Mobbing übers Internet und Smartphone ist vor allem für Kinder und Jugendliche an der Tagesordnung. Wie läuft es ab, was können Betroffene und Eltern dagegen tun? Wir haben bei Moritz Becker, Medienpädagoge bei Smiley e.V., Verein zur Förderung von Medienkompetenz, Hannover, nachgefragt.
Was ist Cybermobbing?
- Beleidigende Kommentare, falsche Behauptungen und Lügen in sozialen Netzwerken verbreiten.
- Immer wieder die gleichen, verletzenden Nachrichten, z.B. über WhatsApp verschicken.
- Gefälschte Homepages über einen Betroffenen erstellen.
- Verschicken von entwürdigenden, häufig gefälschten Nacktfotos.
- Heimliche Videos, z.B. aus der Umkleidekabine, verschicken.
- Jemanden auf sog. „InstagramBeichtseiten“ verleumden.
- Die Täter bleiben im Netz anonym. Das setzt die Hemmschwelle für Mobbing herab.
- Die Betroffenen bleiben nicht anonym. Oft erfährt die ganze Jahrgangsstufe oder sogar die ganze Schule, was online passiert.
- Die peinlichen Bilder oder Kommentare wird der Betroffene meist über Jahre nicht los.
- Der Psychoterror geht nach der Schule weiter. Nicht mal zu Hause haben Betroffene Ruhe vor den Attacken der Mitschüler.
- Wer im Netz gemobbt wird, hat meistens auch im Alltag mit Mobbingsituationen zu kämpfen.
- Sich jemandem anvertrauen, so schwer es auch fällt!
- Cybermobbing an sich ist keine Straftat. Gegen manche Formen kann man aber vorgehen.
- Inhalte, die die eigenen Persönlichkeitsrechte oder z.B. das Recht am eigenen Bild verletzen, bei den Betreibern der sozialen Netzwerke melden. Das sollten auch Freunde, Bekannte und Klassenkameraden tun.
- Auch wenn es im Nachhinein unangenehm ist: Es ist nicht verboten, jemandem ein Bikini-Foto oder ähnliches zu schicken. Verboten ist es, dieses ungefragt weiter zu schicken. Eventuell lässt sich sogar Anzeige erstatten.
- Immer ‚up to date‘ sein, ist unrealistisch. Bieten Sie das Gespräch dennoch an. Ein Beispiel: „Auch wenn du denkst, ich verstehe dein Problem nicht, weil ich ‚Musical.ly‘ nicht kenne, erklär es mir bitte trotzdem.“
- Sich im Vorhinein als Gesprächspartner bei verstörenden Inhalten im Netz anbieten.
- Kindern schon früh vermitteln, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist. Persönlichkeitsrechte und das Recht am eigenen Bild erklären.
- Jederzeit ansprechbar sein, die Sorgen der Kinder ernst nehmen!
Interview: „Es kann jeden treffen“
Expertin Kerstin Rehage erklärt, wie Mobbing entsteht und was man dagegen tun kann.
Frau Rehage, kann jedes Kind ein Opfer von Mobbing werden?
Rehage: Ja, jedes! Wenn sich eine Gruppe entscheidet, ein Kind auszuschließen, dann tut sie das. Da hat der Betroffene keinerlei Einfluss. Egal, ob das Kind vom Bauernhof stammt oder rote Haare hat: Der Grund, warum es gemobbt wird, ist austauschbar.
Viele glauben, dass nur bestimmte Menschen Mobbingopfer werden können –und es sie selbst niemals treffen wird.
Rehage: Dahinter steckt eine Art Schutzmechanismus: Ich empfinde mich als stark, also kann mir nichts passieren. Auch deshalb zeigen viele Menschen überraschenderweise Verständnis für die Täter. Wir machen in der Praxis die gegenteilige Erfahrung: Es kann ausnahmslos jeden treffen.
Hat ein Kind die Chance, sich selbst gegen Mobbing zu wehren?
Rehage: Mobbing folgt einem System. Es gibt sicherlich Zeiten, oftmals am Anfang, zu denen man das System noch stoppen kann. Ab einem gewissen Punkt kann der Betroffene allein nichts mehr ausrichten. Typisch für Mobbing ist ja, dass mehrere Täter sich gegen eine Einzelperson verbünden.
Ihr wichtigster Rat an die Betroffenen?
Rehage: Vertraut euch jemandem an!
Warum tun sich Kinder damit so schwer?
Rehage: Oft fühlen sie sich schuldig oder schämen sich, dass es ausgerechnet sie trifft. Wenn das Mobbing dann noch mit dem Beruf der Eltern zu tun hat, ist die Hürde noch höher, sich zu öffnen. Dann sind niedrigschwellige Angebote, wie z.B. Kinder-Sorgentelefone eine gute Alternative.
