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topplus Interview zum Thema Mobbing

Bauernstinker? Nichts da!

Landwirt Fritz Stiegler wurde in der Grundschule bloßgestellt und gemobbt. Er schaffte es, Energie aus diesen Erfahrungen zu ziehen und zu beweisen: Ein Bauer ist vieles – aber kein Schimpfwort.

Lesezeit: 5 Minuten

Zur Person

Fritz Stiegler bewirtschaftet ge­meinsam mit seiner Frau und Sohn Martin einen 50 ha großen Betrieb in Gonnersdorf (Bayern) mit Haselnussanbau, Sonderkulturen, Hühner- und Pensionspferdehaltung. Der 62-Jährige ist außerdem erfolg­reicher Roman­autor und schreibt ­Li­bretti und Liedtexte. Sein neuester Roman „Heiner“ erzählt die Lebensgeschichte eines Knechts, der den höchsten Preis bezahlt, um auf­zusteigen und Bauer zu werden. Er wurde 2022 zu Bayerns besten Independent Büchern gekürt.

Herr Stiegler, können Sie uns ­mitnehmen in Ihre Grundschulzeit und erzählen, was Sie damals erlebt haben?

Stiegler: In den 70er-Jahren hat meine Familie unseren Dreiseithof bewirtschaftet. Der Kuhstall lag direkt am Wohnhaus. Dazwischen war der ­Heizungsraum, wo auch die Wäsche trocknete. Öffnete man die Tür vom Stall, roch es überall gleich.

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Bis zur dritten Klasse in der Grundschule hat das für mich gar keine Rolle gespielt. Ich hatte immer viele Kinder aus meiner Klasse zu ­Besuch auf dem Hof. Richtig ­explodiert ist es dann, als die Reli­gions­lehrerin mich vor der ganzen Klasse fragte, warum denn meine ­Kleider so nach Kuhstall stinken ­würden. Damit begann für mich eine Leidenszeit, die bis zur neunten Klasse angehalten hat. Ich war der „Bauernfünfer“, der „Bauernstinker“ und ein totaler Außenseiter.

Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?

Stiegler: Meine Familie hat das ei­gentlich überhaupt nicht interessiert. Nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass die Kleider nach Kuhstall riechen, hielt meine Groß­mutter die Nase rein und sagte: „Ich riech nix.“ Das, was ich in der Schule erlebt habe, habe ich in mich reingefressen. Die Kleider selbst zu ­waschen, hat da auch nicht mehr ­geholfen. Im Dorf mit den anderen Kindern war das gar kein Thema, da hatte ich meinen Platz. Aber sobald ich aus dem Dorf rauskam, fing diese ­Leidenszeit an.

Wie haben Sie sich gefühlt in diesen Jahren, und wie kamen Sie da raus?

Stiegler: Außenseiter in einer ­Schulklasse zu sein, ist grausam und schmerzt Kinder unendlich. Man sitzt allein, man geht nicht mehr mit der Masse mit. Die Gefahr ist ­außerdem groß, dass sich solche ­Kinder an die falschen Personen oder Draufgänger klammern – nur um ­irgendwo dazu­zugehören. Zum Glück hat sich das in dem Moment gelegt, als ich aus der Hauptschule rausgekommen bin. In der Berufsschule gehörte ich ganz normal dazu. Wäre diese ­Bodenhaftung durch den Wechsel nicht da gewesen, hätte das böse ausgehen können.

Wie hat Sie dieses Erlebnis geprägt?

Stiegler: Es waren bei mir sechs lange Jahre. Das ist nicht ganz ohne. Wenn ich diese Zeit heute betrachte, hat sie mich am Ende stärker gemacht. Ich habe mir irgendwann geschworen, nie mehr der Außenseiter zu sein. Das hat die Entwicklung meines ­gesamten ­Lebens, auch im Positiven, ­geprägt. Ich habe immer wieder ­Sachen gemacht, vor denen sich die normale Masse scheut.

