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Kontrovers diskutiert

Tierärzte kritisieren Ziele der Milchviehzucht

Der Präsident der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern kritisiert die Zucht bei Holsteinkühen auf Milchleistung. Nach fünf Jahren seien die Tiere in einem ausgelaugten, kranken Zustand

Lesezeit: 8 Minuten

Anlässlich des Weltmilchtages am 1. Juni sind wieder Diskussionen um die Zuchtziele von Milchkühen aufgekommen. "Die Frage, ob Nutztiere so gezüchtet wurden, dass sie eine Qualzucht darstellen, die ist in höchstem Maße berechtigt", sagt etwa der Präsident der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Holger Vogel laut NDR.

So meinen einige Tierärzte, die hohe Milchleistung gehe auf Kosten der Tiergesundheit. Sie fordern ein Umdenken. Das sieht laut NDR auch Vogel so. Kühe würden absolut an ihre Leistungsgrenze gebracht und das mache sie krank. Etwa jede zweite Kuh erkranke an Euterentzündungen, an Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen und habe Probleme mit den Klauen, schilderte er und beruft sich auf wissenschaftliche Untersuchungen.

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Im Alter von fünf Jahren und drei Abkalbungen kämen die Kühe zum Schlachter. "Wenn man sich die Kreatur, das Mitgeschöpf mal anschaut, wie sie dann oft aussehen, wenn die Nutzungszeit zu Ende ist, wie sie auf den Schlachthöfen ankommen, ja, geradezu entsorgt werden, das muss doch betroffen machen", so Vogel weiter.

Sabine Krüger, Geschäftsführerin des Rinderzuchtverbandes MV, hält im NDR dagegen, dass der Landwirt mit der Milchviehhaltung Geld verdienen müsse. Deshalb sei eine hohe Milchleistung wichtig - bei guter Gesundheit. Neben der Zucht sei dafür vor allem das Management im Stall wichtig - mit gutem Klima, Futter und bequemen Ruheplätzen. "Dennoch denke ich, dass gerade die Holsteinkühe sehr robuste Kühe sind, die in der Lage sind diese sehr hohen Leistungen wegzustecken, die in perfekter Umgebung auch lange gesund bleiben. Also ich sehe das nicht als eine überzüchtete Rasse an", so Krüger.

Den Landwirten will der Präsident der Landestierärztekammer, Vogel, nach eigener Aussage auch keinen Vorwurf machen. Das Leid der Milchkuh sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. "Dazu würde auch gehören, dass man eben nicht die billigste Milch kauft. Und da fängt aus meiner Sicht der Tierschutz bei jedem Einzelnen an. Denn wie soll so eine Kuh leben, wenn die Milch verramscht wird."

Gemeinsam mit Kollegen der Bundestierärztekammer möchte Holger Vogel die Situation verbessern. Das Tierschutzgesetz verbietet es, einem Tier Leistungen abzuverlangen, die seine Kräfte übersteigen. Und das sei bei der Holstein-Kuh der Fall.

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Gastkommentar von Prof. Wilfried Brade, Norddeutsches Tierzucht-Beratungsbüro

Endlich wird den Züchtern seitens der Tierärzte einmal korrekt auf die Finger geschaut!

Die genetisch-züchterischen Aktivitäten sind aktuell für über 85 % des beobachteten Leistungsfortschritts in der Milchleistung in Mecklenburg-Vorpommern (oder anderenorts) verantwortlich. Der Grund für die kontinuierliche Leistungssteigerung ist in der nun über 30 Jahre andauernde, konsequenten Selektion der Deutschen Holsteins (DH) auf weitere Zunahme der Milchleistung und damit schnelle Leistungssteigerung in der Frühlaktation zu sehen.

Das genetisch-bedingte Leistungspotenzials konnte nachweislich um +2.000 kg ECM (= energiekorrigierte Milch) in der zweiten Laktation bei Holsteinkühen (Farbrichtung: Schwarzbunt) in den letzten 25 Jahren angehoben werden.

