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„Politik trifft Praxis“

Hocker: „Glyphosat wird von einigen NGOs und Politikern missbraucht“

Der Agrarsprecher der FDP-Bundestagsfraktion bricht im Gespräch mit top agrar eine Lanze für den chemischen Pflanzenschutz und hat auch zur Stilllegung eine klare Meinung.

Lesezeit: 6 Minuten

Die Landwirtschaft soll hohe Erträge ernten und gleichzeitig die Artenvielfalt fördern – das fordert die Gesellschaft. Doch wie geht das zusammen? Was erwarten Praktiker und Politiker voneinander? Wo fehlt es an Verständnis, wo an Fachtiefe? Und welche Lösungsansätze halten beiden Blickrichtungen stand?

Am 9. November wollen wir dieses Thema im Rahmen der top agrar-Veranstaltungsreihe "Politik trifft Praxis" mit Ihnen und vier Bundestagsabgeordneten diskutieren, darunter der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Gero Hocker. Im Vorfeld haben wir mit ihm über seine Meinung zum Pflanzen- und Artenschutz gesprochen. Auch Sie können Gero Hocker oder den weiteren Teilnehmern per E-Mail Ihre Fragen stellen (Fragen@topagrar.com) oder direkt selbst teilnehmen. Hier geht es zur Anmeldung: "Politik trifft Praxis".

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Herr Dr. Hocker, die Entscheidung pro oder kontra Glyphosatwurde auf Brüsseler Ebene vertagt, nicht zuletzt, weil sich Deutschland dabei enthalten hat. In der Frage tut sich zwischen den liberalen und den grünen Ampelkoalitionären ein tiefer Graben auf. Können Sie die Vorbehalte von Cem Özdemir gegen Glyphosat nachvollziehen? Ist das Totalherbizid tatsächlich ein „Artenkiller“?

Hocker: Der Wirkstoff Glyphosat wird von einigen NGOs und Politikern missbraucht, um gegen die moderne Landwirtschaft zu Felde zu ziehen.

die Politisierung wissenschaftlicher Fakten bringt für Verbraucher und Umwelt mehr Schaden als Nutzen.

Doch die Politisierung wissenschaftlicher Fakten bringt für Verbraucher und Umwelt mehr Schaden als Nutzen. Das Argument der Grünen, Glyphosat töte bei einer Behandlung alle Pflanzen und sei daher schädlich für Insekten, läuft völlig ins Leere. Wird der durch Ungräser und Unkräuter für die Kulturpflanzen erzeugte Konkurrenzdruck nicht durch Pflanzenschutzmittel reduziert, müssen vermehrte Bodenbearbeitung und etwa im Biolandbau das „Striegeln“ des gesamten Pflanzenbestandes zum Einsatz kommen, um letztlich mit erhöhtem Aufwand das gleiche Ziel zu erreichen. Neben den Auswirkungen, die der dadurch erhöhte Einsatz des fossilen Brennstoffs Diesel auf die Umwelt hat, bedeutet die zunehmende Bodenbearbeitung auch für Tiere wie bodenbrütende Vögel oder für Mikroorganismen, die im Boden wichtige Funktionen erfüllen, oft das Todesurteil.

Keine Alternativen in Sicht

Gibt es aus Ihrer Sicht akzeptable Alternativen zu Glyphosat – ob chemisch oder mechanisch? Oder anders gefragt: Ist Arten- und Bodenschutz auch ohne Glyphosat möglich? Wenn ja, zu welchen Kosten?

Hocker: Erstens würde ein Glyphosatverbot den Einsatz alternativer Herbizide erhöhen. Das ist nicht nur teurer, sondern würde aufgrund des eingeschränkten Wirkungsspektrum auch die Gefahr der Resistenzbildung erhöhen. Zweitens würde ein Glyphosatverbot den Einsatz mechanischer Bodenbearbeitungsmethoden erhöhen. Damit würden die Betriebskosten und der Arbeitsaufwand für die Landwirte steigen, was letztlich ebenfalls zu gesteigerten Produktionskosten führt. Zusammenfassend sind die Alternativen zu Glyphosat sowohl teurer als auch schlechter für die Umwelt.

Die EU-Kommission will den gesamten chemischen Pflanzenschutz deutlich einschränken. Was halten Sie davon und insbesondere von Pauschalverboten in Sensiblen Gebieten?