"Ich habe mir geschworen, nie mehr der Außenseiter zu sein."
Fritz Stiegler

Zum Beispiel?

Stiegler: Klettertouren, Romane schreiben, den Kilimandscharo ­besteigen oder einen Tauchkurs auf den ­Malediven absolvieren – ich glaube, das wäre ohne die Mobbing-Erfahrungen nicht passiert. Vielleicht will ich immer noch beweisen, dass ich eben kein „Bauern­fünfer“ bin. Ich weiß nicht, ob ich dabei immer ­gewonnen habe. Es ist mitunter anstrengend, so rastlos zu sein wie ich. Andererseits bin ich sowohl selbst ­sensibler geworden als auch meinen Mitmenschen ­gegenüber. Ich habe ein gutes Einfühlungsvermögen, wenn ­andere ein ­Problem haben. Das kommt mir auch im betrieblichen ­Alltag ­zugute.

Wann haben Sie das erste Mal offen von ­Ihren Erfahrungen erzählt?

Stiegler: Ich musste erst 45 Jahre alt werden, bis ich dieses Thema überhaupt über die Lippen ­gebracht habe. Da hat es erstmal ein gewisses Selbstbewusstsein gebraucht, um sich so­zusagen damit zu ­outen. Es ist ja ­überhaupt nicht schlimm, wenn die Kleider nach Kuhstall ­riechen, aber das ­Mobbing hinterher, das war für mich das Schlimme.

Was raten Sie Kindern, die Ähnliches durchmachen, und deren Eltern?

Stiegler: In dem Moment, wo ein Kind zum Außenseiter wird oder Mobbing erlebt, müssen die Eltern sensibel sein und auf Zeichen achten. Diese ­Botschaft gebe ich sehr gerne weiter. Denn ist das Problem erst einmal da, ist das Sprechen darüber umso ­schwerer. Die Eltern sollten zuhören, ernst nehmen und eingreifen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist auch wichtig, dass ein Kind selbstständig wird. Wenn es aber ans Eingemachte geht und Gefühle bitter verletzt ­werden, dann müssen Eltern reagieren und versuchen, das aufzufangen.

Ist „Bauer“ für Sie ein Schimpfwort?

Stiegler: Nein, absolut nicht. Wer heutzutage Bauer ist, der ist beim ­besten Willen nicht dumm. Sonst kann man einen Betrieb überhaupt nicht führen. Die jungen Landwirtinnen und Landwirte müssen hellwach sein, sonst haben sie keine Chance, einen Hof in die Zukunft zu bringen. Bauer-Sein ist etwas Hoch­anständiges und Wichtiges.

"Mir ist wichtig, aktiv Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben."
Fritz Stiegler

Wie sehen Sie aktuell das Bild der ­Landwirtschaft in der Öffentlichkeit?

Stiegler: Ich habe das Gefühl, dass das Image der Bauern nicht so schlecht ist, wie es manchmal dargestellt wird. Uns werden ja auch viele positive Sachen nachgesagt, z. B. dass wir zuverlässig, strebsam, leidensfähig und fleißig sind. Mir ist wichtig, dass wir auf unserem Hof aktiv Öffentlichkeitsarbeit mit ­Führungen und Festen betreiben und mit Medien zusammenarbeiten. Ich schreibe außerdem Bücher und nutze es manchmal gerne aus, dass Medien nicht unbedingt damit rechnen, dass ein Bauer einen Hang zur Literatur hat.

Würden Sie sagen, Ihre Erfahrungen geben Ihnen auch Energie für diese vielfältigen Projekte?

Stiegler: Ja, schon. Was ich in meinen Romanen schreibe, basiert oft auf ­Dingen und Gedanken von damals, die mir eine Richtung geben. Ich behandle gern Außenseiter-Themen oder ­Soziales, stemme mich gegen Unrecht und gegen die gleichgültige Masse. Der Schlüssel dafür liegt in meiner Vergangenheit. Und ich glaube, es ­gelingt ganz gut.

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