Eine gezielte Zuchtauslese beeinflusst aber nicht nur das unter Selektion stehende Merkmal (z.B. das Zielmerkmal: Milchleistung) sondern auch alle weiteren Merkmale, die mit der betreffenden Zielgröße genügend eng genetisch assoziiert sind.

Das bedeutet, dass auch die zugehörige Stoffwechselaktivität der Milchkühe indirekt beeinflusst wurde.

Bekanntermaßen steigt die Milchleistung und die Futteraufnahme nach der Abkalbung unterschiedlich schnell an. Eine negative Energiebilanz (NEB) in der Frühlaktation ist die Folge. Die negative Energiebilanz kann nur durch Mobilisierung von Körperreserven ausgeglichen werden. Das systematische ‚Abfleischen‘ der Kühe in der Frühlaktation ist dafür ein gut bekanntes Zeichen.

Eine übermäßige Körperfettmobilisation spiegelt sich in stark erhöhten Konzentrationen an nicht-veresterten Fettsäuren (non-esterified fatty acids, NEFA) im Blut wider, welche ihrerseits zu einer erhöhten Ketonkörperproduktion und Fettakkumulation in der Leber führen können. Eine schwerwiegende Fettanreicherung, die sogenannte Fettleber, kann störend auf Stoffwechselfunktionen der Leber wirken.

Da eine Stoffwechselerkrankung (z.B. Ketose) gleichzeitig das Risiko einer Infektionserkrankung erhöht, können weitere entzündlichen Erkrankungen wie eine Mastitis bzw. Lahmheit eine zusätzliche (indirekte) Folge einer NEB sein.

Das Ausmaß der Körperfettmobilisation hat folglich einen entscheidenden Einfluss auf die Stoffwechselbelastung und das Wohlbefinden der Milchkühe in der Frühlaktation.

Die Energiebilanz in der Frühlaktation hat sich in den letzten 25 Jahren deutlich weiter verschlechtert. Zwischenzeitlich beträgt die NEB im Mittel über 1800 MJ NEL in den ersten 90 Laktationstagen. Moderne Holsteinkühe müssen - bedingt durch die enorme Leistungsverbesserung - heute ca. 75 kg Körpermasse nach der Abkalbungverstoffwechseln.

Aber im Zuchtziel findet man dazu überhaupt keine Aussage dazu! Schade!

Und: Die deutschen Holstein-Zuchtorganisationen veröffentlichen seit April 2019 direkte Zuchtwerte für Gesundheitsmerkmale. Die zugehörigen Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Milchleistung (RZM) sind eindeutig negativ gerichtet; trotz völlig anderer Aussagen sogar von Tierzucht-Professoren und Verantwortlichen im vit Verden. Zusötzlich sind die Beziehungen zu den beiden Exterieurmerkmalen ‚Größe‘ und ‚Milchcharakter‘ negativ.

Aber – trotz Vorliegen von Gesundheitszuchtwerten – gehen diese nicht in den offiziellen Gesamtzuchtwert (= RZG). Man verweißt auf die Zukunft…..und züchtet weiterhin auf Größe und Milchcharakter…..

Aussagen aus den großen Tierzucht-Forschungseinrichtungen, speziuell in Mecklenburg-Vorpommern in Dummerstorf, fehlen wieder einmal. Man beschäftigt sich dort mit ‚wichtigeren Dingen‘ wie Fliegenzucht und Mäusen.

Übergroße Tiere haben eine unterdurchschnittliche Langlebigkeit!

Offensichtlich kommen vor allem die übergroßen Kühe mit den vorhandenen Haltungs- und Fütterungsbedingungen weniger gut zurecht. Erfahrungsgemäß liegen sie bei zu kleinen Liegeboxen oft nicht vollständig im Boxenbereich oder bevorzugen die Treibgänge bzw. Spaltenböden beim Liegen. Das Tierwohl ist damit deutlich eingeschränkt.

Mit anderen Worten: Die Holsteinzüchter sollten umdenken: Weg von „falschen Schönheitsidealen“ in Form von sehr edlen, sehr großen Kühen mit einem extrem scharfen Widerrist etc., sondern betonte Hinwendung zur Funktionalität/Stabilität der Kühe.

