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Floriert die Region Weser-Ems auch mit weniger Veredlung?

Das Thünen-Institut kommt zu dem Schluss, dass eine Reduzierung der Schweinebestände in Nordwestdeutschland keine dramatischen wirtschaftlichen Folgen hätte. Das AEF-OM hält dagegen.

Lesezeit: 6 Minuten

Darum gehts: Der Nordwesten Deutschlands mit seiner intensiven Viehhaltung muss auch bei deutlich reduzierten Schweinebeständen keinen wirtschaftlichen Aderlass und hohe Arbeitslosigkeit fürchten. Zu diesem Schluss kommt zumindest das Thünen-Institut in seiner jüngsten „ReTiKo“-Studie. Die Wirtschaftsbeteiligten in der Region befürchten genau das Gegenteil.

Pro: Vieh- und Fleischwirtschaft hat Wachstum mancher Branchen bislang behindert

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Dr. Anne Margarian arbeitet am Thünen-Institut für Marktanalyse in Braunschweig und hat an der "ReTiKo"-Studie mitgearbeitet.

Im Rahmen unseres Forschungsprojektes „ReTiKo“ haben wir untersucht, wie sich eine Verminderung des ­Viehbestandes in der Veredlungsregion Nord­westdeutschlands auf die regionale Wirtschaft auswirken könnte.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein derartiger Wandel nicht unweigerlich mit einem Verzicht auf weiteres Wachstum verbunden ist. Denn in der Region hat sich in den vergangenen Jahren eine vielfältige, dynamische Wirtschaftsstruktur entwickelt. Dazu hat die Vieh- und Fleischwirtschaft sicherlich beigetragen. Das Beschäftigungswachstum wird aber auch von Branchen und Unternehmen getragen, die nicht von der Viehwirtschaft abhängig sind.

Die Entwicklungsdynamik der Branchen und den Zusammenhang zwischen ihnen haben wir mit statistischen Regressionen und Simulationsrechnungen analysiert. Ergebnis: Das Beschäftigungswachstum in der Region kann andauern, selbst wenn sich die Zahl der Beschäftigten im Agrarsektor halbiert.

Das gilt umso mehr, als das starke Wachstum der Vieh- und Fleischwirtschaft bisher andere Branchen mancherorts sogar behindert hat. Denn ­Boden und Arbeitskräfte sind in der ­Region knapp. Angesichts dieser Konkurrenz um Ressourcen kann weniger Viehwirtschaft zu einem verstärkten Wachstum anderer Branchen führen.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Ressourcen der Wertschöpfungskette „Fleisch“ weiter in der Region genutzt werden. Unsere Interviews in Unternehmen der Vieh- und Fleischwirtschaft inklusive der Zulieferer und Dienstleister haben gezeigt, wie kreativ und anpassungsfähig man dort ist.

Viele beliefern jetzt Märkte in der ganzen Welt. Etliche beteiligen sich an neuen Wertschöpfungsketten oder stellen ihre Kompetenzen anderen Branchen zur Verfügung. Ein solches Wachstum über Innovation und neue Märkte kann sogar zu steigenden Einkommen führen. Daher plädieren wir für einen strukturellen Wandel im Nordwesten Deutschlands, der von den Menschen vor Ort aktiv mitgestaltet wird.

Natürlich wird die Umorientierung nicht allen Branchen und Unternehmen gelingen. Für einige Mastbetriebe kann es daher eine gute unternehmerische Entscheidung sein, zum richtigen Zeitpunkt aus der Produktion auszusteigen. Einige Gemeinden in der Region haben in den vergangenen Jahren zudem von der Ansiedlung großer fleischverarbeitender Betriebe profitiert. Für diese ländlichen Standorte könnte es bei einem Rückgang der Viehhaltung schwierig werden, ihr Wachstum aufrechtzu­erhalten. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht kann es aber fatal sein, aus Angst vor Veränderungen am Status Quo festzuhalten. Denn das würde die Abhängigkeiten von den Fleischmärkten weiter verfestigen.

Das Beschäftigungswachstum wird auch von Branchen getragen, die nicht von der Viehwirtschaft abhängig sind.“ - Dr. Anne Margarian

Fakt ist, dass der Strukturwandel schon in vollem Gange ist. Noch ist das wirtschaftliche Umfeld zudem günstig für einen Abbau der Viehbestände. Denn die Zahl der Beschäftigten in der Region ist 2022 weiter gewachsen. Und es gibt vor Ort reichlich unternehmerische Kreativität innerhalb und außerhalb des Agrarsektors.

