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topplus Zukunft Kälberhaltung

Mehr Tierwohl für Kälber

Die Kälberhaltung rückt immer mehr in den öffentlichen Fokus. Neue Ansätze für die Haltung und Aufzucht sind gefordert. Darüber haben wir mit Beratern, Herstellern und Landwirten gesprochen.

Lesezeit: 9 Minuten

Milcherzeuger, die aktuell in die Kälberaufzucht investieren wollen, stehen vor einigen offenen Fragen. So soll das Mindesttransportalter auf 28 Tage (Deutschland) bzw. 35 Tage (EU) heraufgesetzt werden. Die einfachste Lösung scheinen mehr Iglus zu sein, in denen Kälber bis zur achten Lebenswoche gehalten werden dürfen.

Zu zweit aufstallen?

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Doch die könnten in wenigen Jahren schon unbrauchbar werden. Denn die EU-weite Bürgerinitiative „End the Cage age“ (dt: „Beendet das Käfigzeitalter“) will die „Käfighaltung“ für landwirtschaftliche Nutztiere bis 2027 verbieten. Das betrifft auch die Einzelhaltung von Kälbern. Die EU-Kommission will die Vorschriften überarbeiten.

Ein Lösungsansatz könnte das paarweise Aufstallen der Kälber ab den ersten Lebenstagen sein (siehe Reportage, Seite R 26). Jannifer Van Os von der Universität Madison (Wisconsin, USA) forscht zu diesem Thema: „Die Kälber profitieren von einem besseren Sozialverhalten und weniger Stress beim Absetzen. Außerdem zeigen Studien, dass die Kälber vor und während des Absetzens mehr fressen. Sie nehmen besser zu und sind fitter.“ Und die paarweise Haltung sorge für eine hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit, berichtet Van Os. Es gibt aber auch noch offene Fragen, zum Beispiel wann der optimale Start in die paarweise Haltung ist.

Die Hersteller für Haltungstechnik bieten bereits Lösungen für das Aufstallen zu zweit an. Dazu gehören Doppel­iglus, Verbindungsmodule für die Auslaufgitter, herausnehmbare Wände für Kälberboxen oder eine fahrbare, automatische Tränke für zwei Kälber.

Prof. Anke Schuldt und Dr. Regina Dinse von der Hochschule Neubrandenburg sehen aber auch Herausforderungen: „Die paarweise Aufzucht setzt ein hohes Angebot an Milch oder Milchaustauscher voraus. Die Investitionen in neue Haltungssysteme sind für viele Betriebe aktuell nicht zumutbar.“ Zudem erfüllten Iglus mit Auslauf, die in Sichtkontakt zu anderen Kälbern aufgestellt sind, die derzeitigen Anforderungen an eine tiergerechte Haltung.

Kleingruppen von Anfang an?

Neben der paarweisen Kälberhaltung in Iglus könnten auch eine frühzeitige Gruppenhaltung an Bedeutung gewinnen. Beispielsweise mit sogenannten Kombisystemen, bei denen die Kälber vom ersten bis letzten Tränketag an einem Standort bleiben und das System per herausnehmbaren Wänden mitwächst. „Ich bin mir sicher, dass wir solche Systeme in Zukunft häufiger sehen als Einzeliglus“, sagt Dr. Ilka Steinhöfel vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.

Die hohe Arbeitsbelastung und fehlende Mitarbeiter schränken die Betriebe zunehmend ein. Der Zeitaufwand für das wochenlange Tränken der einzelnen Kälber mit Eimern wird oft unterschätzt“
Thomas Sprock, Geschäftsführer der Firma Urban

Die Gruppenhaltung hat weitere Vorteile. So lassen sich Wasser, Kälbermüsli bzw. Raufutter einfacher anbieten. Auch das Milchtränken ist arbeitseffizienter möglich, zum Beispiel in Tränkewannen mit mehreren Nuckeln oder automatischen Abrufstationen. „Die hohe Arbeitsbelastung und fehlende Mitarbeiter schränken die Betriebe zunehmend ein. Der Zeitaufwand für das wochenlange Tränken der einzelnen Kälber mit Eimern wird oft unterschätzt“, sagt auch Thomas Sprock, Geschäftsführer der Firma Urban.

Für Milcherzeuger wird sich vor allem das Management der Bullenkälber verändern müssen, wenn diese länger auf dem Hof bleiben. Eine Lösung sieht Dr. Christian Koch vom Hofgut Neumühle: „Denkbar wäre es, die Bullenkälber zu viert oder sechst zu halten und als Gruppe zu vermarkten. So ließe sich der Arbeitsaufwand reduzieren und höhere Erlöse erzielen. Einige Betriebe vermarkten so ihre Fleischrasse-Kreuzungen nach vier bis sechs Wochen für bis zu 600 €/Kalb – also fast 400 € mehr als mit 14 Tagen."

