Agri-Photovoltaik (kurz: Agri-PV) ist die kombinierte Produktion von erneuerbaren Energien und Nahrungsmitteln auf derselben Fläche. Die Module können laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) Vorteile durch eine teilweise Verschattung bieten: Sie schützen Kulturpflanzen vor intensiver Sonnenstrahlung und reduzieren die Verdunstung von Wasser und das Austrocknen der Böden. Zudem schützen sie Pflanzen gegenüber Extremwetterereignissen wie Hagel oder Frühjahrsfrost. Inzwischen gibt es Anlagen mit integrierter Bewässerung.
Aktuell sind erste Anlagen in Deutschland insbesondere bei Sonderkulturen im Einsatz, etwa beim Anbau von Obst, wo ein Schutz vor Wettereinflüssen wünschenswert ist.
Trotz dieser Ausgangslage konnten bisher in Deutschland nur sehr wenige, kleine Projekte realisiert werden. Gründe hierfür liegen laut Fraunhofer ISE insbesondere in den rechtlichen Rahmenbedingungen, darunter unzureichende Anreizsysteme und aufwendige Genehmigungsprozesse.
Projekt SynAgri-PV
Zur Lösung der Probleme startete Anfang Juli 2022 das Projekt „SynAgri-PV: Synergetische Integration der Photovoltaik in die Landwirtschaft“. Unter Koordination des Fraunhofer ISE sowie des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) arbeiten drei Jahre lang neun Partner aus Forschung, Praxis und Industrie an der Entwicklung eines Leitbildes für die Agri-PV.
Ziel ist, unter Einbezug möglichst aller relevanten Akteure ein gesellschaftliches Leitbild für den Ausbau der Agri-PV in Deutschland zu entwickeln, Handlungsbedarf zu dessen Umsetzung zu benennen, Lösungsansätze zu skizzieren und weitere Forschungsfelder zu identifizieren. Dazu werden laufende Pilotanlagen begleitet und vernetzt, Beteiligungsformate geschaffen sowie die gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet, aufbereitet und der breiten Öffentlichkeit und Politik zugänglich gemacht.
Anlagen im Obstbau
In Babberich in den Niederlanden reifen Himbeeren auf einer 3,3 ha großen Farm unter einer 2,67 Megawatt (MW) starken Agri-PV-Anlage. Der Netto-Ernteertrag liegt laut BayWa r.e. im Vergleich zum konventionellen Himbeeranbau unter Folientunneln rund 6 % höher. Um auch in Deutschland die Möglichkeiten der Agri-PV im Obstbau zu demonstrieren und zu optimieren, startete im September vergangenen Jahres eine 258 kW-Versuchsanlage auf einer Apfelplantage in Rheinland-Pfalz.
Rund 1.200 Betriebe mit erwerbsmäßigem Obstbau erzeugen aktuell in der Bodenseeregion eine Apfelmenge von etwa 300.000 t pro Jahr. „Die Produktion verlagert sich aufgrund des Klimawandels mehr in Richtung des geschützten Anbaus“, berichtet das Landwirtschaftsministerium in Baden-Württemberg. Mit dem Einsatz von Folien und Netzen können wetterbedingte Risiken wie Hagelschlag, Sonnenbrand und nässebedingter Schaderregerbefall im Anbau minimiert und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden.
Um den Materialeinsatz im geschützten Anbau zu verringern und die Fläche zusätzlich zur Stromerzeugung zu nutzen, besteht die Möglichkeit, Solarmodule in die Schutzsysteme zu integrieren.
Im Gegenzug kann ein großer Teil des erzeugten Stroms in der Apfelproduktion in den vor- und nachgelagerten Bereichen vor Ort dezentral genutzt werden – sei es bei der Lagerung der Äpfel im Kühlhaus oder beim Einsatz von elektrifizierten Landmaschinen.
Modellregion für Obstbau
Um mit solchen Systemen Erkenntnisse und Erfahrungen zu sammeln und praxisfähige Empfehlungen und Konzepte zu entwickeln, haben das Landwirtschafts- und das Umweltministerium die Modellregion Agri-PV Baden-Württemberg auf den Weg gebracht. In einem ersten Schritt unterstützt das Land mit 2,5 Mio. € Fördermitteln über drei Jahre sieben Teilprojekte an drei landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen, zwei Praxisbetrieben, dem Fraunhofer ISE und der Hochschule Kehl.
Gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE und den lokalen Energieversorgern sowie dem Obstbaubetrieb Hubert Bernhard in Kressbronn wird am „Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee“ in den nächsten Jahren untersucht, welche pflanzenbaulichen Auswirkungen und wirtschaftlichen Ergebnisse sich bei der kombinierten Nutzung von Obstanbauflächen zur Energieerzeugung mit Photovoltaik ergeben.
Senkrechte Module
Im Pilotprojekt Agri-PV Dörverden (Niedersachsen) ist eine Demonstrations- und Forschungsanlage mit insgesamt 575 senkrechten bifacialen Modulen geplant. Diese Ausrichtung ermöglicht es, Solarstrom zu erzeugen und den Acker weiter für den Acker- und Gemüseanbau zu nutzen. Die Module können auf beiden Seiten Licht und Strahlung aufnehmen und werden in Ost-West-Ausrichtung montiert.
Sie erzeugen eine Gesamtleistung von circa 230 kW. Der geplante Einsatz von GPS-unterstützten Landmaschinen soll eine präzise und sichere Bewirtschaftung zwischen den Modulen möglich machen. Projektverantwortlich ist die Klimaschutz- und Energieagentur Landkreis Verden gGmbH (kleVer).
Module über Hopfen
Solarmodule können auch die Rentabilität des klassischen Hopfenbaus verbessern. Sie bieten dem Hopfen mehr Schatten und weniger Verdunstung. Dazu hat Landwirt Josef Wimmer eine Hopfen-PV-Demonstrationsanlage in Neuhub bei Au in der Hallertau (Bayern) errichtet. Um die Stabilität der Anlage in sieben Metern Höhe zu sichern, werden bei der realen Anlage, die im Frühjahr 2023 errichtet werden soll, Betonpfeiler rund um das Hopfenfeld eingelassen. Darauf lagert eine Rahmenkonstruktion für besonders leichte PV-Röhrenmodule des Herstellers TubeSolar.
Die Hallertau ist eine Region mit einer Hopfenanbaufläche von etwa 20.000 ha. Wenn davon 20 % mit Agri-PV belegt wären, bietet das nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums ein technisches Potenzial von etwa 2,4 GW.
Versuchsanlage in Grub
Die bayerische Staatsregierung arbeitet an der Realisierung von weiteren Agri-PV-Modellprojekten. Diese sollen mögliche Anlagenkonzepte aufzeigen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Agri-PV-Anlage und Landwirtschaft liefern und im Folgenden als Multiplikatoren für weitere Projekte dienen.
Ein gemeinschaftliches Modellprojekt auf den bayerischen Staatsgütern in Grub ist dabei in fortgeschrittener Planung und soll bereits Anfang 2023 in Betrieb genommen werden. Die geplante Anlagenleistung beträgt derzeit rund 900 kW, wobei horizontale (hoch aufgeständert und bodennah) und vertikale Anlagenkonzepte vorgesehen sind. Der Betrieb der Modellanlage soll über drei Jahre hinweg wissenschaftlich begleitet werden und u. a. auch für Landwirte zu Informationszwecken zugänglich sein.
Projekt in Österreich
Ziel der 5 ha großen Agri-PV-Forschungsanlage „Sonnenfeld Bruck/Leitha“ in Österreich ist der maximale Stromertrag bei minimalem Flächenverbrauch und möglichst geringen Kosten. Damit können weiterhin 80 % der Fläche landwirtschaftlich genutzt werden, 18 % dienen der Steigerung der Biodiversität mittels Blühstreifen und Bienenweiden und 2 % der Fläche werden temporär durch die Errichtung der PV-Anlagen verbraucht.
Das interdisziplinäre Team soll in Begleitung der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien in den nächsten drei Jahren durch angewandte Forschung Fragen zur gleichzeitigen Erzeugung von Sonnenstrom und Lebensmitteln auf Acker- und Grünland klären.
Futtererbsen und Heu
Im Jahr 2022 wurden Futtererbsen in Europas größter Agri-PV-Anlage geerntet. Die Anlage von Next2Sun mit vertikalen Modulen steht im Donaueschinger Ortsteil Aasen auf einer Gesamtfläche von rund 14 ha. Die Anlagenleistung liegt bei 4,1 MW. Sie produziert im Jahr rund 4.850 MWh.
