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Die Zukunft des EU-Milchmarkts

Lesezeit: 7 Minuten

In Brüssel beraten EU-Kommission, EU-Rat und das Europäische Parlament über Vorschläge zur neuen gemeinsamen Agrarpolitik 2023. Für den Milchmarkt stehen richtungsweisende Punkte zur Diskussion. Prof. Dr. Holger Thiele bewertet die möglichen Neuerungen.


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Herr Prof. Thiele, die gesetzgebenden EU-Institutionen beraten derzeit die Eckpfeiler der künftigen EU-Agrarpolitik. Das Ergebnis der sogenannten Triloge wird auch die zukünftigen Rahmenbedingungen für die Wertschöpfungskette Milch bestimmen. Was erwartet die Milcherzeuger?


Thiele: Für die rund 57300 Milchviehbetriebe in Deutschland sind die Vorschläge zur Gemeinsamen Marktordnung (GMO) wie die zur Intervention (Art. 15), zu den Liefervertragsregeln (Art. 148) und die Regelungen zur Volumenreduzierung (Art. 219) am wichtigsten.


Das Instrument Intervention und Mengenbegrenzung (Milchquote) hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Die EU hat Milliarden für den Abbau der Milchseen und Butterberge ausgeben müssen. Wie soll die Intervention künftig aussehen?


Thiele: Interventionspreise sind nichts anderes als Mindestpreise. Vorschlag vom Europa-Parlament (EP) ist, die Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver als variablen Höchstpreis festzulegen. Die EU-Kommission würde dafür Angebote von Marktteilnehmern einholen. Das EP will die Interventionspreise außerdem zukünftig an Kriterien binden, die mit einer angemessenen Lebenshaltung für die Landwirtschaft im Einklang stehen.


Wie hoch ist der staatliche Mindestpreis für Milch?


Thiele: Das haben wir 2015 in einer Studie für sechs bundesdeutsche Agrarministerien untersucht. Demnach liegt der staatliche Mindestpreis bei rund 20 ct/kg Rohmilch ab Hof.


Was würden die Neuerungen zur Intervention konkret bedeuten?


Thiele: Der Interventionspreis würde sich an den Kosten der Milcherzeugung orientieren. Das könnte den staatlichen Mindestpreis von 20 ct/kg beispielsweise um 15 ct auf 35 ct/kg Milch steigen lassen. Das sieht auf den ersten Blick sehr verlockend aus. Die Konsequenz wäre aber, dass es wie in früheren Zeiten zu massiven Überschüssen und zu erhöhten Interventionslagermengen kommt. Auch die Budgetausgaben der EU würden dadurch drastisch steigen.


Für die Landwirte wäre ein höherer Mindestpreis also nicht hilfreich?


Thiele: Sagen wir so, der Preisauftrieb würde durch Auslagerung aus der Intervention in den besseren Marktphasen sehr begrenzt. Zusätzlich würde ein Preiseffekt weit oberhalb der internationalen Preise aufgrund der Einbettung in den Weltmarkt verpuffen. Es sei denn, man verhindert den massiven Anstieg der Importe von internationalen Märkten durch eine deutliche Erhöhung der Importzölle. Gleichzeitig müsste man wie früher die Exporte subventionieren. Das wäre aber eine extreme Kehrtwende des seit Anfang der 90er Jahre eingeschlagenen Weges der EU-Agrarmarktpolitik und EU-Handelspolitik.


Was genau beinhaltet der Artikel 148 GMO, über den die Politiker in den Trilogen ebenfalls diskutieren?


Thiele: Damit können seitens der Bundesregierung schriftliche Verträge über die Lieferung von Rohmilch zwischen Milchlieferanten und Molkereien verpflichtend für alle Molkereien vorgeschrieben werden. Im Vertrag müssen frei verhandelbare Kriterien wie Preis- und Rohmilchmengenregelungen, Vertragslaufzeiten, Zahlungsperiodenverfahren sowie Abhol- und Liefermodalitäten enthalten sein.


Wie bewerten Sie den Vorschlag?


Thiele: Wegen der sehr großen regionalen Unterschiede und den vielen neuen Herausforderungen im Milchsektor sollte die konkrete Ausprägung des geforderten Preis-Mengenverhältnisses zwischen den Vertragsparteien frei verhandelbar sein. Das Europa-Parlament schränkt das aber ein, indem der Preis auf Basis von Indikatoren und Methoden festgelegt werden soll, die unspezifische und verallgemeinerte Produktions- und Marktkosten enthalten. Ich sehe den Vorschlag deshalb sehr kritisch.


Die Lieferbeziehungen zwischen Molkereien und Landwirten stehen immer wieder in der Kritik. Ist es sinnvoll, EU-weite Standards zu schaffen?


Thiele: Es ist unstrittig, dass die Lieferbeziehungen modernisiert werden müssen, damit Landwirte besser auf die hohen Preisschwankungen reagieren können. Viele Molkereien in Deutschland arbeiten bereits daran, wie eine Studie des ife-Instituts gezeigt hat. Aufgrund der Heterogenität der Molkereien und der Vielfalt der Mitglieder- und Lieferantenstrukturen sowie der regionalen Gegebenheiten sollten auch die Liefermodelle heterogen sein. Jede Molkerei muss individuell prüfen, welches Modell für sie geeignet und für die Lieferanten von Vorteil ist und akzeptiert wird.


