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Besucher sollen Tiere fühlen, riechen und hören

Die Goldschmaus-Gruppe geht mit ihren Besuchern beim Projekt „Transparente Landwirtschaft“ in die Ställe anstatt nur vom Besuchergang aus in die Abteile zu blicken. Die Teilnehmer bekommen so ein anderes Bild von der Tierhaltung, berichtet Hinrich Neumann für die top agrar 4/2018.

Lesezeit: 7 Minuten

Die Goldschmaus-Gruppe geht mit ihren Besuchern beim Projekt „Transparente Landwirtschaft“ in die Ställe anstatt nur vom Besuchergang aus in die Abteile zu blicken. Die Teilnehmer bekommen so ein anderes Bild von der Tierhaltung, berichtet Hinrich Neumann für die top agrar 4/2018.


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Verbraucher sehen die heutige Schweinehaltung oft als „Massenproduktion“, „automatisiert“ und „nicht artgerecht“ an, moderne Betriebe werden als „Agrarfabriken“ eingestuft. Das zeigt die Studie „Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft“ des Thünen-Instituts im Auftrag der Stiftung Westfälische Landschaft.


Diesem Vorurteil tritt die Goldschmaus-Gruppe aus Garrel (Niedersachsen) jetzt gezielt entgegen. Mit der Initiative „Transparente Landwirtschaft“ will das Schlachtunternehmen Verbrauchern moderne Tierhaltung hautnah zeigen. „Wir präsentieren keinen Streichelzoo, sondern einen modernen Betrieb mit allen Facetten“, erklärt Berater Ralf Martens von der Goldschmaus-Gruppe, der das Projekt leitet.


Seit Juli 2017 mit im Boot ist Veronika Schmies (27), sie bietet in Kooperation mit der Goldschmaus-Gruppe Rundgänge durch ihre Ställe an. Die Landwirtin führt den Betrieb zusammen mit ihren Eltern Andreas und Adelheid Schmies. top agrar hat eine der Führungen begleitet und die Teilnehmer nach ihren Eindrücken befragt.


Zuerst in die Hygieneschleuse


Die Besuchergruppe besteht aus zehn Studienkollegen und Freundinnen von Veronikas Schwester Kathrin (24), die in Gießen Tiermedizin studiert. Einige der Teilnehmer kommen vom Hof, viele waren aber noch nie im Schweinestall.Zunächst bekommen die Besucher bei einem kleinen Imbiss im neu gebauten Besucherzentrum auf dem Betrieb eine kurze Einweisung zur Tierhaltung und zu den verschiedenen Hygienevorschriften.


Das Gebäude mit Vorführraum, Hygieneschleuse sowie Betriebs-kleidung, Waschmaschine und Trockner usw. hat Goldschmaus errichtet. Nach der Theorie müssen alle zuerst durch die Duschschleuse und schlüpfen dabei in frische Arbeitskleidung. „Das erzeugt eine gewisse Spannung, sorgt aber auch für höhere Aufmerksamkeit“, sagt Martens, der die Führung begleitet.


Im Maststall interessiert die Besucher neben der Fütterung v. a. die Wirtschaftlichkeit. Fotos: Neumann


Viele Fragen


Auch heute ist das der Fall. „Ich wusste gar nicht, dass so ein Aufwand nötig ist“, bemerkt eine Teilnehmerin. Die Aussage nutzt Martens, um auf das Risiko von Krankheiten und den Antibiotikaeinsatz hinzuweisen, der sich mit strenger Hygiene senken lässt. Veronika Schmies führt die Besucher zunächst in den Sauenstall mit 650 Plätzen. Alle Bereiche wie Abferkelbuchten, Deckzentrum oder Wartebereich werden mit großen Tafeln erklärt, damit die Besucher den Überblick behalten.


Dabei kommen viele Fragen auf: Wie viele Ferkel bekommt eine Sau? Warum wird künstlich besamt? Welchen Zweck haben Ferkelschutzkörbe? Wäre eine Gruppenhaltung auf Stroh nicht besser? Schmies und Martens beantworten alle Fragen sehr offen.Anschließend geht es zum neuen Stall mit 1300 Ferkelaufzucht- und 2300 Mastplätzen. Hier interessiert die Teilnehmer die Wirtschaftlichkeit. Einige glauben, dass Landwirte dank üppiger Subventionen doch keine Sorgen hätten. Schmies klärt auf: „Wir haben Kosten von ca. 1,70 € pro kg Fleisch, bekommen derzeit aber nur 1,42 € je kg“.


Am Ende der Führung zeigt sich die Gruppe schwer beeindruckt. Selbst die Tiermedizin-Studenten aus dem dritten Semester haben noch einiges dazugelernt: „Viele kennen die Schweinehaltung nur von einem kurzen Praktikum auf dem Versuchsbetrieb“, berichtet Kathrin Schmies. „Es war interessant, einmal den Arbeitsablauf in einem größeren Sauenbetrieb kennenzulernen“, bestätigt Lena Lemmermann, Landwirtstochter aus Apensen, die auch Tiermedizin studiert.


Lena Cloppenburg, die aus Friesoythe stammt, aber in Münster Jura studiert hat, ergänzt: „Viele aus unserer ländlichen Heimat kennen die Landwirtschaft. Aber ich habe mir Schweinehaltung immer mit Fliegen und mehr Gestank vorgestellt. Ich war überrascht, wie sauber und hell die Ställe sind.“


Berater Ralf Martens spricht bewusst auch Reizthemen wie Schwanzbeißen an.


