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Neue Geschäftsmodelle: Abgucken erwünscht

Geschäftsmodelle, die in einer Branche funktionieren, bieten auch in anderen oft Chancen. Prof. Dr. Karin Schnitker erklärt an Beispielen, wie mithilfe von Imitation erfolgreich gegründet werden kann.

Lesezeit: 8 Minuten

top agrar: Prof. Schnitker, empfehlen Sie unseren Lesern wirklich, bei anderen Branchen abzuschauen, wenn sie auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen sind?

Prof. Dr. Karin Schnitker: Innovation ist nicht der einzige Weg, um erfolgreich zu gründen. Manchmal reicht es aus, eine gute Innovation auf andere Bereiche zu übertragen, also zu imitieren. Und wir sprechen ja auch über kluge Imitation, nicht über billige Kopien. Aber prinzipiell neigen sich die Zeiten des ‚Happy Engineering‘ dem Ende zu, in denen ein neues Produkt schon ausreichend war, um am Markt zu bestehen.

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Betriebswirtschaftlich betrachtet kann es sich bei der Imitation tatsächlich um eine erfolgreiche Strategie handeln, um neue Märkte zu erschließen. Deswegen setzen Entrepreneure heute immer stärker auf die Innovation des gesamten Geschäftsmodells, statt lediglich ein neues Produkt zu entwickeln. Die richtig erfolgreichen Modelle werden häufig aus anderen Branchen imitiert.

Der Rasierer: günstig. Die Klinge: teuer.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel.

Schnitker: Eines der bekanntesten Beispiele ist das „Rasierer & Klinge-Modell“-Muster. Die Idee ist, zuerst ein notwendiges Grundprodukt wie einen Rasierer sehr günstig zu verkaufen, um anschließend die Verbrauchsmaterialien, also die Klinge, mit sehr hohen Margen nachzuliefern. Dies wird häufig mit dem Geschäftsmodellmuster „Locked-in“ (zu dt. „gefangen in“) kombiniert. Das heißt, für den Rasierer kann ich nur die Klingen von Gillette kaufen und keine anderen.

Die richtig erfolgreichen Modelle werden häufig aus anderen Branchen imitiert." - Prof. Dr. Karin Schnitker

Das Muster dieses Geschäftsmodells ist so erfolgreich, weil es auf viele Branchen übertragen werden kann. Man denke nur an die Drucker inklusive Patronen von Hewlett-Packard oder die Nestlé Nespresso-Maschine mit den Kapseln. Apple hat das Muster mit seinem iPod-System zum Herunterladen von Musik mit der iTunes-Multimediasoftware sogar in die virtuelle Welt übertragen. Das wiederum hat Amazon mit dem Kindle für die virtuelle Buchwelt kopiert.

Wie Landwirte imitieren könnten

Wie könnte ein Landwirt oder ein Start-up auf diese Weise ein Geschäftsmodell entwickeln? Was soll er sich davon abgucken?

Schnitker: Aus der Unternehmensforschung kennen wir zwei Wege: das Ähnlichkeits- und das Konfrontationsprinzip. Ersteres bedeutet, dass man sich Muster von Geschäftsmodellen ähnlicher Branchen anschaut. Beispielsweise war die Direktvermarktung zunächst bei Wein, Obst und Milch verbreitet, bevor es insgesamt in der Landwirtschaft für unterschiedliche, auch tierische Verarbeitungsprodukte genutzt und imitiert wurde.

Das „Rasierer & Klinge-Modell“ liegt zwar etwas weiter weg von einem landwirtschaftlichen Betrieb. Da es aber immer noch im physischen Bereich ist und durch Nespresso sogar schon für Lebensmittel adaptiert wurde, könnte man es mit etwas Phantasie durchaus für das Ähnlichkeitsprinzip nutzen. In dem Fall könnte ein Obst- und Gemüsebaubetrieb in Anlehnung an ein Modell von Oliver Gassmann (siehe unten) z.B. Dosierspender für Smoothies (WAS) in der Schule oder für Sport- und Hotelanlagen (WER) entwickeln. Als Verbrauchsmaterial würde er die passenden Smoothie-Patronen nach seinen eigenen Rezepten liefern (WIE) und zu höheren Preisen abrechnen (WERT). Dann könnten sich die Konsumenten entweder ihre eigene Mischung kreieren oder aber die des Landwirtes zapfen (WAS). Durch eine Patentierung oder durch die spezielle Passform der Patronen hält der Landwirt den Konsumenten davon ab, einfach andere Flüssigkeiten einzufüllen (WIE + WERT).