Die Betreiber haben seit Inbetriebnahme im Jahr 2020 bisher Grünland bewirtschaftet. Der Futtererbsenanbau wurde in diesem Jahr zum ersten Mal erfolgreich getestet.
Der Hersteller Next2Sun hält verschiedene Pflanzen wie Rüben, Doldenblüter, Leguminosen und Getreide für geeignet, wenn sie eine Wuchshöhe von 1,50 m nicht überschreiten.
Dass sich die Agri-PV Anlage gerade in trockenen Jahren positiv auf den Ernteertrag auswirken kann, haben erste Studien im Jahr 2020 gezeigt. Dort wurde der Heu-Ertrag zwischen den Reihen des Next2Sun Solarparks Eppelborn-Dirmingen mit einer Referenzfläche verglichen und fiel dank des durch den Schattenwurf verbesserten Wasserhaushalts sowie aufgrund des Windschattens deutlich höher aus als auf den Referenzflächen.
Solarzaun als Alternative
Anfang des Jahres hat die Next2Sun ihren österreichischen Partner Elektrotechnik Leitinger übernommen und bietet den gemeinsam entwickelten „Solarzaun“ nun auch in Deutschland an. Er soll rund ums Eigenheim, bei gewerblichen bzw. industriellen Grundstücken sowie in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen.
Auch die Firma Hörmann hat einen Solarzaun mit senkrecht aufgeständerten, bifacialen Glas-Glas-Modulen entwickelt. Das Gestell wird in den Boden gerammt oder per Fundament errichtet. Die Anlagenleistung liegt zwischen 100 und 1.000 MW.
Neue Anlagentypen
Mit der zunehmenden Nachfrage nach Agri-PV steigt auch die Zahl der Unternehmen, die hierin einen neuen Markt sehen. Die Firma AgroSolar Europe beispielsweise entwickelt Projekte nicht mit dem Fokus Photovoltaik, sondern mit Blick auf die Landwirtschaft. Hier steht die Frage im Vordergrund: Wie kann eine Solaranlage die landwirtschaftliche Produktion verbessern, ohne sie einzuschränken?
Dazu gehören der Anlagentyp „AgroSolar Secure“ für den Obst- und Weinbau oder der Anlagentyp „AgroSolar Top“ für die maschinelle Landwirtschaft. Es handelt sich bei dieser um eine bis zu 6 m hohe und 18 m breite Anlage zur Teilüberdachung der landwirtschaftlichen Kultur.
Der dritte Typ ist der „AgroSolar Windbreaker“ mit vertikaler Ausrichtung für Flächen, die nicht beschattet werden sollen. Er übernimmt die Funktion von Wallhecken, um den Wind zu bremsen und Wind- und Wassererosion zu vermeiden. „Wir haben mit dem Spinnanker ein Konzept für die Stützen, die die Baumwurzeln imitieren und sehr standfest sind. Wir benötigen also kein Fundament und können mit kleinen, leichten Maschinen arbeiten. Damit können wir z. B. Anlagen in einer bestehenden Obstplantage oder in Weinreben errichten“, erklärt Geschäftsführer Markus Haastert.
Drehbare Module
Die kanadische Solar Provider Group baut auch in Deutschland erste Agri-PV-Anlagen. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von anderen. So verlaufen die Reihen in Nord-Süd-Richtung, die Module sind also nach Ost-West ausgerichtet.
Außerdem arbeitet die Firma mit einem einachsigen Nachführsystem, welches die Module von Ost nach West im Laufe des Tages am Sonnenstand ausrichtet. Der Drehpunkt der Modultische ist auf 2 m Höhe, an der Spitze sind die Module dann bis zu 3,50 m hoch.
Das Gestell wird je nach Boden ohne Betonfundament 1,50 m bis 2 m in die Erde gerammt oder geschraubt. Zwischen den Reihen soll mindestens 14 m Breite bleiben. Die Landwirte können zwischen den Modulreihen ganz normal Ackerbau betreiben oder das Grünland bewirtschaften. Im Ackerbau sind alle Kulturen bis 1,50 m Wuchshöhe geeignet, wie beispielsweise Getreide, Ölpflanzen, Zuckerrüben, Kartoffeln, Beeren usw. „Bei der Auswahl raten wir dem Landwirt, die Lichtansprüche der Pflanzen zu berücksichtigen“, sagt Dafina Marashi, zuständig für Geschäftsentwicklung und Marketing.