Die frühzeitige Paar- oder Gruppenhaltung hat aber auch ihre Grenzen, warnt Steinhöfel. „In der Natur sondert sich das Kalb für die ersten Tage ab. Es schützt sich damit instinktiv vor Infektionen, weil das eigene Immunsystem noch nicht stabil genug ist.“ Sinnvoll sei eine Gruppenhaltung frühestens ab dem siebten Lebenstag. Voraussetzung dafür sind eine optimale Hygiene und hohe Haltungsstandards.

Kuhgebunden aufziehen?

Neben der Einzelhaltung von Kälbern, steht auch die Trennung von Kuh und Kalb in der Kritik. Ein Lösungsansatz ist die kuhgebundene Aufzucht. Dabei sollen die Tiere ihr natürliches Verhalten ausleben können.

Es gibt verschiedenste Haltungsformen, wie die Aufzucht mit der eigenen Mutter, mit Ammenkühen, restriktives Säugen der Kälber sowie mit oder ohne zusätzlichem Melken der Kühe. Mit einem von der EU gefördertem Projekt haben Bioland, das Thünen-Institut und die Uni Kiel einen Leitfaden für die kuhgebundene Kälberaufzucht erarbeitet. Der soll Tipps, Beispiele und Handlungsempfehlungen geben.

Noch ist die kuhgebundene Aufzucht vorrangig für ökologisch wirtschaftende Betriebe ein Thema."
Dr. Christian Koch, Hofgut Neumühle

„Noch ist die kuhgebundene Aufzucht vorrangig für ökologisch wirtschaftende Betriebe ein Thema. Doch das könnte sich ändern. Wir müssen klären, wie sich die Haltung praktisch am besten umsetzten lässt“, sagt Koch. Und die Haltung verursacht Mehrkosten von 130 bis 300 € pro Kalb laut Thünen-Institut. Ohne entsprechende Honorierung für Milch und Bullenkalb, die es bisher nur bei einigen Biomolkereien oder bei einer Direktvermarktung gibt, ist die Umsetzung für Betriebe schwierig.

Offen sind zudem Fragen zur Haltung, zur Eutergesundheit oder dem Abtränken. Die wollen einige Lehr- und Versuchsanstalten klären. So berichtet Steinhöfel: „Wir planen eine Untersuchung zur Frage, wie eine Abkalbebox für Kuh und Kalb für die ersten sechs Tage optimalerweise aussehen könnte.“

Auch die Hersteller beschäftigen sich mit der kuhgebundenen Aufzucht. Holger Kruse von Holm & Laue erklärt: „Offen ist, wann und wie das Abtränken am besten gelingt. Denkbar wäre die zeitweise Kombination von Kuh und Tränkeautomaten. Dafür müssen wir unsere Systeme neu denken.“

Die Basics als Erfolgsfaktor

Zusätzlich zur Haltung könnte die Kälberfütterung in den öffentlichen Fokus geraten. Darauf sollten sich Milcherzeuger einstellen, prophezeien Experten. Das zeige das Verbot von importierten Futterfetten oder Milchaustauschern insgesamt in Österreich.

Zudem führen Wissenschaftler zu hohe Kälberverluste und geringe Zunahmen auf eine zu geringe und zu kurze Tränke zurück. Eine restriktive Milchtränke sehen auch Schuldt und Dinse kritisch: „Für eine bedarfsgerechte Versorgung sind mindestens 12 l, besser 14 l Milchtränke pro Tier und Tag bis zum Ende der siebten Lebenswoche nötig. Das Absetzen sollte nicht vor dem 90. Lebenstag erfolgen.“

Für die Tränkephase entwickeln die Unternehmen neue Sensoren und technische Lösungen: Tränkeverhalten, Bewegungsaktivität oder automatische Gewichtskontrolle. Infos aus dem Kälberstall spielen eine immer größere Rolle. In einem Projekt wollen die sächsischen Wissenschaftler eine Risikoanalyse etablieren und Prognosen zur späteren Leistungsfähigkeit geben, sagt Steinhöfel. „Wir wollen einen Index entwickeln, der die Umwelteinflüsse von der embryonalen Phase bis zur Trächtigkeit der Färse bewertet. Damit soll frühzeitig das spätere Leistungspotenzial der Kuh abschätzbar sein.“

Hersteller und Berater machen aber auch deutlich: Die neueste Technik, Automatisierung oder künstliche Intelligenz bringen wenig, wenn die Basics der Kälberaufzucht nicht umgesetzt werden. Wichtige Erfolgsfaktoren bleiben: ausreichend Kolostrum, Hygiene und gutes Klima. Wer das umsetzt, sorgt für gesunde Kälber und viel Tierwohl.