Hocker: Aufgabe der Politik ist es, die gesetzlichen Weichen zu stellen, um die negativen Auswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes so gering wie möglich zu halten und dabei die Versorgungsicherheit weiterhin zu gewährleisten. Pauschale Verbote oder Minderungsquoten über die gesamte Fläche hinweg halten wir Freie Demokraten dabei für den falschen Weg, da er fälschlicherweise suggeriert, dass wir Ertragseinbußen in Kauf nehmen müssen, um unsere Umwelt zu schützen. Nach Auffassung der Freien Demokraten ist es deutlich zweckmäßiger, die Forschung und Entwicklung sowie den Einsatz innovativer Techniken in der Anwendung zu fördern, um Umweltschutz bei gleichbleibendem Ertrag zu ermöglichen. Wir setzen darauf, bürokratische Hürden zu verringern, Forschungs- und Zulassungsprozesse zu beschleunigen sowie Fördergelder zur Verfügung zu stellen, um den Ideenreichtum unserer Agrartechniker auf den Acker und in die Weinberge zu bringen.

Zudem muss anerkannt werden, dass beim Pflanzenschutzmitteleinsatz gerade in Deutschland in den vergangenen Jahren sehr viel passiert ist: Mit immer präziseren Ausbringungstechniken können deutlich geringere Einsatzmengen erzielt werden; durch die umfassende und verantwortungsvolle Risikobewertung kommen immer weniger als "gefährlich" eingestufte Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, wodurch sich die Belastung für Mensch und Umwelt minimiert; mit der Forschung und Entwicklung von Biostimulanzien sowie biologischen Pflanzenschutzmitteln erweitert sich der pflanzenbauliche Werkzeugkasten stetig.

Lebensmittelimporte sind notwendig

Haben die EU und Deutschland überhaupt das moralische Recht, die Flächenleistungen auf dem Acker durch Einschränkungen beim Dünger- oder Pflanzenschutzeinsatz zu reduzieren? Werden wir da unserer Verantwortung für die globale Ernährungssicherung gerecht?

Hocker: Uns in Deutschland muss klar sein, dass wir mit unseren 16,6 Mio. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche allein keine 81 Millioen Menschen versorgen können. Vor allem eine Gesellschaft, die höheren Ansprüche an ihre Ernährung stellt als regionale Gegebenheiten hergeben, sondern gerne auch importierte Lebensmittel wie Reis, Avocado, französischen Käse oder tropische Früchte auf ihrer Speisekarte findet, geht diese Rechnung nicht auf.

Es ist der Handel, der Wohlstand schafft.

Es ist der Handel, der Wohlstand schafft. In den meisten Ländern auf dieser Welt sind die Gegebenheiten für den Ackerbau deutlich schlechter als auf unseren Gunststandorten. Das Getreide, dass wir jedoch nicht selbst anbauen, weil wir aus fehlgeleiteten Umweltideologien auf pflanzenbauliche Fortschrittsmacher wie Glyphosat – oder übrigens auch Gentechnik – verzichten, muss an anderer Stelle angebaut werden. Spätestens, sobald dafür Wälder in Ackerland umgewandelt werden, wird klar, dass das Märchen der Umweltfreundlichkeit in dieser Form kein Happy End hat. In Zeiten steigender Weltbevölkerungszahlen darf bei der Produktion nicht leichtsinnig auf Ertrag verzichtet werden.

Stilllegungen sollten aus dem agrarpolitischen Baukasten verschwinden

In diesem Zusammenhang: Sind Stilllegungen ein angemessenes Mittel für mehr Artenschutz in der Kulturlandschaft oder sehen Sie bessere Wege, ohne dass man Flächen aus der Produktion nimmt?

Hocker: Es gibt schwerwiegende Gründe, die dafürsprechen, die Stilllegungsverpflichtung vollends aus dem agrarpolitischen Baukasten zu eliminieren. Spätestens der Krieg, aber auch zahlreiche Extremwetterereignisse führen uns ständig vor Augen, wie schnell Ernteausfälle zu globalen Hungerkrisen führen können. Auch wenn die globale Ernte in diesem Jahr ein moderates Level zu erreichen scheint, so sollte unsere Politik nicht darauf basieren, vollends auf die Ernte von Drittstaaten zu vertrauen. Wer ausgerechnet mit der überraschend zufriedenstellenden Ernte in der Ukraine und den damit verbundenen hohen Einfuhrmengen in EU-Länder für EU-Flächenstilllegungen argumentiert, hat noch nicht verstanden, dass es genau solche Abhängigkeiten zu verhindern gelten muss. Darauf zu vertrauen, dass die durch unsere Stilllegungen global fehlende Erntemenge von Nicht-EU-Mitgliedstaaten schon aufgefangen wird, darf nicht Ziel europäischer Stilllegungspolitik sein.

Außerdem produzieren wir in der EU nicht nur Grundnahrungsmittel für unsere eigene Bevölkerung, sondern exportieren das Getreide in Regionen mit deutlich schlechteren Standortbedingungen. Wir leben in einer Welt mit einer stark wachsenden Bevölkerungszahl, aber zurückgehender Ackerflächen. Wie die Rechnung aufgehen soll, diese Bevölkerung zu ernähren, wenn wir Mindererträge auf unseren Gunststandorten billigend in Kauf nehmen, ist mir ein Rätsel.

Vielen Dank für das Gespräch!

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