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„Die ersten Erfahrungen sind sehr positiv


Beim Projekt „Transparente Landwirtschaft“ machen derzeit drei Betriebe mit. Goldschmaus-Berater Ralf Martens erklärt, wie die Führungen ablaufen und welche Eindrücke Verbraucher bekommen.


Wie viele Betriebe machen bei dem Projekt mit?


Martens: Zurzeit sind es zwei Schweinehalter mit Sauen und Mast im geschlossenen System sowie ein Milchviehhalter. Sie alle kommen aus dem Raum Cloppenburg in Niedersachsen. Auf zwei Betrieben haben wir ein neues Besucherzentrum mit Vorführraum, Duschschleuse und Umkleideräumen gebaut, ein Betrieb hat dafür einen Teil seiner Diele umgenutzt.


Welche Zielgruppe sprechen Sie mit den Führungen an?


Martens: Wir wollen Schüler ab der 7. Klasse und Verbraucher erreichen und ihnen das unklare Bild der Tierhaltung durch das Öffnen der Stalltür deutlicher machen.


Welche Gruppen haben sich die Ställe bislang angesehen?


Martens: Neben Schulen, die wir gezielt ansprechen, haben sich auch Politiker, Vereine, Tierärzte oder Firmenvertreter angemeldet. Dazukommen Freunde der Familien. Gerade der der Landwirtschaft vor- und nachgelagerte Bereich war stark vertreten.


Wie groß sind die Gruppen und wie viele Führungen machen Sie?


Martens: Wir sind für Schulklassen mit bis zu 30 Personen ausgelegt, wobei sich eine Gruppe im Stall von acht bis zwölf Personen als optimal herausgestellt hat. Schulklassen teilen wir in der Regel in zwei Gruppen ein. Derzeit machen wir im Schnitt zwei Führungen pro Woche, die etwa drei bis vier Stunden dauern.


Zweimal vier Stunden in der Woche kosten viel Zeit für den Landwirt.


Martens: Ja, das stimmt. Daher erhält der Landwirt eine Aufwandsentschädigung. Außerdem gibt es eine Pauschale pro Person für die Gästebewirtung.


Der Aufwand mit Rein- und Raus-duschen und Betriebskleidung ist hoch. Wären separate Besuchergänge hinter Glasscheiben nicht effektiver gewesen?


Martens: Wir haben bewusst diesen Weg gewählt. Die Besucher sollen die Tiere riechen, fühlen und hören können. Sie sollen den Arbeitsplatz der Landwirte hautnah erleben, um bestimmte Haltungsformen, Behandlungen usw. nachvollziehen zu können. Wir wollen, dass die Besucher nicht nur über die Tierhaltung aufgeklärt werden, sondern auch den Beruf des Landwirts wieder wertschätzen lernen. Dies geht am besten direkt am Tier!


Gibt es Tabubereiche, die Sie nicht zeigen oder ansprechen?


Martens: Nein, wir wollen nichts verschweigen oder beschönigen. Daher sprechen wir auch über das Nottöten von Ferkeln, zeigen die CO2-Box und weisen auch auf verletzte Tiere in der Krankenbucht hin. Wir wollen auch keinen Keil zwischen konventioneller Haltung und Biobetrieben treiben, sondern das zeigen, was in 90% aller Betriebe tägliche Praxis ist. Bewusst sprechen wir die Reizthemen an, die von Tierrechtsorganisationen in Filmen immer wieder kritisiert werden und erklären z.B., warum Sauen im Abferkelbereich im Ferkelschutzkorb stehen oder warum manchmal Schwänze kupiert werden müssen.


Die Familie Schmies hat mit 650 Sauen und 2300 Mastplätzen schon einen größeren Betrieb. Gibt es da nicht manchmal den Vorwurf der „Massentierhaltung“?


Martens: Interessanterweise sind das für viele Verbraucher eine Masse Tiere, was sie aber nach dem Besuch nicht mehr negativ sehen mit der Begründung, dass die Landwirte sich ja um jedes einzelne Tier kümmern. Viele haben gesagt, dass Massentierhaltung für sie eher industrielle Tierhaltung mit vielen Fremdarbeitskräften in großen Tierhaltungsanlagen ist. Daran erkennt man aber auch, wie stark das Thema vom persönlichen Eindruck abhängt. Nur wenige haben hinterher gesagt, dass sie diese Art der Tierhaltung generell ablehnen, auch wenn sie jetzt vieles nachvollziehen könnten. Wenn sie dabei sachlich bleiben, ist das für uns völlig in Ordnung. In jedem Fall wurde bisher unsere Offenheit als bemerkenswert und positiv anerkannt


Wo sehen Sie die Herausforderungen für die Zukunft?


Martens: Wir wollen noch mehr Verbraucher erreichen. Vor allem aus dem städtischen Umfeld sind noch zu wenig Leute bereit, unser Angebot zur Information anzunehmen, obwohl es kostenlos ist und sich die Landwirte mit Bewirtung und Führung viel Mühe geben. Manchmal entsteht der Eindruck, dass sich einige mit dem Thema Landwirtschaft und Tierhaltung doch nicht näher auseinandersetzen wollen, es ist bequemer, die eigenen Vorurteile zu pflegen und beizubehalten. Hiervon lassen wir uns jedoch nicht entmutigen. Wir heißen auch in Zukunft jeden willkommen.

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