Pflanzenschutz unter Druck: Das sind die Folgen der politischen Verbote
Die europäische und nationale Politik will mithilfe verschiedener Ansätze den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln deutlich senken. Wir geben einen Überblick.
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Politisch stehen zurzeit alle Vorzeichen auf „Reduktion von Pflanzenschutzmitteln“. Das zeigt sich z. B. an dem Vorhaben der EU, den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 halbieren zu wollen. Auch über ein Komplettverbot in „sensiblen Gebieten“ wird diskutiert. Und nicht zuletzt scheint der Streit über die Zulassung von Glyphosat auf EU-Ebene nicht enden zu wollen.
Doch was sind die Folgen? Berater weisen darauf hin, dass ohne eine Bandbreite zugelassener Mittel die Ertragsrisiken deutlich zunehmen. Ungräser, Schädlinge und Pilze werden gegenüber den verbleibenden Wirkstoffen schneller resistent, sodass man sie künftig kaum noch kontrollieren kann.
Dann stellt sich die Frage, ob sich die hohen Qualitätsanforderungen des Handels noch erfüllen lassen. Und spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hinterfragen viele, ob bei einer starken Reduktion der chemischen Mittel die Ernährungssicherheit noch gewährleistet werden kann.
Nachfolgend stellen wir Ihnen den aktuellen Stand der politischen Ansätze vor. Denn die teils kürzlich getroffenen Entscheidungen wirken sich maßgeblich auf die künftig zur Verfügung stehenden Produkte aus.
Das Hauptziel des Green Deals ist es, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Im Klimaschutzgesetz der Bundesregierung wurden die europäischen Vorgaben im letzten Jahr noch einmal verschärft.
Demnach soll Deutschland dieses Ziel bereits 2045 erreichen. Als Zwischenziel wurde beschlossen, die bundesweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 % gegenüber 1990 zu senken (in der EU um 55 %). Zudem geht es im Green Deal um eine „schadstofffreie Umwelt“ (bis 2050) und um den Schutz der Ökosysteme und Biodiversität.
Doch was hat das alles mit Pflanzenschutz zu tun? Viel – denn um die Ziele zu erreichen, gibt es eine Reihe von europäischen und nationalen Regelungen bzw. Vorschläge, die u. a. auch den Pflanzenschutz betreffen. Hier die wichtigsten:
Die Farm-to-Fork-Strategie
Die Farm-to-Fork-Strategie (F2F) der EU ist ein Kernelement des Green Deals. In diesem Rahmen will die EU-Kommission innerhalb der nächsten zehn Jahre vor allem den Einsatz von Mitteln mit höherem Risiko senken. Das sind z. B. Präparate, die Wirkstoffe enthalten, die den Ausschlusskriterien der VO (EG) Nr. 1107/2009 entsprechen und als Substitutionskandidaten eingestuft wurden. Trotz enger Wirkstoffpalette werden somit weitere Mittel wegfallen.
Ein weiteres Ziel der F2F-Strategie ist, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis zum Jahr 2030 um 50 % zu senken. Als Grundlage soll dabei der durchschnittliche Verbrauch der Jahre 2015 bis 2017 dienen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) teilte kürzlich mit, dass es im nächsten Jahr ein Pflanzenschutzmittel-Reduktionsprogramm vorlegen werde. Laut BMEL-Staatssekretärin Silvia Bender soll das Programm ein Baustein im Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz werden, um diesen „zu einem effizienten Instrument der Pestizidreduktion auszubauen“.
Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) stellte sich Anfang Dezember klar hinter das europäische Reduktionsziel: „Wir sagen Ja zum 50 %-Einsparziel bis 2030.“ Er verwies aber darauf, dass Bundesländern, die bei der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln in Vorleistungen gegangen sind, keine Nachteile entstehen dürften und dass man sich die Flächenkulissen genau anschauen müsse. Zudem müsse es angepasste Lösungen für Sonderkulturen wie Wein oder Obst geben.
Für heftige Kritik sorgen zurzeit die im Rahmen der F2F-Strategie ebenfalls geforderten Pflanzenschutzmittelverbote in sogenannten „sensiblen Gebieten“. Mehr dazu auf der Folgeseite unter „Pflanzenschutzverbote“.
Die Ackerbaustrategie
Auch die nationale Ackerbaustrategie 2035 des BMEL sieht vor, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die nicht als „Low-Risk-Produkt“ im Sinne des EU-Pflanzenschutzrechts eingestuft sind, bis 2030 deutlich zu reduzieren. Zudem ist in dem Diskussionspapier der Wille zum Ausstieg aus Glyphosat bis Ende 2023 enthalten.
Die Pflanzenschutzanwendungsverordnung
Die fünfte Änderung der Pflanzenschutzanwendungsverordnung im Rahmen des Aktionsprogramms Insektenschutz der Bundesregierung verbietet schon jetzt u. a. den Glyphosateinsatz in Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten sowie kurz vor der Ernte (mehr dazu unter „Glyphosat“).