Deshalb sollten jetzt möglichst schnell die Bedingungen geschaffen werden, unter denen diese Vorteile ausgespielt werden können. Zu diesen Bedingungen zählten viele unserer Gesprächspartner klare Signale und Innovationsfreundlichkeit von Politik und Verwaltung. So kann der Strukturwandel der Veredlungsbranche zukunftsorientiert und im Sinne der Menschen vor Ort bewältigt werden.

Kontra: Bereits geringer Abbau der Viehhaltung hat dramatische Folgen für Bruttowertschöpfung

Sven Guericke ist Vorsitzender des Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland. Er hat die Bedeutung der Veredelung in Nordwestdeutschland ebenfalls im Rahmen des TRAIN-Projekts untersucht - kommt allerdings zu anderen Ergebnissen.

Die Ergebnisse der „ReTiKo-Studie“ des Thünen-Instituts haben uns sehr erstaunt. Denn das im letzten Jahr gemeinsam mit dem Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und der Scenario Management International AG durchgeführte TRAIN-Projekt (Transformationsszenarien der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Niedersachsen), an dem auch das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland wesentlich beteiligt war, kommt zu gegenteiligen Ergebnissen.

Die ReTiKo-Autoren schlussfolgern auf Basis einer Simulation, dass die Zahl der Beschäftigten in einem durchschnittlichen niedersächsischen Landkreis weiter wachsen werde, selbst wenn man in dieser Region die Zahl der landwirtschaftlich Beschäftigten dauerhaft halbiert. Sie erklären dies mit dem Wachstum anderer Branchen.

Die TRAIN-Studie hingegen kommt zu dem Schluss, dass sich schon ein geringer Abbau der Viehhaltung um etwa 13 % in den Intensivregionen dramatisch auf die Bruttowertschöpfung und die Beschäftigung vor Ort auswirken würde. Bei einem Rückgang der Viehhaltung um etwa 37 % würde die Bruttowertschöpfung der Agrarwirtschaft sogar um 54 % einbrechen, die der Nahrungs- und Futtermittelindustrie um 30 %, und die Beschäftigungsverluste lägen bei 55 bzw. 32 %!

Durch Verflechtungen mit anderen Branchen könnten sich die Gesamtverluste bei der Bruttowertschöpfung auf 3 Mrd. € summieren und knapp 24 000 Arbeitsplätze in der Region mit intensiver Veredlung verloren gehen.

Wie kommt es zu derart gegensätzlichen Ergebnissen? Vermutlich gibt es dafür mehrere Ursachen:

  • Es wurden unterschiedliche Gebietskulissen untersucht, die nicht vergleichbar sind. Die TRAIN-Zahlen beziehen sich explizit auf die durch die Nutztierhaltung geprägte Intensivregion Weser-Ems und ausgewählte Landkreise wie Vechta, Cloppenburg, Oldenburg und das Emsland. Der ReTiKo-Studie hingegen liegt eine wesentlich größere Gebietskulisse zugrunde, die ausgewählte Landkreise von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen einbezieht.
  • Die ReTiKo-Studie klammert wesentliche Teile der Wertschöpfungskette wie die Milch-, Rindfleisch-, Eier- und Teile der Geflügelproduktion sowie ganze Segmente des vor- und nachgelagerten Agrarbusiness aus.
  • Außerdem entstammen die Daten, die statistisch ausgewertet wurden, unterschiedlichen Zeiträumen. Die Zahlen der ReTiKo-Studie zu den Beschäftigungszahlen stimmen nicht mit den offiziellen Daten überein. Auch die Zahlen zur Tierhaltung sind veraltet.
  • Während das TRAIN-Projekt seine Prognose für die Wirtschaftsentwicklung bis 2030 auf die letztverfügbaren Viehzählungsergebnisse und aktuelle Beschäftigungszahlen stützt, analysiert die ReTiKo-Studie Interviews mit Experten und Stakeholdern.
Der Abbau der Viehhaltung würde sich dramatisch auf die Wertschöpfung und die Beschäftigung auswirken.“ - Sven Guericke

Wir und die TRAIN-Initiatoren werden daher auch künftig die Entscheidungen zur Ausrichtung und Transformation der Veredlungsbranche im Nordwesten auf Basis der TRAIN-Ergebnisse und in enger Abstimmung mit den Stakeholdern vor Ort vornehmen.

Wir sind uns bewusst, dass dem Nachhaltigkeitsgedanken bei der Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft eine besondere Bedeutung zukommt. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass die Branche weiterhin zu wettbewerbsfähigen Bedingungen vor Ort produzieren und investieren kann.

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