Unser Autor: Niklas Golitschek, Freier Journalist, Bremen
Reimund Büschel kennt viele Facetten der ukrainischen Landwirtschaft. Acht Jahre lang hat er in der nun von Russland besetzten Großstadt Cherson am Schwarzen Meer gewohnt und zwischenzeitlich bis zu 1.600 Mitarbeiter angeleitet. Seit 2015 vertreibt er mit seiner Deutschen Getreidetechnologie (DGT) GmbH in den früheren Sowjetrepubliken Saatgutaufbereitungsanlagen des Landshuter Maschinen- und Anlagenbauers Reiter Seed Processing. „Da verkaufen wir ziemlich erfolgreich“, sagt Büschel stolz über den ukrainischen Markt und schränkt dann ein: „Bis auf die jetzige Situation.“
Ernte läuft – Export nicht
Noch hegt Büschel Hoffnung, dass er künftig wieder in der Ukraine arbeiten kann. Als er kurz nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region Kiew vor Ort war, konnte er sich selbst einen Eindruck von der Lage verschaffen. „Ich war erstaunt, dass doch eigentlich alle Flächen bewirtschaftet worden sind. Hut ab vor den Ukrainern, die ziehen das voll durch“, kommentiert er mit Hochachtung. Seiner Einschätzung nach seien die Schäden mit Ausnahme des Donbass und Teilen der Südukraine auch nicht so gravierend wie teilweise dargestellt. Zumal unklar sei, ob die Ukraine in absehbarer Zeit wieder die Kontrolle über diese Flächen erhält.
Hut ab vor den Ukrainern, die ziehen das voll durch.“ - Büschel
Als größtes Problem macht auch Büschel derzeit den Export des Getreides aus. Rund 20 Mio. t der Vorjahresernte lagern noch in der Ukraine. Wegen der Minen im Schwarzen Meer und der russischen Blockade fehlt den Landwirten der Zugang zum bedeutendsten Transportweg zu internationalen Kunden. „Die Preise für Weizen und Gerste sind im Keller“, weiß Büschel um den Verkaufsdruck, um die Lager für die neue Ernte zu leeren. Hinzu kämen Probleme bei der Treibstoffversorgung und steigende Kosten etwa beim Mineraldünger. Doch diese Herausforderungen könnten die Landwirte in der Ukraine bewältigen, ist der Unternehmer überzeugt.
Export benötigt europäische Unterstützung
Büschel plädiert viel mehr für eine europäische Schieneninitiative mit Umladestationen an der Grenze, um das Getreide aus dem Land zu holen, solange der Export über das Schwarze Meer blockiert ist. Am Freitagnachmittag unterzeichneten Vertreter der Ukraine und Russland sowie der Türkei und der UN nach langen Verhandlungen schlussendlich ein Ausfuhrabkommen. Dies soll den geregelten Export von des Getreides aus der Ukraine über den Bosporus ermöglichen. Die Türkei rechnet mit einem Start des Schiffsverkehrs in den kommenden Tagen. Es könnte sich jedoch auch noch einige Wochen hinziehen, bis der Export inklusive aller Kontrollen in Istanbul geregelt abläuft.
„Das ist nicht das große Geld“, sagt Büschel über seine Idee, die nicht an Seeminen und Kriegsschiffen entlangführt, und seufzt: „Aber da zieht keiner mit oder kommt nicht auf die Idee.“ Ankündigungen auf der europäischen Politbühne, den Export zu beschleunigen, oder Plädoyers wie auf der Ukraine-Konferenz in Lugano seien weitgehend verhallt. Aus eigener Erfahrung wirft er etwa den polnischen Grenzbeamten Trägheit vor. „Sie reden von Solidarität mit der Ukraine, aber kriegen keine normale Zollabfertigung auf die Reihe“, kritisiert er die langen Wartezeiten.
Von seinen alten Freunden in Cherson hat Büschel indes seit einiger Zeit nicht mehr gehört, Telefon und Internet seien abgeschaltet. Seine letzten Informationen kurz nach dem Einmarsch: Russische Truppen hätten den Getreidetransport in die Ukraine verboten, die Region wirtschaftlich an die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Krim angliedern wollen. „Teilweise haben sie die Lager auch einfach leergeräumt, einfach beschlagnahmt“, berichtet er aus den letzten Gesprächen.
Russische Truppen haben alles mitgenommen
Büschel selbst brach mit Beginn des großflächigen Angriffs auf die Ukraine durch die russische Armee der wichtigste Markt für den Vertrieb von Saatgutaufbereitungsanlagen weg. „Die Ukraine war an erster Stelle“, untermauert er; auch Russland fehle ihm noch, bliebe noch Usbekistan als wichtiger Markt. Nach Polohy zwischen Saporischschja und Berdjansk im Südosten des Landes lieferte er Anfang des Jahres noch eine Anlage. Doch mittlerweile liegt die Stadt auf der südlichen Seite der Frontlinie – und damit im russischen Besatzungsgebiet. „Beim ersten Einmarsch haben sie alle Mähdrescher und Traktoren auf Tiefladern weggefahren“, beschreibt er. Mit seiner noch im Lager stehenden Lieferung im Wert von rund 500.000 € hätten sie zunächst nichts anfangen können. Doch einen Monat später seien die Besatzer zurückgekehrt und hätten alles mitgenommen. Büschel bilanziert verbittert: „Das ist ein Auftrag, der ist flöten gegangen. Das wird auch nie wieder was.“
Beim ersten Einmarsch haben sie alle Mähdrescher und Traktoren auf Tiefladern weggefahren.“ - Büschel
In der Region Tschernihiw am Dreiländereck Ukraine-Belarus-Russland sei ein weiterer Auftrag bis Kriegsende auf Eis gelegt. Andere Bestellungen seien komplett geplatzt – ebenso wie Büschels bisheriges Geschäftsmodell. Der Unternehmer versuchte noch, auf neue Bedarfe zu reagieren, beispielsweise Schläuche zur Getreidelagerung ins Land zu schaffen. „Aber man bekommt keine Ware – wir hätten lokale Kunden in der Ukraine“, schildert er; es gebe schlicht keine Möglichkeiten, in diesem Markt Fuß zu fassen. Jetzt heißt es für ihn erst einmal von den Reserven der vergangenen Jahre zehren und das Geschäft umzustellen, merkt Büschel an. Der mulmige Gedanke war und ist jedoch nach wie vor prägend: „Wenn sich das noch lange hinzieht, dann wird es irgendwann mal eng.“