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Kompletter Stopp russischer Gaslieferungen: Risiko für Europa

Russland liefert bisher 30 bis 40 % des Gases und 50 % der Kohle, die in Europa verbraucht werden. Aurora Energy Research hat die Auswirkungen eines Lieferstopps auf die Gasmärkte analysiert.

Lesezeit: 5 Minuten

Was passiert, wenn es vor dem Winter 2022/23 zu einem Totalausfall der russischen Gaslieferungen nach Europa kommt? Mit diesem Szenario haben sich die Analysten der internationalen Aurora Energy Research beschäftigt.

Ein kompletter Lieferstoff würde eine Minderlieferung von etwa 195 Mrd. m³ pro Jahr bedeuten oder 109 Mrd. m³ während der Winterspitzenzeit (Oktober 2022 bis März 2023). Um diese Lücke in der Versorgung zu schließen, müssten sowohl das Angebot diversifiziert als auch Maßnahmen umgesetzt werden, um die Nachfrage zu reduzieren. Dies wäre jedoch mit erheblichen Kosten und Unsicherheiten verbunden und würde starke staatliche Eingriffe in die Strom- und Gasmärkte erfordern.

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Mögliche Alternativen

Mit folgenden Maßnahmen könnten alternative Gaslieferungen erhöht werden:

  • Eine verstärkte heimische Produktion in Europa sowie erhöhte Importe aus Nordafrika könnten insgesamt 25 Mrd. m³ zusätzlich liefern; für weitere Steigerungen gibt es nur begrenzt Spielraum.
  • Das niederländische Groningen-Feld soll eigentlich bis Ende 2022 größtenteils stillgelegt werden. Wenn es in Betrieb bleibt, wären zusätzliche Lieferungen möglich, allerdings birgt dies Umweltrisiken, denn viele Bohrlöcher wurden wegen des Erdbebenrisikos stillgelegt; zudem sind die Produktionsgrenzen rechtlich bindend.
  • Die europäischen Gasgroßhandelskunden müssten auf dem LNG-Spotmarkt konkurrieren, um sich den Rest der zusätzlichen Mengen von 24 Mrd. m³ zu erheblichen Kosten zu sichern. LNG-Einfuhren sind aufgrund der beschränkten Pipelinekapazitäten zwischen Spanien und Frankreich begrenzt; diese reicht nicht aus, um die spanische LNG-Importkapazität während der Wintersaison optimal zu nutzen. Deutschland hat bislang gar keine LNG-Terminals.
  • Zudem müssten die europäischen Gasunternehmen vor dem nächsten Winter für ausreichende Speicherstände sorgen, um die winterliche Spitzengasnachfrage abfedern zu können. Würden alle europäischen Speicher vor einem Ausfall der russischen Lieferungen auf etwa 90 % ihrer Kapazität aufgefüllt, könnten sie im nächsten Winter bis zu 75 Mrd. m³ liefern und die Versorgungslücke schließen. Derzeit sind die Füllstände jedoch auf einem niedrigen Niveau, da die Gaspreise bereits während der Einspeisesaison im Sommer 2021 zu hoch waren, um Anreize für starke Einspeicherungen zu bieten. Die Kosten für eine Auffüllung der Speicher auf 90 % belaufen sich bei aktuellen Gaspreisen auf 60 bis 100 Mrd. €. Daher könnte es notwendig sein, dass die europäischen Regierungen eingreifen, um sicherzustellen, dass die Speicher gefüllt werden. Die deutsche Regierung hat bereits interveniert und verlangt vor dem nächsten Winter Mindestspeichermengen.

Maßnahmen zum Absenken des Gasverbrauchs

Jede dann noch verbleibende Versorgungslücke müsste durch eine Senkung der Gasnachfrage in allen Wirtschaftssektoren überbrückt werden. Folgende Maßnahmen kommen dafür in Frage:

  • Umstellung von Gas auf Kohle im Stromsektor: Wenn die Gaspreise hoch bleiben, sorgen schon wirtschaftliche Gründe für einen verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken, wodurch die Gasnachfrage im nächsten Winter um etwa 6 Mrd. m³ sinken könnte. Nachteil ist, dass dadurch die CO₂-Emissionen steigen und die europäischen Bemühungen zur Dekarbonisierung untergraben werden.
  • Die geplante Schließung von 25 Gigawatt Kern- und Kohlekraftwerken in ganz Europa könnte verschoben werden, um den Gasbedarf zur Stromerzeugung um rund 12 Mrd. m³ zu senken. Diese Maßnahme ist jedoch mit erheblichen technischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten behaftet, da sie eine Abkehr von den bestehenden individuellen Stilllegungsplänen der Kraftwerke bedeutet. Es dürfte zudem technisch und wirtschaftlich schwierig werden, kurzfristig die nötigen Brennstofflieferungen aus nicht-russischen Quellen zu erhalten, insbesondere für die Kernkraftwerke.
  • Für einen verlängerten Einsatz von Kohlekraftwerken in den europäischen Ländern müsste die (um rund 13 Mio. t höhere) Nachfrage nach Kohle gesichert werden. Zudem würden die Treibhausgasemissionen um 22 Mio. t CO₂-Äquivalente steigen, ein weiterer Rückschlag für die europäischen Dekarbonisierungsbemühungen. Sollten auch Kohleimporte aus Russland gestoppt werden, würden sich zudem die Probleme noch weiter verschärfen, mit denen Betreiber von Kohlekraftwerken (insbesondere in Deutschland, Belgien und den Niederlanden) bereits jetzt bei der Beschaffung von Kohle zu kämpfen haben.
  • Eine Verringerung der industriellen Nachfrage ist kurzfristig nur durch Umstellung auf andere Brennstoffe oder durch Drosselung der Produktion möglich – was zum Teil schon aufgrund der hohen Preise passieren würde. Damit verbunden sind Auswirkungen auf die Einnahmen energieintensiver Industrieunternehmen.
  • Die Gasnachfrage der Privathaushalte würde kurzfristig nur geringfügig sinken, zum Teil bedingt durch die hohen Preise. Dies geht allerdings auf Kosten des Lebensstandards, zudem könnten mehr Haushalte in Energiearmut geraten. Verhaltensänderungen oder Energieeffizienzprogramme könnten den Verbrauch weiter senken, allerdings wirken sie eher mittel- bis langfristig.

Ein ungewohnt kalter oder warmer Winter würde das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage beeinflussen. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass der Gasverbrauch in diesen Fällen um plus/minus 5 % (10 Mrd. m³) schwanken könnte. Im Fall eines kälteren Winters wird es laut Aurora schwieriger, ausreichende Gaslieferungen sicherzustellen.

Das Resümee von Aurora

Ist es für Europa machbar, im nächsten Winter ohne russisches Gas auszukommen? „Es würde Dutzende von Milliarden Euro kosten und erhebliche regulatorische Eingriffe in die Gas- und Strommärkte erfordern, aber ja, die EU könnte den Winter ohne Bezug von russischem Gas überstehen“, sagt Manuel Koehler, Managing Director EMEA bei Aurora Energy Research.

Und sowohl die damit verbundenen Kosten als auch das Ausmaß der erforderlichen regulatorischen Eingriffe würden wahrscheinlich um eine Größenordnung unter dem Niveau liegen, das die EU und ihre Mitgliedstaaten zur Bewältigung der COVID-19-Krise aufbringen konnten.

Die (englischsprachige) Studie sowie weitere Informationen finden Sie unter https://ots.de/thMhRo

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