Herr Borchert, das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltunghat sich aufgelöst. Ist die Entscheidung auch nach einer Nacht drüber schlafen richtig?
Borchert: Die Entscheidung ist nach wie vor richtig, zumal wir über diesen Schritt zuvor lange in der Kommission diskutiert und alle Argumente abgewogen haben. Am Ende muss man aber feststellen, dass die Weiterarbeit keinen Sinn mehr macht.
Denn im Haushaltsplan 2024 sind keine Gelder für die weitere Transformation der Nutztierhaltung vorgesehen. Es wäre vergebene Liebesmüh, Vorschläge zu erarbeiten, die am Ende mangels finanzieller Unterstützung nicht umgesetzt werden können.
Bundesagrarminister Cem Özdemir hat dem Gremium seinen Dank ausgesprochen. Er spricht von einem „erfolgreichen Engagement für die tierhaltenden Betriebe“. Welche Erfolge nehmen Sie am Ende mit?
Borchert: Ich bin stolz darauf, was wir in so kurzer Zeit erreicht haben. Die Borchert-Kommission, zu der Vertreter unterschiedlichster Interessengruppen gehörten, hat bewiesen, dass man etwas bewegen kann, auch wenn man völlig unterschiedliche Vorstellungen hat. Die Empfehlungen, die wir zur Transformation der Nutztierhaltung erarbeitet haben, sind sowohl in der Wissenschaft als auch in großen Teilen der Politik auf breite Zustimmung gestoßen.
Wir haben Wege aufgezeigt, wie es gehen kann. Umso enttäuschter bin ich, dass die Bundesregierung nicht zugegriffen hat und unsere Empfehlungen jetzt in der Schublade verschwinden.
Kritiker befürchten, dass die Bundesregierung durch das Aus der Borchert-Kommission und des Bundesprogramms Nutztierhaltung künftig nur noch auf wissenschaftliche Expertisen zurückgreift, die von bundeseigenen Instituten erarbeitet wurden. Droht der Nutztierhaltung jetzt noch mehr Ungemach, weil der Bund die Ergebnisse leichter kontrollieren kann?
Borchert: Wir haben jetzt sicherlich eine schwierige Situation. Niemand weiß, welchen Kurs Cem Özdemir jetzt einschlägt und auf welche Ratgeber er künftig hört. Fakt ist, dass deutsche Landwirte auch in Zukunft nicht investieren können, weil die Rahmenbedingungen und die Perspektiven fehlen. Hier wird ein ganzer Wirtschaftszweig zu Grunde gerichtet. Ich warne dringend davor, die Landwirte weiter im Regen stehen zu lassen.
Ich warne dringend davor, die Landwirte weiter im Regen stehen zu lassen.
Wir verlieren immer mehr Marktanteile und importieren zum Beispiel beim Schweinefleisch zusehends Edelteile aus dem Ausland. Das ist doch paradox. Denn so geben wir immer mehr Wertschöpfung aus der Hand. Und auch die sichere Versorgung mit Lebensmitteln wird mittelfristig auf dem Spiel stehen. Wir müssen ganz klar feststellen: Nicht nur der Industriestandort Deutschland ist gefährdet, auch der Wirtschaftszweig Landwirtschaft steht auf der Kippe.
Welchen Rat geben Sie der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und sehen Sie für die ZKL noch eine Zukunft?
Borchert: Auch die ZKL diskutiert derzeit intensiv über ihre weitere Arbeit. Die Mitglieder werden jetzt sicherlich ihre Chancen abwägen und prüfen, welchen Einfluss sie künftig überhaupt noch haben. Ich würde mir wünschen, dass die ZKL die Kraft hat, weiterzumachen. Wir brauchen ein Gremium, in dem Vertreter aus Landwirtschaft, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützern sitzen, um die Nutzierhaltung gemeinsam weiterzuentwickeln. Was wir nicht brauchen, ist eine One-Man-Show in Berlin.
Was wir nicht brauchen, ist eine One-Man-Show in Berlin.
Der Strukturwandel gerade in der Sauenhaltung rennt. Selbst größte Optimisten werfen enttäuscht das Handtuch, weil ihnen die Perspektive fehlt. Was würde der Privatmann Jochen Borchert der Politik jetzt ins Pflichtenheft schreiben, damit Tierhaltung in Deutschland doch noch eine Zukunft hat?
Borchert: Zuallererst muss die Bundesregierung Perspektiven für die deutschen Tierhalter schaffen. In Berlin müssen doch alle Warnglocken klingen, wenn selbst junge Landwirte, die ihre Zukunft noch vor sich haben, reihenweise bereits genehmigte Bauanträge zurückziehen. Deutlicher kann die Perspektivlosigkeit der Landwirtefamilien doch gar nicht zum Ausdruck kommen. Insbesondere für die Sauenhalter ist die Situation katastrophal. Sie müssen in den nächsten Jahren große Investitionen im Deckzentrum und Abferkelstall stemmen. Das können sie aber nur, wenn die Politik das finanziell flankiert. Wir brauchen Förderprogramme und die langfristige Übernahme der laufenden Mehrkosten. Andernfalls werden deutsche Ferkelerzeuger rote Zahlen schreiben und aussteigen.