Ok, das war eine Imitation nach dem Ähnlichkeitsprinzip. Klingt eigentlich einfach, wenn man es einmal verstanden hat. Das Produkt muss dabei natürlich so gut sein, dass die Kunden überhaupt bereit sind, in das Basisprodukt zu investieren. Und wie unterscheidet sich davon das Konfrontationsprinzip?

Schnitker: Die Imitation nach dem Ähnlichkeitsprinzip ist auch einfacher und weniger risikoreich. Aber in der Regel erreicht man nicht so große Sprünge damit, da der Innovationsschub nicht so groß ist. Beim Konfrontationsprinzip werden bewusst Extreme gesucht. Es geht um Muster, die bisher in ganz anderen Branchen angewendet wurden.

Wenn man also ein Geschäftsmodell eines Ackerbauers im Konfrontationsprinzip entwickeln wollte, könnte man sich zum Beispiel sogenannte. „2-sided-platforms“ (zu dt. „Zwei-Seiten-Plattformen) ansehen. Dieses Modell nutzt eine Online-Plattform als Marktplatz, auf dem es Anbieter und Nachfrager verbindet. Das Unternehmen, das die Plattform betreibt, tritt dann nicht als Anbieter oder Nachfrager auf, sondern nur als Mittler. Das Marktplatz-Prinzip ist derzeit sehr verbreitet.

Was kann ein Landwirt von Airbnb abschauen?

In der Theorie klingt das abstrakt. Auch hier würde mir wohl ein Beispiel zum Verständnis helfen.

Schnitker: Viele kennen das US-amerikanische Unternehmen Airbnb. Es ist der größte Zimmervermittler im Netz, aber ohne selbst ein einziges Zimmer zu besitzen. Wichtig für diese Art von Geschäftsmodellen ist, dass sie sich skalieren lassen. Denn sie funktionieren nur, wenn sehr viele Besuche auf der Plattform stattfinden. Das erreichen die Betreiber folgendermaßen: Die Plattformen vermitteln zum einen Gleichgesinnte, da viele Wohnungsbesitzer privat an Privatpersonen vermieten. Gleichzeitig können aber auch kommerzielle Immobilienbesitzer anbieten oder Geschäftsreisende können Zimmer buchen. Da keine nationalen Grenzen beachtet werden müssen, ist das Modell schnell global übertragbar. Hier geht es immer um „The winner takes it all“. Heißt: Die Marktanteile müssen schnell erobert werden und groß sein.

Was kann sich ein Landwirt für sein Geschäftsmodell ausgerechnet von einem Zimmervermieter abschauen?

Schnitker: Spielen wir es einmal durch: Wenn ein Landwirt das Geschäftsmodell von Airbnb imitieren wollte, könnte er beispielsweise eine Plattform zur Vermittlung von Park- und Lagerraum entwickeln. Kunden wären Privat- oder Geschäftspersonen, andere Unternehmen und auch Landwirte oder Agrarhändler. Aus Übernachtungsgästen würden also Park- und Lagerraumsuchende und statt Betten würden Park- und Stauräume vermietet.

Wenn ein Landwirt das Geschäftsmodell von Airbnb imitieren wollte, könnte er eine Plattform zur Vermittlung von Park- und Lagerraum entwickeln." - Prof. Dr. Karin Schnitker

Landwirte könnten sich zusammentun, um eine solche Plattform aufzubauen. Ebenso könnten dies ihre Organisationen tun. Landwirte würden sowohl als Plattformbetreiber profitieren, als auch als Anbieter. Bei einem stetigen Strukturwandel stehen doch immer mehr landwirtschaftliche Gebäude und Freiflächen leer, die vermietet werden können. Gleichzeitig boomt der Markt für die Selbsteinlagerung von Dingen des persönlichen Bedarfs. Dies liegt am Megatrend Urbanisierung. Wenn Wohnraum pro Kopf und Quadratmeter immer teurer wird, müssen kleinere Wohnungen gemietet werden. Dadurch entsteht Bedarf zur Einlagerung von Dingen, die eher saisonal genutzt werden.

