prekär, weil die Wirtschaftlichkeit auf den Höfen nachhaltig gestört ist. Wir müssen jetzt dringend handeln. Der Appell richtet sich daher an alle Partner der Wertschöpfungskette und an die Politik. Er geht aber auch an die Gesellschaft und die Verbraucher. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur heimischen Lebensmittelerzeugung. Die Landwirtschaft muss das einfordern, und die Gesellschaft ist das der Landwirtschaft schuldig.

Wirkt sich der Abbau der Bestände bereits auf die Schlachtzahlen der Müller Gruppe aus?

Müller: Im Jahr 2021 hatten wir noch stabile Zahlen. 2022 mussten jedoch auch wir trotz guter Konzepte Rückgänge hinnehmen, auch wenn wir im Vergleich zu Wettbewerbern unsere Marktanteile leicht ausbauen konnten.

Sind bei den „guten Konzepten“ die Rückgänge kleiner als in anderen Bereichen?

Müller: Das stimmt, die Regional- und Tierwohlprogramme sind weniger betroffen. Einige Programme des Handels arbeiten mit Fest- und Mindestpreisen. Dadurch wurden die Erzeuger auch in schwierigen Phasen unterstützt.

Michelberger: Entscheidend ist, dass in diesen Programmen die Zusage der Abnahme und der Zuschläge trotz der schwierigen Absatzsituation gehalten wird. Nur dann sichert eine nachhaltige Produktion auch den Erzeugern die Erträge.

Letztlich bremsen Sie damit nur den Abstieg. Mit welchen Ideen wollen Sie die Trendwende schaffen und den Erzeugern auskömmliche Schweinepreise zahlen, ohne den Absatz von Fleisch- und Wurstprodukten zu gefährden?

Müller: Wir sehen hier drei Baustellen: Die größte ist, dass wieder investiert wird. Viele Schweinebetriebe haben keine Rücklagen mehr, um in eine nachhaltige Produktion zu investieren. Der Staat muss die Veränderungen wesentlich mitfinanzieren. Wir brauchen die Umsetzung der Borchert-Pläne ohne Wenn und Aber, um endlich Planungssicherheit zu bekommen. Zum anderen müssen wir alle Potenziale in der Vermarktung der Schweine nutzen. Das ganze Tier vom Blut über die Pfote bis zum Schweinelachs müssen wir in verschiedenen Varianten vermarkten.

Und das dritte ist die gleichmäßigere Erfassung und Vermarktung von Schweinen bzw. Fleisch. Dadurch können wir die starken Preisschwankungen vermeiden. Denn die Niedrigpreisphasen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Erzeuger immer die ganze Härte des Marktes abbekommen, während der Verbraucher selten günstiger einkauft. Da verschenken wir viel Geld. Wir brauchen eine gleichmäßigere Erfassung und eine bedarfsgerechte Vermarktung.

Wie muss man sich eine gleichmäßigere Erfassung vorstellen? Eine enge vertragliche Bindung mit festen Lieferterminen?

Michelberger: Genau! Seit einem halben Jahr können unsere vertraglich gebundenen Landwirte Mengen, Ferkeleinstallung und Ausstalltermin in der Qualifood-Datenbank melden. Dadurch können wir in der Kette die Mengen und Qualitäten viel besser planen. 60 bis 70% unserer vertraglich gebundenen Mäster machen schon mit. Zum Teil übernehmen das deren Vermarkter, die das Modul für ihre Disposition und Logistik nutzen und so ihre Abläufe optimieren können.

Was hat der Landwirt davon, wenn er sich bei der Vermarktung frühzeitig auf einen Termin festlegt?

Müller: Wir belohnen die Teilnahme mit Zuschlägen. Unser Ziel ist, Fleisch liefern zu können, wenn der Markt es sucht. Und das muss sich für jeden in der Kette lohnen. Darüber hinaus wollen wir natürlich unsere Kapazitäten möglichst gut und gleichmäßig auslasten. Das hat auch mit den höheren Arbeitskosten in der Fleischwirtschaft zu tun.

Wie hoch ist der Zuschlag?

