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"Hart aber fair" über Missstände bei Beschäftigung in Schlachtbranche

Hat Corona offengelegt, wie die Mitarbeiter in der deutschen Fleischindustrie behandelt werden und welche Folgen niedrigste Fleischpreise haben? Das diskutierte Frank Plasberg am Montagabend.

Lesezeit: 10 Minuten

In der ARD ging es am Montagabend bei "Hart aber fair" mit Frank Plasberg um das Thema "Corona im Schlachthof - sind uns Mensch und Tiere Wurst?".

"Das Virus wirkt wie ein Brennglas, unter dem Probleme sichtbar werden", sagte der Moderator in der Einleitung. Probleme, die wir seit Jahren verdrängt hätten. Über 1.200 Arbeiter hätten sich etwa in deutschen Schlachthöfen infiziert. "So richtig wundern darf sich darüber eigentlich niemand, der die Lebens- und Arbeitsbedingungen kennt. Böse gesagt: Käfighaltung kommt nicht unbedingt nur bei Tieren vor."

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Doch bevor man bei der Politik die Schuldigen suche, sollte man erst im eigenen Kühlschrank nachschauen, so Plasberg weiter. Denn wer ein Kilo Nackenkotelett für 4,27 € oder ein Kilo Hähnchenschenkel für 2 € kauft, sollte zunächst auf sich selbst zeigen.

Die Gäste

Robert Habeck, Parteivorsitzender der Grünen sagt, Fleisch wird zu Dumpingpreisen produziert unter Dumping-Bedingungen. Was es braucht, sei eine Neuausrichtung der EU-Agrarförderung. Ein Mindestpreis für Fleisch sei nur die unterste Schamgrenze.

Max Straubinger, der CSU-Bundestagsabgeordnete und Landwirtschaftsmeister entgegnet, "das ist doch Planwirtschaft". Der Preisdruck in der Fleischwirtschaft ist zwar enorm, aber über den Preis entscheidet der Verbraucher an der Ladentheke.

Anette Dowideit, Chefreporterin im Investigativteam der WELT sagt, ein bisschen mehr Lohn für die Schlachtarbeiter würde die Verbraucher nur wenige Cent pro Einkauf kosten. "Aber viele Unternehmen wollen das nicht, die fahren gut mit dem ausbeuterischen System."

Heiner Manten, Vorsitzender des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF) und Geschäftsführer von Manten-Fleisch sagt, Einzelfälle werden von Medien und Politik dazu verwendet, eine ganze Branche in Verruf zu bringen. Er vermisse die Auseinandersetzung mit den Fakten und die Bereitschaft der Bundesregierung, mit den Betrieben zu reden.

Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, stellt klar, "Corona hat die Missstände in der Fleischwirtschaft noch einmal deutlich aufgezeigt. Deshalb werden wir dort beim Arbeitsschutz aufräumen und durchgreifen.

Die Lage der Arbeiter

Anette Dowideit schilderte zunächst, wie es den Fleischarbeiter ergeht. Sie stammten oft aus ärmlichen Verhältnissen in Südosteuropa, seien in den deutschen Schlachthöfen gar nicht direkt angestellt, sondern über Subunternehmer, würden in kleinen Transportern befördert und müssten in Schrottimmobilien wie alten Bauernhöfen auf engstem Raum wohnen. Pro Bett in einem Dreibettzimmer würden manche Unternehmer bis zu 400 €/Monat kassieren.

Heiner Manten versuchte zu betonen, dass es in NRW nur in einem Fall festgestellte Verstöße bei einer Arbeiterunterkunft gegeben hätte. Dass es gerade in der Fleischbranche vermehrt zu Corona-Infektionen kam, liege an den harten Arbeitsbedingungen und den kühlen Temperaturen in den Werken, die das Virus wahrscheinlich begünstigten. "In den Betrieben allein ist das Problem nicht zu suchen", so der Unternehmer. Er könne sich nicht vorstellen, dass es Unterkünfte mit drei vier Personen pro Zimmer gibt. Er vermute auch, dass das Virus aus privaten Einträgen in die Belegschaften gekommen sei.

Hubertus Heil erinnerte daran, dass es schon 2017 Verschärfungen gegeben habe für die Schlachtbranche. Diese seien aber nicht selten umgangen worden oder Lobbyvertreter hätten die Gesetze noch im Entstehungsprozess abgeschwächt. "Wann, wenn nicht jetzt, sollte man grundlegende Konsequenzen ziehen?"

Max Straubinger glaubt dagegen nicht, dass in der Branche grundsätzlich etwas schief läuft; es habe sich ja auf nur zehn Betriebe beschränkt in ganz Deutschland. Es gebe 120.000 Beschäftigte insgesamt, letztendlich seien nur 1 % der Beschäftigten infiziert gewesen, und das nichtmal aus den Betrieben heraus. Er sieht es als Problem, dass die Arbeiter im privaten Bereich viel zu eng beieinander lebten.