Darüber hinaus gelten weitere Einschränkungen. So darf man Pflanzenschutzmittel im Abstand von 10 m zu Gewässern nicht mehr einsetzen. Ein Absenken auf 5 m ist zulässig, wenn eine geschlossene, ganzjährig begrünte Pflanzendecke vorhanden ist. Diese darf in 5 Jahren nur einmal per Bodenbearbeitung erneuert werden.
Mit dem europäischen Green Deal hat sich die EU-Kommission ambitionierte Umweltziele gesetzt. Der Mann, der das Projekt nach vorne treibt, ist Kommissionsvize Frans Timmermans. Im Juni 2022 präsentierte er das EU-Naturschutzpaket bestehend aus den Verordnungen zur „nachhaltigen Verwendung von Pestiziden“ und einem geplanten „Renaturierungsgesetz“. Neben der Halbierung des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel geht es dabei vor allem um mögliche Einsatzverbote in „sensiblen Gebieten“. Zu diesen gehören laut Gesetzentwurf neben öffentlichen Parks und Sportplätzen
Natura 2000, FFH- und Vogelschutzgebiete,
Schutzgebiete gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie sowie
alle Flächen, die die EU-Mitgliedstaaten an das europäische Register nationaler Schutzgebiete (CDDA) gemeldet haben.
Besonders im letzten Punkt sehen deutsche Landwirte ein Problem. Denn neben allen Naturschutzgebieten und Nationalparks sind auch alle Landschaftsschutzgebiete im CDDA-Register enthalten. Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat nachgerechnet: Allein in Deutschland wären über 5 Mio. ha Ackerfläche von den Verboten und Beschränkungen betroffen. Laut DBV entspräche das einem Ertragsrückgang von bis zu 25 %. Der Bauernverband fordert daher eine Neuvorlage der Verordnung und eine deutlich umfassendere Folgenabschätzung als die bislang vorliegende.
Doch nicht nur aus der landwirtschaftlichen Interessenvertretung kommt Kritik an der Verordnung. Selbst einigen Vertretern der Umweltseite gehen die weitreichenden Verbotspläne zu weit, der kooperative Naturschutz mit den Landwirten sei in Gefahr, heißt es.
Auch eine ganze Reihe der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten können sich nicht mit den Ideen der EU-Kommission anfreunden. Auf einer Sitzung des EU-Agrarministerrates im September gaben fast alle EU-Landwirtschaftsminister zu Protokoll, dass sie die Ziele des Green Deals, die auch eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln beinhalten, zwar grundsätzlich befürworten. Von den strengen, verbindlichen Zielen, wie sie die Kommission aktuell vorschlägt, will jedoch kaum jemand etwas wissen. Wohl auch deswegen sah sich die EU-Kommission gezwungen, den EU-Mitgliedstaaten entgegenzukommen.
In einer nicht-offiziellen Mitteilung an die EU-Mitglieder deutete die EU-Kommission nun Zugeständnisse an. Die Botschaft des Papiers: Keine Komplettverbote von Pflanzenschutzmitteln und weniger „sensible Gebiete“. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wiederholte die Kompromissbereitschaft auch vor Abgeordneten des Europaparlamentes.
Kurz vor Redaktionsschluss (9.12.) kam noch die Nachricht, dass die aktuelle tschechische EU-Ratspräsidentschaft wegen des Drucks aus den EU-Mitgliedstaaten offenbar bereits an einem Entwurf für eine weitere Folgenabschätzung der Brüsseler Verbotspläne arbeitet.
Die Studie solle die existierenden Folgenabschätzungen komplettieren. Vor allem die Effekte auf die Versorgung mit Lebensmitteln der geplanten Reduktionen und Verbote beim Pflanzenschutz müssten genauer beleuchtet werden, heißt es im Entwurf. Zudem müssten mögliche Effekte auf die Nahrungsmittelpreise sowie der bürokratische Aufwand von Familienbetrieben geklärt werden. Die Mitgliedstaaten werden voraussichtlich am 19. Dezember über das Papier abstimmen.
Kritik am Vorgehen der Mitgliedstaaten kommt von Sarah Wiener. Die EU-Grüne verantwortet die Position des Europaparlamentes zu den Pflanzenschutzplänen. Sie betrachtet das als „ein durchsichtiges Manöver, um eine Verabschiedung des Gesetzes über die aktuelle Legislaturperiode hinauszuzögern.“
Wie brisant das Thema Pflanzenschutz in Brüssel ist, erkennt man auch an den widersprüchlichen Aussagen aus der EU-Kommission selbst. Der EU-Agrarkommissar, Janusz Wojciechowski, begrüßte am Rande einer Konferenz in Brüssel den Ruf nach einer neuen Folgenabschätzung. Das darf man als Seitenhieb auf die Gesundheitskommissarin Kyriakides, Umweltkommissar Sinkevicius und den Kommissionsvize Frans Timmermans werten. Denn beim Entwurf der Pflanzenschutzverordnung ließen sie den Brüsseler Agrar-Chef und seine Generaldirektion Landwirtschaft außen vor. Kyriakides erteilte einer neuen Folgenabschätzung erst kürzlich eine Absage.