Müller: Für ein ITW-Schwein in der Haltungsformstufe 2 plus der Zuschläge, die aus System und Regionalität und Gesundheit kommen, kann der Mäster auf insgesamt bis zu 12 € pro Mastschwein kommen. Das umfasst die Haltung, sprich ITW, Regionalprogramm, Tiergesundheitsbonus und Vertragsbonus.

Ihr Blick geht noch weiter. Sie haben die Vision 2030 einer „nachhaltigen süddeutschen Schweinefleischerzeugung“ ausgerufen. Welche Kriterien sollte diese enthalten?

Michelberger: Wichtige Punkte sind die Regionalität, geschlossene Lieferketten, kurze Transportwege, Futter von eigenen Flächen, eine regionale und heimische Eiweißstrategie, heimische Rassen und die Tiergesundheit. Es soll aber auch deutlich werden, welche Leistungen die Landwirtschaft im sozialen Bereich und im ländlichen Raum bereits erbringt.

Die Kriterien erfüllen die Schweinehalter zu einem großen Teil schon. Was ist daran neu und wie gelingt damit die Trendwende?

Michelberger: Sie haben Recht. Der Weg ist gar nicht mehr so weit. Und dann müssen wir es auch gut kommunizieren. All das soll das Image von Schweinefleisch verbessern und den Verbrauch ankurbeln. Wir wollen Schweinefleisch wieder schick machen. Rindfleisch wurde sexy über den Hype um das Grillen. Ich glaube, wir können über die Nachhaltigkeit das Schweinefleisch aufwerten und am Markt neu positionieren.

Was fehlt denn noch zum nachhaltigen Schweinefleisch?

Müller: Da geht es vor allem um Klimaschutz. Mit unserer Vision 2030 können wir die Klimaziele erreichen, die die Bundesregierung vorgibt, ohne die Tierhaltung noch weiter abzubauen. Wir müssen unsere Leistungen herausstellen. Tierhaltung und CO2-Reduzierung widersprechen sich nicht.

Was heißt das konkret? Für die CO2-neutrale Schweinefleischerzeugung müsste wohl die Schweinegülle energetisch genutzt werden. Soll künftig jeder Schweinehalter eine kleine Biogasanlage auf dem Hof haben?

Michelberger: Wir machen da keine Vorgaben. Es gibt aber funktionierende Konzepte, in der Schweinegülle mit weiteren Substraten in der Biogasanlage verwertet wird. Je mehr Gülle und Mist vor der Ausbringung vergärt wird, desto besser. Das wertet Schweinefleisch auf. Wenn z.B. im Rahmen von Kooperationen Gülle in Biogasanlagen mit veredelt wird und der Schweinebauer die Nährstoffe zurückbekommt, wäre das sehr nachhaltig. Aus dem Restprodukt gewinnen wir Energie und Dünger und über den Ackerbau produzieren wir wieder Futtermittel.

Zu einer CO2-neutralen Schweinefleischerzeugung gehört noch mehr als die energetische Verwertung der Gülle. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie das „CO2-neutrale Schnitzel“ erreichen?

Müller: Die gute Nachricht ist: Das CO2-neutrale Schnitzel im Supermarkt können Sie schon kaufen. Sie erkennen es nur nicht immer. Es gibt schon Betriebe, die CO2-neutral Schweine produzieren. Viele landwirtschaftliche Betriebe in Süddeutschland sind schon viel weiter, ohne es zu wissen. Wir müssen diese Betriebe identifizieren und analysieren, um mit ihnen die letzten Schritte zur CO2-Neutralität zu gehen. Es geht dabei um Wertstoffkreisläufe, Fütterung, Eiweißkomponenten. Das Thema ist kompliziert und die Betriebe brauchen dabei Unterstützung. Oftmals sind dafür gar keine Investitionen notwendig.

Wann können wir es im Supermarkt erkennen?

Müller: Unser Ziel ist nicht ein zusätzliches Label. Unser Anspruch ist, dass wir bis 2030 in der Breite der Produktion CO2-neutral sind.

