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topplus Entspannung auf den Agrarmärkten bis Jahresende?

Wirtschaftsforscher Sinabell: "Ich hoffe die Agrarmärkte täuschen sich nicht“

Über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Agrarmärkte und mögliche Lösungsansätze sprachen wir mit Dr. Franz Sinabell vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wien.

Lesezeit: 8 Minuten

Der Ukrainekrieg hat den Weizenpreis von 290 auf über 420 €/t hochschnellen lassen. Zuletzt (Redaktionsschluss am 1.4.) lag der Preis an der Matif bei knapp 370 €. Sie haben nach eigenen Angaben einen so raschen Preisanstieg in so wenigen ­Tagen noch nie erlebt. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Sinabell: Auch wenn ich einen so ­starken Anstieg in so kurzer Zeit noch nicht erlebt habe, heißt das nicht, dass so etwas noch nie dagewesen wäre. Vergleichbare Phasen gab es bereits mehrmals in den letzten zwei Jahrzehnten. Hohe Preisanstiege sind das Signal für große Unsicherheit. Wenn man Lehren aus der Vergangenheit zieht, ist eine davon, dass die Volatilität, also die starken Schwankungen, nicht so schnell vorübergehen werden. Diesmal geht es um einen Krieg und nicht um eine Finanzkrise. Die Folgen können daher viel länger wirken.

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Auch für Mais und Sonnenblumenöl sind die Ukraine und Russland ­wichtige Exporteure. Hierzulande wird bereits von Hamsterkäufen bei Speiseölen gesprochen. Wie dramatisch sehen Sie die Folgen für die globale ­Ernährungssicherheit?

Sinabell: Nach der Invasion der Krim durch Russland sind EU und Ukraine wirtschaftlich näher gerückt. Erleich­terungen in der Mobilität der Arbeitskräfte, des Handels und von Investitionen waren bewusst gesetzte Schritte, um die Ukraine zu stabilisieren. Dies hat gut funktioniert, die Ukraine ist zu einem wichtigen und zuverlässigen Lieferanten von Agrargütern geworden. Dies ist nun in kürzester Zeit zunichte gemacht worden. Die fehlenden Lieferungen der Ukraine in die EU sind bedeutend, sie können aber aufgefangen werden. Anders ist die Situation in Nordafrika und im Nahen Osten wo ausbleibende Lieferungen von Weizen, Mais und Sonnenblumen aus der ­Ukraine die Versorgung von vielen Menschen gefährden.

Wie können denn die Lieferungen der Ukraine in die EU aufgefangen werden?

Sinabell: Das Landwirtschafts­ministerium der USA hat die aktuelle Prognose zur Versorgung erstellt. Wenn ich jene vom Februar heranziehe, also vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Es wurde ­erwartet, dass die Ukraine heuer 21 Mio. t Weizen exportieren würde. Diese Menge entspricht 15 % der für heuer erwarteten Produktionsmenge der EU. Es ist also eine erhebliche Menge. Andererseits ist die Menge auch nicht wieder so hoch, dass ein Ausgleich denkunmöglich wäre, wenn die Verwendungen von Weizen geändert werden. Man muss auch bedenken, dass andere Länder wie USA oder Australien ebenfalls einen Teil der fehlenden Exporte kompensieren können.



Zur genauen Beobachtung der ­Ent­wicklungen und um rasch reagieren zu können, wurde im Landwirtschaftsministerium ein Einsatzstab ein­gerichtet. Dieser bewertet die Lage auf den Agrarmärkten, die Handelsströme und die Lebensmittelversorgung. Wo nötig und möglich, werden rasch ­stabilisierende Maßnahmen gesetzt, so das Ziel. Wie beurteilen Sie dies?

Sinabell:Die Versorgung zu sichern und stabile Märkte, sind wichtige Ziele der Agrar- und Ernährungspolitik. Die Lage zu sichten und Maßnahmen vorzubereiten, um schlimme Versorgungslagen zu verhindern, ist notwendig. Hier wurde rasch und aus meiner Sicht angemessen gehandelt. Da es sich um eine Krise von europäischer Dimension handelt, ist dies vor allem aber eine Aufgabe auf EU-Ebene. Ich erwarte, dass sowohl kurz- als auch mittelfristig wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um die Märkte zu stabilisieren und die Krisenfestigkeit zu stärken.

Ungarn hat wegen der gestiegenen Weizenpreise einen Exportstopp verhängt, damit die eigene Bevölkerung keine höheren Preise für Lebensmittel bezahlen muss. Andere Länder in Asien planen ähnliche Schritte. Ist es jetzt aber nicht besonders wichtig, die Handelswege offenzuhalten und dass alle Länder ihre Verantwortung für die Welternährung wahrnehmen?

Sinabell: Ähnliche Maßnahmen wurden von einzelnen Ländern bereits in früheren Phasen starker Preisanstiege gesetzt. Die Erfahrung daraus ist, dass alle Länder schlechter dastehen, auch jene, die Exporte blockieren. In Ungarn gibt es im April eine entscheidende Wahl, daher ist das politische Kalkül offensichtlich.

Auch in Österreich wird der Ruf ­immer lauter, dass die Ackerböden für den Anbau von Nahrungsmitteln ­genutzt werden, anstatt Äcker still­zulegen. Stimmen sie dem zu? Sollte die GAP neu überdacht werden?