Die Zuchtverantwortlichen im DHV-Bereich verweisen an dieser Stelle immer gern auf die Integration der ‚Nutzungsdauer‘ im Zuchtziel. In der Tat kann im Merkmalskomplex ‚Nutzungsdauer (RZN)‘ ein leichter kontinuierlich positiver Trend in den jüngeren Holstein-Kuhjahrgängen beobachtet werden Er bleibt allerdings weit unter den Erwartungen.

Die Nutzung jahrelang unzureichender Zuchtwertschätzmodelle im vit Verden führte leider in der Vergangenheit nachweislich zu einer regelmäßigen Überschätzung vor allem der Jungbullen im RZN; vergleichsweise gegenüber den töchtergeprüften Altbullen (Brade, 2016, Brade, 2017, Rensing, 2018). Im Ergebnis zeigt sich nun auch nur ein sehr begrenzter Zuchtfortschritt im Merkmalskomplex ‚Nutzungsdauer (RZN)‘.

Die notwendige Einführung eines neuen RZN-Schätzmodells in 2018 durch das vit Verden läßt erst in Zukunft positive Auswirkungen haben, denn die Nachkommen dieser neubewerteten Bullen sind noch in der Aufzucht.

Schließlich ist noch ein Problem in der Milcherzeugung, speziell in MV, zu nennen: der sehr hohe somatische Milchzellgehalt älterer Kühe in MV.

Liegt der geometrische Mittelwert (über drei Monate) für den Zellgehalt ≥400.000 Zellen/ml in der Gesamt-Ablieferungsmilch, so droht bekanntermaßen ein Geldabzug. Der mittlere Milchzellgehalt der älteren Kühe ist beispielsweise in MV so hoch, dass ihre Milch nur noch durch einen ‚Verdünnungseffekt‘ mit der Milch jüngerer Kühe regelmäßig vermarktet werden kann.

Eine konsequente Berücksichtigung dieses Sachverhaltes erfordert, zukünftig eine noch stärkere Hinwendung der Holstein-Züchtung auf Stoffwechselstabilität, Euter- und Klauengesundheit, vor allem in den östlichen Bundesländern, sicherzustellen.

Die Bedingungen der Milcherzeugung in den verschiedenen Ländern/Regionen sind eben nicht gleich sondern unterschiedlich!

Berücksichtigt man diese vielfältigen Sachverhalte, so ist eine zukünftig stärkere Hinwendung der Holstein-Züchtung auf Stoffwechselstabilität, Euter- und Klauengesundheit

Runder mit dem hohen (bisherigen) Gewichtunganteil für die Milchleistung von 45% auf unter 30% unter intensiven Milcherzeugungen mit Lohnarbeitskräften wie beispielsweise in MV zugunsten von Nutzungsdauer und Tiergesundheit endlich angezeigt!

Fazit:

  1. Die Definition eines einheitlichen Zuchtzieles mit dem besonderen Schwerpunkt auf weitere Verbesserung der Milchmengenleistung bei Deutsche Holsteins, die nachweislich unter sehr verschiedenen Produktionsumwelten gehalten werden, ist nicht mehr zeitgemäß; die großen Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern oder in den anderen östlichen Bundesländern benötigen andere Genotypen als die kleinen Familienbetriebe mit Weidegang in Ostfriesland;

  2. Eine konsequente Berücksichtigung eines zunehmenden Energiedefizits in der Frühlaktation ist bereits bei der Zuchtzielformulierung dringend erforderlich;

  3. Die künftig stärkere Berücksichtigung der Körperkondition-Zuchtwerte (BCS-ZW) im Rahmen der Bullenauswahl bietet hier sofort deshalb an, da zugehörige Zuchtwerte bereits routinemäßig vorliegen. Leider gehen diese Informationen jedoch (noch) nicht in die aktuelle Gesamtbewertung (RZG) der Vatertiere ein.

Hinweis: Gastkommentare geben nicht in allen Bereichen die Meinung der Redaktion wieder. Wir veröffentlichen sie dann, wenn wir sie für einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft halten. Wie stehen Sie dazu? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar unten.

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