Also lieber Vielfalt statt eines einheitlichen Standards?


Thiele: Genau. Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft fordert einen breiten Maßnahmenmix und schreibt den Molkereien bisher kein Modell vor. Die Marktwirtschaft erfordert vielfältige Neuregelungen. Deshalb sollten allenfalls „praktische Regelungs- und Umsetzungsbeispiele“ benannt werden. Das könnten zum Beispiel verbesserte einzelbetriebliche Mengenplanungs-, Preisdifferenzierung- oder Festpreismodelle sein.


Kommen wir zum dritten Vorschlag des EP. Was beinhaltet dieser?


Thiele: Das EU-Parlament hat den vorhandenen Artikel 219 „Maßnahmen gegen Marktstörungen” mit zwei neuen Artikeln (Art. 219a/b) ergänzt. Der Art. 219a besagt, dass bei einem Ungleichgewicht auf dem Markt, die Kommission den Milcherzeugern eine Beihilfe gewährt, die ihre Produktion reduzieren. Ähnlich wie 2016 während des EU-Milchmengenreduzierungsprogramms. Da bekamen Milchviehhalter eine Prämie in Höhe von 14 ct/kg nicht gelieferter Milch im Vergleich zum dreimonatigen Vorjahreszeitraum.


Damals zeigte das Instrument die erwünschte Wirkung.


Thiele: Ja, diese Art von Herauskaufprogrammen sind freiwillig und können Anreize auslösen, die zu erheblichen Mengenreduzierungen führen. Zusätzlich haben sie sicherlich einen positiven Preiseffekt, der allerdings schwer messbar ist und sehr viel geringer ausfällt als häufig erwartet wird. Diese staatliche Maßnahme würde allerdings den EU-Haushalt belasten. Sie beinhaltet aber wenig Marktverzerrungen, da es ein freiwilliges Angebot mit hohen Anreizen für kostengünstige Produzenten ist. Die Freiwilligkeit ist hier entscheidend! Das EU-Parlament schlägt aber mit dem Art. 219b zusätzlich eine Abgabe für Milcherzeuger vor, die ihre Produktion in der Krisenzeit steigern. Wer also Gas gibt, wird bestraft.


Ein Bonus-Malus-System?


Thiele: Genau. Dieser zweite Teil entspricht aus meiner Sicht einer temporären Variante des Milchquotensystems mit verringerter Superabgabe. Ich erwarte ähnliche Effekte wie wir sie vom früheren Quotensystem kennen: Hohe Umverteilungs-, Gerichts- und Administrationskosten. Es wird viele Ausnahmen geben, warum Betriebe ihre Produktion steigern müssen. Kostengünstige Betriebe werden bestraft, die möglicherweise gleichzeitig versuchen die Kosten von z.B. höheren Umwelt-, Klima-und Tierwohlstandards aufzufangen. Aus meiner Sicht kann es für einzelne Betriebe aber sinnvoll sein, Mengen zu erhöhen. Wenn sie zum Beispiel zukunftsorientiert mit hohen Standards arbeiten und damit die regionale Wertschöpfung bereichern. Auch diese Landwirte würden mit dem System benachteiligt.


Wie geht es jetzt weiter?


Thiele: Portugal hat zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und möchte die Diskussionspunkte noch im ersten Quartal geklärt haben.


Ist es realistisch, dass die Vorschläge des EP so durchkommen?


Thiele: Ich denke nicht. Eventuell nur der Art. 219a bei Betonung der Freiwilligkeit! Angesichts der zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klima- und Umweltschutz, Tierwohl und Regionalität an die Wertschöpfungskette Milch geht es zukünftig nicht mehr um eine Rückkehr in die alten Systeme der Milchmarktpolitik. Vielmehr zählen neue intelligente Anreize für Anpassungsmaßnahmen und zur Abfederung der vielen zusätzlichen Kosten für die Milcherzeuger. Ich gehe davon aus, dass diese ohnehin zu einem Abbremsen der Milchanlieferungsmengen führen.


Angenommen, die Vorschläge des Parlaments würden tatsächlich eintreten. Könnten die deutschen Milcherzeuger ab 2023 langfristig mit mehr Milchgeld rechnen?


Thiele: Zu langfristig höheren Milchgeldzahlungen, deutlich über die internationalen Preise hinaus, wird es nur kommen, wenn die Zusatzleistungen der Milcherzeugung kompensiert werden. Entweder über eine notwendige höhere Zahlungsbereitschaft für Milchprodukte im Regal oder über staatliche Prämien, die ins Milchgeld hineingerechnet werden. Neue einzelbetrieblich ausgestaltete Preisliefermodelle (z.B. Festpreismodelle) bieten die Möglichkeit, Milchpreise zumindest zu stabilisieren.


kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com

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