Reportage

Kleingruppe mit Einzeliglus

Einfach und praktisch: Hartmut Börger nutzt seine Einzeliglus jetzt für die Gruppenhaltung.

Milcherzeuger Hartmut Börger aus Wietmarschen (Niedersachsen) melkt 120 Kühe. In den ersten zwei Wochen waren die Kälber bis letztes Jahr einzeln in Iglus unter einem Schrägdach untergebracht. „Seit einigen Jahren tränke ich Milchaustauscher ad libitum. Für die Entwicklung der Kälber ist das super. Aber weil sie die Eimer nicht restlos leer saufen, musste ich rund 30 l pro Kalb wegschütten“, so Börger. Deshalb suchte er nach einer Alternative.

Seine Lösung: Kleingruppen mit Abrufstation. Damit er seine Haltungseinrichtung weiter nutzen kann, hat er einen Auslauf mit Weide­toren gebaut, den alle Kälber nutzen können. In den ersten zwei bis drei Tagen bleiben die Kälber allein. Anschließend klappt der Landwirt den Auslauf hoch und verbindet so die Iglus. Nach und nach entsteht eine Gruppe mit bis zu neun Kälbern, die Zugang zu einer Tränkestation haben.

Nach etwa zwei Wochen kommt die Gruppe in ein Großraumiglu. Dann wäscht und desinfiziert Börger die Iglus. Auf der gegenüberliegenden Seite entsteht die nächste Iglu-Gruppe. Für den Umbau hat der Milcherzeuger einen Tränkeautomaten mit drei Stationen und Weidetore angeschafft.

Börger ist von seinem Konzept überzeugt: „Die Kälber entwickeln sich super: Sie sind aktiver, verspielter und fressen mehr Kälbermüsli.“ Das Saufen an der Tränkestation lernen die Tiere schnell und rufen nach wenigen Tagen bis zu 15 l ab. Zusätzlich ist die Arbeit einfacher, meint Börger: „Ich hätte nie gedacht, wie viel Zeit das Tränken mit Nuckeleimern gekostet hat.“


Reportage

Zu zweit sind Kälber fitter

Die Agrargenossenschaft Lungwitztal macht mit der paarweisen Kälberhaltung gute Erfahrungen.

Der positive Effekt der paarweisen Haltung auf das Sozialverhalten der Kälber hat mich überrascht“, sagt Anlagenleiterin Anett Reul von der Agrargenossenschaft Lungwitztal in Bernsdorf (Sachsen). Vor etwa einem Jahr hat der Betrieb mit 850 Kühen die Kälberhaltung neu aufgestellt. Denn die Kälber waren in einem Altgebäude in Einzelboxen untergebracht. Die Gesundheit hat unter den Luftbedingungen gelitten. Der Betrieb hat deshalb 30 Doppelboxen angeschafft. „Uns haben die Vorteile der gemeinsamen Aufzucht überzeugt. Und mit den größeren Iglus sind wir flexibler, wenn wir Bullenkälber länger aufstallen müssen oder bei Abkalbespitzen. Im Notfall lassen sich auch drei Kälber pro Iglu unterbringen“, sagt Reul.

Die Kälber lernen schnell und saufen durch den Futterneid motivierter.“

Der Betrieb tränkt die Kälber vier Mal täglich mit 2 bis 2,5 l Milchaustauscher. Anders als befürchtet gibt es keine Probleme mit dem gegenseitigen Besaugen. In den ersten 24 Stunden bleiben die Kälber in separaten Boxen am Abkalbestall und erhalten dort das Kolostrum. Ab dem zweiten Lebenstag sind sie im Doppeliglu. „Man muss verstärkt darauf achten, dass kein Kalb von seiner Tränke verdrängt wird. Aber die Kälber lernen schnell und saufen durch den Futterneid motivierter“, so Reul. Wenn ein Kalb nicht fit ist, kommunizieren die Mitarbeiter das über die Info-Tafeln an den Hütten.

Die paarweise Haltung beeinflusst die Erkrankungsrate laut Reul nicht: „Wenn ein Kalb Durchfall hat, bekommt das zweite Kalb es natürlich auch. Aber das lässt sich auch von Iglu zu Iglu kaum verhindern.“

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