Wann ist es wirklich Mobbing?
Rehage: Wenn der Betroffene über längere Zeit psychische und physische Gewalt erfährt und mehrere Täter mit Absicht handeln. Der Betroffene hat keine Unterstützer. Zu Mobbing gehören Straftaten wie Beleidigung, üble Nachrede, Nötigung, Verletzung am eigenen Bild und Körperverletzung.
Was können Eltern und Lehrer tun, um das Kind zu unterstützen?
Rehage: Ganz wichtig ist es, das Kind ernst zu nehmen und auf es einzugehen: Wie kann man die Situation stabilisieren und Druck herausnehmen? Den Kindern hilft eine gute Balance zwischen bagatellisieren und dramatisieren. Gleich die Riesenwelle zu starten, ist meistens keine gute Idee. Unbedingt sollten Eltern aber die Schule kontaktieren: Was kann die Einrichtung tun, um das Kind zu schützen? Viele Schulen führen Sozialtrainings zur Gewaltprävention durch, um das Mobbing zu beenden.
Wie oft erleben Sie, dass ein Kind aus der Klasse herausgenommen wird?
Rehage: Gar nicht so selten. Ich halte das aber nicht für den richtigen Weg. Das signalisiert den Tätern: Ihr habt gewonnen. Nur wenn das Kind unbedingt die Klasse wechseln will, kann man darüber nachdenken. Aber oftmals wird es in der Parallelklasse nicht besser. Zwar nimmt das Alltagsmobbing vielleicht ab, aber vor allem im Netz kann es weitergehen. Und: In der früheren Mobbing-Klasse wird häufig ein neues Opfer auserkoren.
Haben die Täter einen Grund, warum sie genau dieses Kind mobben?
Rehage: Natürlich. Sie müssen ihr Tun ja vor sich und den anderen rechtfertigen. Aber wie schon gesagt: Der Grund ist austauschbar. Manchmal rufen Lehrer bei uns an, die in einer Klasse Ausgrenzungen beobachten und gleich hinzufügen: „Der Ausgegrenzte ist aber auch ein bisschen merkwürdig...“ Das zeigt: Auch wohlmeinende Personen geben dem Opfer manchmal eine Mitschuld. Bei Äußerlichkeiten ist das Unrecht übrigens deutlicher, als wenn jemand sich auffällig verhält.
Wo setzen Sie mit Sozialtraining an?
Rehage: In der Regel gibt es nur wenige aktive Täter. Meistens sitzen in einer Klasse 15 bis 20 Mitschüler, die die Situation dulden. Wir ermutigen diese schweigende Mehrheit, Zivilcourage zu zeigen.
In welcher Form?
Rehage: Auf den Betroffenen zugehen und fragen: Wie geht es Dir? Können wir dir helfen? Dann fühlt derjenige sich schon nicht mehr so allein. Oder die Lehrer einweihen. Auch wenn ein Mitglied der Klasse den Mumm hat, zu sagen: „Das dürft ihr hier nicht posten“, oder: „So etwas wollen wir hier nicht“, ist der Kreislauf durchbrochen. Der Betroffene spürt, dass Mitschüler auf seiner Seite stehen. Dann stellen wir mit der Gruppe Regeln auf. Die erste heißt immer: „Wir achten (auf)einander“.
Welche Altersgruppe ist besonders anfällig für Mobbing?
Rehage: Mobbing gibt es in jedem Alter. Verstärkt aber ab der der 5. Klasse, wenn sich Gruppen neu mischen. Hinzu kommt die Pubertät mit ihren Krisen und herausfordernden Phasen.
Wie läuft Mobbing ab?
Rehage: Das Spektrum reicht von non-verbal bis hin zu massivsten Schlägereien. Augen verdrehen, aufstöhnen, aus Whats-App-Gruppen ausschließen. Aber auch krasse Demütigungen, wie z.B. Schuhe ablecken lassen. Im Netz geht es weiter. Wenn ein Kind 25 Mal am Tag die Nachricht bekommt: „Du bist so fett, dass ich kotzen könnte“, ist das schlimm! Auch gefakte Homepages, oder Filme gibt es. Das Verbreiten von Fotomontagen oder heimlich gedrehten Videos ist ebenfalls häufig.
Wie viele Kinder sind betroffen?
Rehage: Heute mehr als früher. Durch die Anonymität im Netz ist die Hemmschwelle geringer. Aber: Nicht jede Gewalttat ist gleich Mobbing. Einmalige Cyberattacken kennen viele.
Wie können Eltern ihre Kinder im Vorhinein stark machen?
Rehage:Ihnen die Regeln eines guten Miteinanders mitgeben. Aufklären, welche Gefahren im Netz lauern. Sie immer ernst nehmen.