Sinabell: Die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung sicherzustellen und für angemessene Preise für die Verbraucher zu sorgen, sind Ziele der GAP. Um diese Ziele zu erreichen, gibt es auch geeignete Instrumente. Da braucht nichts repariert zu werden. Die ­Herausforderung für die Politik ist vielmehr, abzuwägen, ob Weichenstellungen, die 2018 sinnvoll waren, auch heute noch vernünftig sind. Zu dieser Zeit sind die Exporte der Ukraine so richtig in Fahrt gekommen. Viel hängt davon ab, wie lange der Krieg andauert und wie viel zerstört wird. Daher ist es jetzt nicht sinnvoll, eine Maßnahme herauszugreifen und zu erwarten, dass damit das Problem gelöst ist.

Was schätzen Sie, welche Steigerung der Getreideproduktion wäre möglich, wenn die Politik einschränkende Vorgaben zumindest teilweise aufheben würde – kurz- und langfristig?

Sinabell: Kurzfristig die Produktion zu steigern, ist kaum möglich. Die Verwendung des Getreides zu ändern, ist eher möglich. Wenn Papierfabriken wegen hoher Energiekosten stillgelegt werden, wird weniger Stärke nachgefragt. Wenn weniger Treibstoff nachgefragt wird, wird auch weniger Ethanol und FAME abgesetzt. Wenn Lebensmittel teurer werden, wird weniger Nahrung verschwendet. Die Märkte bringen also vieles automatisch ins Lot, was aus den Fugen geraten ist. Auf diese Weise können die EU und andere Agrarexporteure einen Teil der globalen Getreideversorgung übernehmen, die nun gefährdet ist. Wir müssen aber auch über darüberhinausgehende Schritte nachdenken. Etwa wenn es nötig sein sollte, nicht nur die Exporte der Ukraine wettzumachen, ­sondern wenn 42 Mio. Ukrainerinnen und Ukrainer versorgt werden müssen, weil Hunger als Mittel zur Erreichung von Kriegszielen eingesetzt wird. In ­einem solchen Szenario müssen tiefgreifende Maßnahmen umgesetzt werden.



Angesicht der steigenden Getreidepreise könnten viele Bauern Mais und Weizen gleich vom Feld verkaufen, statt sie an Schweine zu verfüttern. Was heißt das für unsere Eigenversorgung?

Sinabell: Das ist schwer zu beant­worten. Es hängt davon ab, wie man Eigenversorgung definiert. Wenn es um die Menge von Kohlenhydraten und Proteinen geht, dann kann dadurch die Eigenversorgung sogar steigen. Was sich jetzt schon abzeichnet ist, dass Fleisch teurer werden dürfte.



Ein Problem für den heurigen Anbau ist der Versorgungsengpass bei Düngemitteln. Und wenn Dünger verfügbar ist, ist er so teuer, dass ein Einsatz kaum oder nicht rentabel ist. Welche Lösungsansätze sehen sie hier?

Sinabell: Hier können wir gute Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Bis in die 1980er-Jahre gab es eine Dünge­beratung, die das Ziel verfolgte, den Düngereinsatz zu heben. Dann kam ein Schock: 1986 wurde eine Düngemittelabgabe eingeführt, Stickstoff­dünger verteuerte sich um ein Viertel. Die Folge davon war ein deutlicher ­Absatzrückgang. Es gab aber keine ­unmittelbar sichtbaren Ertragsausfälle. Dünger wird seitdem effizienter eingesetzt, und zwar auch, nachdem die Abgabe 1995 ­abgeschafft wurde. Heute haben wir nun Technologien, die einen noch sparsameren Düngereinsatz möglich machen. Ich gehe davon aus, dass diese nun vermehrt eingesetzt werden.



In diesem Zusammenhang sind auch Wirtschaftsdünger wie Gülle und Mist wohl neu zu beurteilen, oder?

Sinabell: Der Wert des Wirtschafts­düngers und von Stroh hängt unmittelbar mit den Düngerkosten zusammen. Da wir in Österreich viel Tierhaltung haben, ist unsere Produktion auch nicht in dem Maß von Mineraldünger allein abhängig wie in anderen Ländern.



Im Schlepptau der Ukrainekrise sind zuletzt auch die Spritpreise explodiert. Auch für Landwirte bedeutet dies ­aktuell rund eine Verdoppelung der Dieselkosten. Der Ruf nach vorüber­gehender Abschaffung bzw. Senkung der MwSt. wird immer lauter. Unter­stützen sie diese Forderung?

Sinabell: Ich bin ein Fan niedriger Steuern, aber nicht als Ad-hoc-Maßnahme, sondern als Entlastung, wenn der Staatshaushalt in Ordnung ­gebracht wurde. Die Art der besten ­Unterstützung hängt davon ab, was gefährdet ist. Wenn die Felder aus Treibstoffmangel nicht mehr bestellt werden, dann muss eingegriffen werden, aber nicht mit einer Mehrwertsteuersenkung. Davon würden vor allem jene profitierten, die mit 130 Sachen mit SUVs durch die Gegend brettern.

Welche möglichen Entlastungen sehen Sie sonst für unsere Landwirte?

Sinabell: Aus meiner Sicht geht es um die Unterstützung dabei, dass Betriebe krisenfester werden und sie zu befähigen, auch unter widrigen Marktbedingungen zuverlässig zu produzieren. Da geht es vor allem um Management und Technologien, die bisher zu teuer oder kompliziert waren oder deren Potenzial noch nicht erkannt wurde.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen der Agrarmärkte auf Sicht bis Jahresende 2022 aus heutiger Sicht ein?

Sinabell: Ein Blick auf die Preise von Futures für Lieferungen im Dezember 2022 bzw. Jänner 2023 zeigt, dass die Lage bis dahin entspannter sein wird. Ich hoffe, die Märkte täuschen sich nicht.

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