Der mit großer Beachtung erwartete Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichtes aus Leipzig ist heute gefallen. Danach bleibt das Töten männlicher Küken tierschutzrechtlich noch übergangsweise zulässig. Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen sei für sich genommen kein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. „Da voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden, beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis bis dahin aber noch auf einem vernünftigen Grund“, urteilten die Richter heute.
Schlappe für NRW
Das Bundesverwaltungsgericht hat damit die Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt. Gemäß dem Tierschutzgesetz darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Land NRW hatte daher in einem Erlass im Jahr 2013 ab dem 1. Januar 2015 die Tötung von männlichen Küken untersagt. Dagegen klagte eine Brüterei, die argumentiert hatte, dass wirtschaftliche Gründe auch „vernünftige Gründe“ sein könnten, um die Praxis fortzusetzen. Die dort ausgebrüteten Eier stammten aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind. Für die Mast sind Tiere aus diesen Zuchtlinien wenig geeignet. Deshalb werden die männlichen Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Das betraf in Deutschland im Jahr 2012 etwa 45 Millionen Küken.
Rückenwind für Bundesregierung
Der Richterspruch stärkt der Bundesregierung den Rücken. Union und SPD hatten im Februar 2018 in ihrem Koalitionsvertrag niedergeschrieben, das Töten von Eintagsküken bis zur Mitte der Legislaturperiode zu beenden. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte zuletzt die Praxisreife eines Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung im Ei als „Durchbruch zum Ende des Kükentötens“ gefeiert. Sie rechne daher mit einem Verbot des Kükentötens im kommenden Jahr. Ab 2020 soll das Seleggt-Verfahren zur endokrinologischen Geschlechtsbestimmung, welches die Universität Leipzig mit dem Lebnesmittelhändler Rewe entwickelt hat, auch anderen Marktteilnehmern zugänglich gemacht werden.
Tierschutz dennoch stärker gewichtet
Das Verwaltungsgericht Minden hatte die Untersagungsverfügung des Landes NRW aus dem Jahr 2013 aufgehoben und das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung von NRW zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung nun allerdings nur im Ergebnis bestätigt. Nach dem im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziel Tierschutz beruhe das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund, so die Richter heute. Der Tierschutz wiege schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe. Anders als Schlachttiere würden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Dem Leben eines männlichen Kükens werde damit jeder Eigenwert abgesprochen. „Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen“, heißt es in dem Urteil.
Übergangszeit für Brütereien ermöglicht
Von den Brutbetrieben könne jedoch "eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden", so die Richter. Das Bundesverwaltungsgericht setzt nun auf die Geschlechtsbestimmung im Ei. Es sei "absehbar", dass diese "in näherer Zukunft" möglich sein wird. Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen, so die Argumentation heute. "Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis", heißt es im Urteil.