Michelberger: Das Ganze ist auch Grundlage für den Fall, dass die EU ein Nachhaltigkeitslabel einführen will. Wir wollen uns nicht mehr treiben lassen, sondern selbst entscheiden. Die süddeutsche Veredlungswirtschaft hat das Heft des Handels nun selbst in der Hand und gestaltet.

Sie wollen für Ihr Konzept auf Soja aus Übersee verzichten, was die Produktion sehr verteuern würde. Die Branche sieht „entwaldungsfreies Soja“ aus Übersee als Lösung. Warum reicht Ihnen das nicht?

Müller: Entwaldungsfreies Soja sehe ich nicht als Lösung. Das Imageproblem bleibt und wir sind weiter angreifbar. Importsoja ist für Verbraucher negativ besetzt und bisher mit Schweinefleisch eng verbunden. Deshalb ist es im Hinblick auf die Imageverbesserung ein entscheidender Punkt, an dem wir arbeiten müssen.

Mit welchen Eiweißkomponenten wollen Sie die Schweine dann füttern?

Müller: Auch hier machen wir keine Vorgaben. Ein Ansatz ist Insektenmehl, wie z.B. von der Larve der Schwarzen Soldatenfliege. Vielleicht bekommen wir irgendwann auch wieder eine Offenheit gegenüber Geflügelmehl oder wir bauen mehr heimisches Soja an. Wir können dem Ziel auf vielen Wegen näher kommen, ohne den großen Aufschlag von GVO-freiem oder Donau-Soja zahlen zu müssen.

Wie steht der LEH eigentlich zum Thema Insektenmehl?

Michelberger: Die Handelsketten sind noch zurückhaltend, weil die Verbraucher skeptisch sind. Das hat Skandalisierungspotenzial. Aber auch das Thema müssen wir analysieren und die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen. Entscheidend ist, das Futtermittel sicher zu produzieren.

Welche Rolle spielt in Ihrem Konzept die Politik, egal ob auf Landes- oder Bundesebene?

Müller: Ich bin dankbar, dass Ministerin Michaela Kaniber aus Bayern und Minister Peter Hauk aus Baden-Württemberg ein klares Statement „Pro Tierhaltung“ abgegeben haben. Wir werden die Politik beim Wort nehmen. Das heißt, die Politik muss sichere Rahmenbedingungen schaffen. Dafür muss die Bundesregierung die Weichen richtig stellen.

Wie beurteilen Sie die Förderung von besonders tiergerechten Haltungsformen in der Schweinehaltung über die Programme FAKT und BayProTier?

Michelberger: Das ist ein weiterer wesentlicher Baustein für die Wirtschaftlichkeit der Betriebe, die nach dieser Haltungsform produzieren. Sie fühlen sich mitgenommen und von den Landesregierungen unterstützt.

Was erwarten Sie von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir?

Müller: Die derzeitigen Ansätze der Tierhaltungskennzeichnungs-Verordnung sind unausgereift und kontraproduktiv im Ergebnis. Sie nehmen die Konzepte nicht auf, die der Markt in den letzten Jahren geschaffen hat. Es ist eine Schande, dass die Politik nicht zusammen mit der Initiative Tierwohl eine Lösung erarbeitet.

Wir erwarten ausgereifte Pläne, die die Vorschläge der Borchert-Kommission berücksichtigen. Wenn die Bundesregierung deutsche Tierhaltung wünscht, muss sie dieses Konzept umsetzen.

Was passiert, wenn trotz Ihrer Bemühungen und Appelle die süddeutsche Schweineerzeugung weiter in diesem Tempo wegbricht wie in den letzten beiden Jahren? Gibt es einen Plan B?

Müller: Wir glauben an die Erzeuger in Süddeutschland, auch wenn wir anspruchsvollen Zeiten entgegengehen. Am Ende steht das Ziel, dass unsere Produkte aus Süddeutschland nicht mehr austauschbar sind und vom Verbraucher positiv wahrgenommen und gefragt werden. Der Befreiungsschlag muss gelingen. Es gibt keinen Plan B.

Ihr Kontakt zur Redaktion:

andreas.beckhove@topagrar.com

klaus.dorsch@topagrar.com

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