„Die Energielüge“ heißt ein aktuelles Buch von Bernd Spatzenegger. Der Titel klingt wie eine neue Hetzschrift von Klimawandelleugnern, die wieder einmal Ängste vor dem „Klimawahn“ oder die „Ökodiktaktur“ schüren wollen. Aber nein: Spatzenegger ist kein Hobbywissenschaftler, sondern Projektmanager und Berater für Energieinfrastruktur, unter anderem zur Errichtung von Anlagen für erneuerbare Energien. Durch Tätigkeiten in ganz Europa konnte der Elektrotechniker und Maschinenbauer die praktischen Auswirkungen der Energiewende sowie deren Zusammenhänge mit Wirtschaft, Politik und Klima aus nächster Nähe kennenlernen.

Mehr Realitätssinn nötig

Und so wirbt er in dem Buch für mehr Realitätssinn vor allem von Politikern. Wenn Deutschland oder Österreich schon 2045 bzw. 2040 eine CO₂-freie Energieversorgung erreicht haben wollen, dürfe der gewaltige Wandel in der Gesellschaft nicht verschwiegen werden. „Verschweigen ist die bequemste Form der Lüge“, lautet sein Credo. „Verschwiegen wird der gewaltige Aufwand für die erforderliche Energie-, Wärme- und Mobilitätswende sowie für die Umstellung der Industrieprozesse, die benötigten Rohstoffe, Technologien, Fachkräfte, den Platzbedarf und die Akzeptanz der Technologien als auch die unumgänglichen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft.“

Spatzenegger sieht auch die Klima-Berichterstattung für unrealistisch an: Trotz Anstrengungen seien das Ziel von 1,5 bis 2 °C Klimaerwärmung nicht zu erreichen, selbst unter 3 °C zu bleiben, sei unwahrscheinlich.

Breiter Überblick

Doch der Autor bleibt nicht bei der Kritik, sondern verschafft dem Leser einen breiten Überblick über viele Themen der auch aus seiner Sicht nötigen Energiewende: Er klärt auf, wie der internationale Energiemarkt funktioniert. Das Buch, das im März 2023 erschienen ist, nimmt auch Bezug auf den russisch-ukrainischen Krieg und den dadurch verursachten neuen Blick auf die Energieversorgung. Gleichzeitig gibt Spatzenegger einen Überblick auf die Verflechtungen der Rohstoffmärkte und wie wichtig China, Indien, Afrika und die USA für Europa sind.

Spatzenegger will auch dazu beitragen, die vielen Begriffe zu erläutern, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, obwohl viele nicht genau wissen, über was sie da sprechen. Residuallast, Winterlücke, Dunkelflaute, Fluktuierende erneuerbare Energien, Carbon Capture. „Das Buch zeigt auf, wo die Möglichkeiten und Grenzen der Energieeinsparung durch Verhaltensänderung liegen und hilft, die Aussagen von Klimaaktivisten, Politikern und Experten zu hinterfragen“, schreibt er in dem Vorwort.

Fazit macht Mut

Sein mutmachendes Fazit:

• Ein großer Teil der Energiewende ist machbar.
• Es gibt genügend Anzeigen, dass der Mensch willens ist, seine Lebensweise zu ändern und neue Technologien anzuwenden, wenn der Handlungsdruck durch den Klimawandel oder die finanziellen Auswirkungen groß genug sind.
• Der Klimawandel kann gestoppt werden, aber nur, wenn ein großer Teil der Weltbevölkerung das will.
• Es ist ein generationsübergreifendes Projekt, das einen langen Atem benötigt.

Neun Abschnitte mit vielen Details

Das Buch mit knapp 320 Seiten Inhalt ist in neun Abschnitte unterteilt:

1. Ursachen: Hier geht es u.a. um den Klimawandel, Kohlendioxid, menschengemachte Emissionen oder Verhaltensänderungen.
2. Auswirkungen: Der Autor beschreibt Migration, Ernteausfälle, Wetterextreme, mögliche Klimakatastrophen sowie wirtschaftliche Chancen und Risiken bis hin zum Tourismus.
3. Gesellschaft: Themen sind die Auswirkungen beim Übersteigen des 1,5 °C-Ziels, Zielkonflikte z.B. bei Lebensmitteln, Wohnen und Energie, Widerstände, das EU-„Fit for 55“-Paket und der europäische Emissionshandel.
4. Europas Energie und die Welt: Hier geht Spatzenegger auf verschiedene Ländern ein wie Russland (Erdgaserpressung), China (Rohstofferpressung), USA, Indien oder Afrika sowie auf Korruption als Hinderungsgrund von Maßnahmen gegen den Klimawandel.
5. Die Energiewende: Hier beschreibt der Autor Energieeinsparungen, Elektrifizierung, Wirkungsgrad, Mobilitätswende, Wärmewende, Industrielle Prozesse wie Stahl oder Düngerherstellung sowie Kreislaufwirtschaft und Recycling.
6. Energiemarkt: Themen in diesem Abschnitt sind Versorgungssicherheit und Blackout, der Energieschock 2022/23, Energiemarktgestaltung und Förderungen, Kosten der Energiewende, Finanzwirtschaft und Versicherungen.
7. Technologien und Maßnahmen: Hier geht er auf verschiedene Energieerzeugungsarten wie Windenergie, Photovoltaik und Biomasse ein, beschreibt auch Nachteile und Umweltfolgen, stellt Brückentechnologien wie Gaskraftwerke, CCS/CCU, Atomkraft oder Kernfusion vor.
8. Energieprognosen: Hier beschreibt er Prognosen bis 2050 für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
9. Quintessenz und Lösungswege für die Energiewende: Hier schreibt Spatzenegger u.a.: „Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn wir die Debatte auf eine breitere Basis stellen: Klima- und Naturwissenschaftler, Ökonomen, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler müssen ebenso einbezogen werden wie die Praktiker für die Umsetzung. Wird diese. Diskussion nicht ehrlicher geführt, werden die wirtschaftlichen Schäden, genauso wie die enttäuschten Erwartungen bei jenen, die radikaler vorgehen wollen, immer weiter zunehmen.“

Mit dem Buch „Die Energielüge“ spannt Bernd Spatzenegger einen weiten Bogen rund um die Themen Klimawandel und Energiewende. Zwar fehlt leider ein Stichwortverzeichnis. Aber dafür bietet das stark gegliederte Inhaltsverzeichnis einen guten Überblick über die behandelten Themen, sodass sich das Buch auch als Nachschlagewerk zu einzelnen Themen sehr gut eignet.

Zu dem Buch: ISBN-13 9783711003256, 328 Seiten, ecoWing-Verlag, 28 €