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Überraschend beschlossen: Kälber erst nach 28 Tagen transportieren

Kälber sollen zukünftig erst ab der fünften Lebenswoche transportiert werden dürfen. Bleibt es bei der Entscheidung und was sagen Milchviehhalter, Händler und Mäster dazu?

Lesezeit: 5 Minuten

Scheinbar still und heimlich hat der Bundesrat eine Änderung der Tierschutztransportverordnung beschlossen, die weitreichende Folgen für Milcherzeuger und den Kälberhandel hat: Für Kälber könnte künftig ein Transportverbot bis zum 28. Lebenstag gelten. Zuvor durften Kälber bereits ab 14 Tagen transportiert werden.

Niedersachsen stellt Antrag

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Auf top agrar-Anfrage bestätigt das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium den entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht zu haben. Die Notwendigkeit dafür stützt das Ministerium auf ein Positionspapier der Bundestierärztekammer (BTK) und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT). Demnach sei das Immunsystem von Kälbern „frühestens nach vier Wochen belastbar und zuvor durch die immunologische Lücke kein ausreichender Schutz gegeben“. Weitere Fachgespräche im Zuge des Bundesratsverfahren haben offensichtlich nicht stattgefunden.

Das bestätigt auch der stellvertretende Geschäftsführer des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), Dr. Bernhard Schlindwein. Er betont, dass es zum Thema Kälbertransporte zuvor keine Befragung und keine Anhörung der Wirtschaft gab. Einige Bundesländer hätten das Thema so durchgewunken. „Das ist aus meiner Sicht eine Unverschämtheit und führt nur zur Politikverdrossenheit“, sagt er.

Ein Jahr Übergangsfrist

Betroffen sind in erster Linie Milchviehhalter. Vor allem Holstein-Betriebe vermarkten Bullen- und Kreuzungskälber in der Regel nach zwei Wochen an Händler. Der Bundesrat räumt mit Blick auf die Konsequenzen nach derzeitigem Stand eine Übergangsfrist von einem Jahr ein. Damit könnte die neue Regelung ab Herbst 2022 gelten. Das niedersächsische Ministerium geht davon aus, dass die meisten seiner Milchviehhalter zusätzlich Iglus kaufen werden. Stallbaumaßnahmen könnten in „Ausnahmefällen“ nötig sein.

Mathias Klahsen von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen schätzt die Mehrkosten aus Fütterung und Versorgung auf 4 bis 4,5 € pro Tag. Ohne Baukosten und etwaige Tierarztkosten. „Pro Kalb werden so rund 60 € mehr benötigt. Leider zeigt die Erfahrung, dass die Landwirte das am Markt nicht erlösen können“, sagt der Marktexperte. Denn auch für den Kälberhandel und Transport steigen die Kosten. All das muss im Fall der Holsteinkälber die Kälbermast über den Verkaufspreis des Fleisches erwirtschaften.

„Pro Kalb werden so rund 60 € mehr benötigt. Leider zeigt die Erfahrung, dass die Landwirte das am Markt nicht erlösen können." - Mathias Klahsen

Nach der Entscheidung des Bundesrates muss die Bundesregierung die Verordnung noch offiziell „verkünden“. Ein Rückzieher gilt aktuell in der Branche als unwahrscheinlich – vor allem mit Blick auf die anstehenden Wahlen.


Milcherzeuger„Den Preis zahlen wir!“

„Und wieder sollen wir Milcherzeuger den Preis für mehr Tierwohl zahlen“, macht Martin Schmidt aus Hattert-Hütte (Rheinland-Pfalz) seinen Unmut deutlich. Zusammen mit seinem Sohn hält er 200 Kühe.

Die weiblichen Kälber behalten sie zur Remontierung oder verkaufen sie über Auktionen. Einige Bullenkälber können sie auf 60 Mastplätzen aufstallen. Alle anderen vermarkten sie nach zwei Wochen. Die neue Regelung heißt für Schmidt aber: „Wir brauchen mindestens 30 Iglus zusätzlich, denn die Anzahl und Abmessung unsere Kälberhütten reicht nicht aus. Die Haltungsverordnung fordert ab der dritten Woche eine Liegefläche von mind. 1,60 x 0,90 m.“

Dazu kommen die höheren Kosten über zwei Wochen Milchaustauscher (ca. 40 €), Heu, Einstreu und ggf. tierärztliche Behandlungen. „Aber vor allem kosten die zwei Wochen mehr Arbeit! Denn wir kümmern uns um jedes Kalb, egal ob weiblich oder männlich, intensiv und das braucht Zeit“, so Schmidt.

Die drängendste Frage ist, ob sich der Mehraufwand bezahlt macht: „Schon jetzt decken die Kälbererlöse selten die Kosten. Und ich glaube nicht, dass zukünftig der Verbraucher, der Einzelhandel, der Mäster oder Transporteur die Kosten übernehmen wird – sondern wir!“


Händler: Circa 30 % Mehrkosten

Wenig Sinn und Nutzen in dem Transportverbot sieht Kälberhändler Paul Berghuis: „Das war ein politischer Schnellschuss, denn die betroffenen Parteien wurden im Vorfeld kaum angehört!“ Kälber würden nicht unbedingt davon profitieren, wenn sie länger auf den Herkunftsbetrieben bleiben. „Und es ist noch gar nicht eindeutig geklärt, wann aus Sicht der Kälber der optimale Zeitpunkt für einen Transport wäre“, so Berghuis. Seiner Meinung nach wäre ein Mindestgewicht in Kombination mit dem aktuellen Mindestalter von 14 Tagen besser geeignet, um die Transportfähigkeit einzuschätzen.

„Und es ist noch gar nicht eindeutig geklärt, wann aus Sicht der Kälber der optimale Zeitpunkt für einen Transport wäre.“ - Paul Berghuis

Im Schnitt sind Kälber bei Berghuis 20 Tage alt und wiegen 50 kg. Zukünftig wären sie zwei Wochen älter und 60 bis 75 kg schwer. Weil die Holsteinkälber größer sind, muss Berghuis zwei- statt dreistöckige LKWs einsetzen: „Das erhöht die Transportkosten um etwa 30 %. Auch in den Sammelstellen brauchen wir 20 bis 30 % mehr Platz und müssen das einkalkulieren.“


Kälbermäster: Die Gesundheit zählt

„Tiefgreifende Veränderungen im Management erwarten wir nicht“, sagt Tobias Brüninghoff. Der Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens in Bocholt (NRW) kauft rund 1 000 Kälber pro Woche für sich und Lohnmäster. Für die Mäster sei essenziell, dass die Kälber stabil und robust ankommen. Ob das mit einem höheren Alter der Fall ist, sei abzuwarten und hänge von den Herkunftsbetrieben ab. „Fütterung und Pflege in den ersten Wochen beeinflussen das spätere Wachstumspotenzial enorm. Die Preisspanne zwischen kleinen und gut entwickelten Kälber wird sich vergrößern“, sagt er.

Mehr als 600 000 hiesige Kälber werden jährlich in die Niederlande geliefert. Dortige Branchenkenner berichten, dass der Altersunterschied zwischen den deutschen und heimischen bzw. Tieren aus anderen EU-Staaten ein Problem bei der Gruppenzusammenstellung sei. Auch im Nachbarland sei das Transportalter ein politisches Thema. Ob dort Änderungen anstehen, sei nicht klar.

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