Der Wirkstoff Glyphosat entzweit die EU-Mitgliedstaaten – so ließ sich Mitte November nach einer bereits gescheiterten Runde schon wieder keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene einjährige Verlängerung der Zulassung des Herbizidwirkstoffs erreichen.
Die Brüsseler Behörde hatte die einjährige Verlängerung selbst vorgeschlagen, weil die federführende Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihre abschließende Neubewertung des Wirkstoffs voraussichtlich erst im Juli 2023 vorlegen kann. Die ursprüngliche Frist, die Ergebnisse im Herbst 2022 präsentieren zu können, sei laut EFSA wegen umfangreicher Rückmeldungen im Bewertungsprozess nicht einzuhalten gewesen.
Wie top agrar nun aus Kommissionskreisen erfuhr, wird die Behörde ihren eigenen Vorschlag „zeitnah“ offiziell annehmen. Das heißt: Auf EU-Ebene wird der Wirkstoff wohl bis Ende 2023 genehmigt bleiben. Dann wird u. a. auf Grundlage der neuen EFSA-Ergebnisse über eine mögliche Wiederzulassung von Glyphosat auf EU-Ebene entschieden.
Was ist erlaubt …
Die Bundesregierung hat allerdings mit der fünften Änderung der Pflanzenschutzanwendungsverordnung am 10. Februar 2021 die Anwendung von Glyphosat in Deutschland bereits stark eingeschränkt. Zum 1. Januar 2024 plant sie den vollständigen Ausstieg. Für das kommende Jahr gilt auf Ackerland nun Folgendes:
Generell ist die Anwendung von Glyphosat nur noch zulässig, wenn andere Maßnahmen „nicht geeignet oder nicht zumutbar“ sind. Vorab gilt es, alle Werkzeuge des Integrierten Pflanzenschutzes heranzuziehen. Dazu gehört z. B. die Wahl von geeigneten Saatterminen oder die mechanische Unkrautkontrolle. Erst wenn alternative Maßnahmen nicht „funktionieren“, z. B. wegen ungünstiger Witterung, ist die Anwendung glyphosathaltiger Präparate zulässig.
Der Einsatz zur Vorsaatbehandlung im Rahmen von Direkt- und Mulchsaatverfahren ist erlaubt, jedoch nicht in Wasserschutz- oder Naturschutzgebieten.
Pflügende Betriebe können den Wirkstoff zur Vorsaat- und Stoppelbehandlung gegen ausdauernde Problemunkräuter wie z. B. Ackerkratzdistel, Ampfer, Ackerwinde, Landwasserknöterich, Quecke etc. auf stark betroffenen Teilflächen anwenden (wenn sich diese nicht anders bekämpfen lassen).
Einen Sonderfall bildet Ackerfuchsschwanz: Ob man das schwer bekämpfbare Problemungras z. B. auf einem Scheinsaatbett trotz vorheriger Pflugfurche mit Glyphosat beseitigen darf, entscheiden laut BMEL die Pflanzenschutzdienste der Länder. Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es hierzu nicht. Zu empfehlen ist, den Glyphosateinsatz generell gut zu begründen und mit Fotos zu dokumentieren – das kann bei Fachrechtskontrollen hilfreich sein.
Auf Flächen, die den Erosionsgefährdungsklassen CC Wasser 1, CC Wasser 2 und CC Wind zugeordnet sind, darf man Glyphosat weiterhin anwenden (unabhängig vom Bodenbearbeitungssystem).
Der chemische Pflanzenschutz sicherte Jahrzehntelang die Ernten – jetzt will die Politik ihn verdrängen. Nach Meinung vieler Politiker gebe es mit Ansätzen wie dem Anbau gesunder Sorten, der mechanischen Unkrautkontrolle und dem Einsatz biologischer Präparate genug Alternativen.
Doch weit gefehlt: Unter alleiniger Nutzung solcher Ansätze wird es nach Meinung vieler Anbauberater nicht gelingen, deutliche Ertrags- und Qualitätsverluste zu verhindern. Notwendig ist es, eine breite Palette unterschiedlichster Werkzeuge miteinander zu kombinieren. Und dazu gehören auch modernste Pflanzenschutzmittelwirkstoffe sowie die Möglichkeit, molekulare Verfahren wie die Genom-Editierung zur Verbesserung pflanzlicher Eigenschaften nutzen zu dürfen.
Alle Maßnahmen zusammen bilden den Integrierten Pflanzenschutz. Dieser muss dann in der Praxis noch konsequenter umgesetzt werden.
Und eins noch: Den chemisch-synthetischen Pflanzenschutz totzureden, hilft niemandem. Für Sicherheit z. B. in puncto Umweltverhalten von Wirkstoffen sorgt das europäische Zulassungssystem – es kann zwar ein gewisses Restrisiko nicht ausschließen, es ist aber das weltweit sicherste.