Nutzen, was da ist.

Im Grunde haben Sie lediglich Vorhandenes genutzt und einem Trend angepasst?

Schnitker: Darüber hinaus zeigte eine US-Studie, dass Investitionskosten von innerstädtischen Parkplätzen zwischen 4.000 bis 60.000$ liegen. Die Mietpreisunterschiede zwischen Stadt und Land steigen weltweit stetig an. Somit wäre das Modell sehr gut skalierbar.

Es würde möglicherweise nicht nur im Tausch von Park- und Lagerraum zwischen Stadt und Land funktionieren. Denkbar wäre doch, dass man künftig seinen Parkplatz vor der Haustür oder seine Garage vermietet, wenn man im Urlaub ist. Abrechnen und buchen könnten sie dies mit einer zur Plattform gehörigen App wie beim Taxi-Dienst Uber, wo immer automatisch der Fahrer vermittelt wird, der am nächsten ist.

Am Anfang war die leere Scheune

Wir könnten auch die Kunden mitbedenken, die vielleicht nicht ihre Wohnung an andere Menschen vermieten würden, aber für Nebeneinnahmen durchaus zur Lagerung von deren Kisten ein Zimmer opfern würden. Wäre das dann Konkurrenz für die anbietenden Landwirte auf dem Land? Nein, weil es viel wichtiger wäre, möglichst viele Personen auf der Plattform zu bündeln und unterschiedliche Kundenbedürfnisse mit verschiedenen Lösungen zu befriedigen.

Und in noch weiterer Zukunft? Wenn das autonome Fahren Wirklichkeit würde, könnte man sein Auto während des Tages zum Parken aufs Land schicken. Und das alles, weil beim Landwirt am Anfang mal eine Scheune leer stand.

So analysiert man ein Geschäftsmodell

Um den Unterschied zwischen einem neuen Produkt und einem neuen Geschäftsmodell zu verstehen, schauen sich Entrepreneure an, auf welche spezifische Art ein Unternehmen Gewinne erwirtschaftet. Dabei helfen kann das betriebswirtschaftliche Modell von Oliver Gassmann. Es fragt nach den vier Dimensionen „Wer“, „Was“, „Wie“ und „Wert“. Prof. Karin Schnitker hat für f3 zwei Beispielanalysen durchgespielt.

Analyse 1: Gilette

Das Geschäftsmodell von Gilette im Rasierklingen-Beispiel (siehe Interview) ließe sich so analysieren: „Gilette verkauft Rasierer (WAS) an alle Männer und Frauen der Welt mit Haarwuchs (WER) und verspricht ihnen eine glatte, gepflegte Haut (WIE), wenn die Klingen immer scharf sind (WERT).“

Analyse 2: Ackerbaubetrieb

Die Geschäftsmodell-Analyse eines fiktiven Ackerbauerbetriebs könnte so lauten: „Der Betrieb produziert, liefert und lagert in kontrollierter Anbauweise (WIE) qualitativ hochwertigen Brotweizen, Braugerste und Zuckerrüben (WAS) für eine regionale Mühle sowie für die Zuckerindustrie (WER), die ihrerseits Endkunden in ganz Europa im Blick hat. Durch gute Böden und beste Witterungsverhältnisse, eine ressourcen-optimierte Produktion und hohe Management- und IT-Kompetenz (WIE) erreicht der Betrieb höchste Erträge bei vergleichsweise niedrigen Kosten. Dadurch kann das Unternehmen stetig wachsen und stetig in die Erweiterung von Dienstleistungen im Bereich Lieferung und Lagerung investieren und dem Kunden weiteren Nutzen stiften (WIE + WERT).

Vor diesem Hintergrund gibt Gassmann als Faustregel zur Unterscheidung von Produkt- und Prozessinnovationen gegenüber Geschäftsmodellinnovationen an, dass sich letztere auf mindestens zwei der vier Dimensionen signifikant auswirken müssen. Im Airbnb-Beispiel ändern sich genau diese.

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