Robert Habeck meint allerdings, es sei grundsätzlich ein Problem in der Schlachtbranche vorhanden. Es sei nicht akzeptabel, wie die Firmen die Menschen unterbezahlten und in welcher "Dumpingindustrie" Fleisch produziert werde. "Auch die Zerlegebetriebe sind Teil eines Systems, das nur funktioniert, wenn immer günstiger produziert wird. Das ist das System der Landwirtschaft, von dem wir alle ein Stück weit profitieren. Die Lebensmittelpreise sind dadurch grandios runtergegangen. Aber wir produzieren dadurch natürlich enorme gesellschaftliche Folgekosten - zum Leid der Tiere, der Menschen und der Umwelt."

Fakten des WDR

60.000 bis 70.000 Werksvertragsmitarbeiter aus Südosteuropa arbeiten in deutschen Fleischbetrieben, schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund laut den Autoren der WDR-Sendung. Beschäftigt seien sie oft bei Subunternehmern. Der Schlachthof vergebe lediglich den Auftrag über die zu verarbeitende Menge und zahlt dem Subunternehmer einen Betrag. Dieser allein sei für die Erledigung der Arbeit, die Anstellung der Arbeiter und deren Unterbringung zuständig, heißt es in einem Info-Einspieler.

Der DGB schätzt, dass rund 40.000 Werkvertragsangestellte mit anderen Kollegen zusammen wohnen. Der Lohn soll um 1.100 bis 1.200 € pro Monat betragen, brutto bei 60 Arbeitsstunden pro Woche, heißt es weiter. Der Subunternehmer ziehe davon beispielsweise pro Monat 220 € für die Unterkunft ab, dann zu Beginn des Arbeitsverhältnisses den Rest des ersten Einkommens für die Arbeitskleidung sowie monatlich 25 € für die Fahrt zum Betrieb.

Manfred Goetzke, Reporter im Berliner Landesstudio des Deutschlandfunks, berichtete in der Sendung, dass z.B. Westfleisch zwar erkläre, die Einhaltung der Vorschriften bei den Subunternehmern zu prüfen und sich bei Verstößen von diesen zu trennen. Allerdings mache es sich das Unternehmen hier leicht, da es genügend andere Unternehmer gebe, die genauso verfahren. Und keiner zahle den Mindestlohn - auf dem Papier schon, die Arbeitszeit sei aber viel zu lang. Er habe von Arbeitern eines anderen Unternehmens auch gehört, dass es zwei Stempelkarten gebe, so dass die Arbeiter nach der ersten Schicht gleich mit der zweiten Karte zur nächsten Schicht einchecken.

Laut Minister Heil wird das Recht hier ausgetrickst, er sprach von "organisierter Verantwortungslosigkeit". Dass der Lohnbetrug nicht kontrollierbar sei, liege an der verschachtelten Konstruktion der Subunternehmen. Er sieht einen Schwachpunkt bei der staatlichen Kontrolle, die er nun zusammen mit dem Zoll und den Behörden verbessern will. Gleichzeitig müsse das System der Werkvertragkonstruktionen und Subunternehmen beendet werden.

Manten im Gebet

Sichtlich schwer mit dem Auftritt in der Sendung tat sich anfangs Heiner Manten. Er versuchte, im Sinne der von ihm vertretenen Fleischbranche Gegenargumente zu liefern, verzettelte sich allerdings oft in Gegenfragen. Da verließ Plasberg sein Pult und ging zu dem Gast.

"Ich möchte nicht, dass das hier ein Tribunal wird. (...) Wenn man so eine Talkshow macht, wie wir sie machen, passiert es oft, dass es PR-Agenturen gibt, die holen Sie sich zu Rate und dann wird man gecoacht. Vergessen Sie alles, alles was Kollegen Ihnen gesagt haben, sondern reden Sie für sich, als einen ehrlichen deutschen Unternehmer, dann fahren Sie gut. Und ich möchte nicht, dass es Ihnen schlecht geht hier. Ich weiß, dass Sie ein feiner Kerl sind. Reden Sie für sich und Ihre Familie, dann geht es Ihnen gut."

Das tat Manten dann auch: Sollten die Arbeiter wirklich 1.300 € brutto erhalten haben, sei das ganz klar ein Verstoß gegen den Mindestlohn und das lehne er strikt ab. Im Verband rede man auch über die aufgedeckten Verstöße, im Einzelfall müsse man aber mit dem betroffenen Unternehmen darüber sprechen.

Manten betonte jedoch auch, dass die Firmen auf Subunternehmer angewiesen seien, weil nur sie die Kontakte zu den Arbeitern hätten. Die Fleischunternehmen selbst hätten sonst große Probleme, Arbeiter zu finden, diese klopften ja nicht arbeitsuchend an die Werkstore.

Im weiteren Verlauf kam Manten immer besser in Fahrt und diskutierte angeregt mit.

Tarifvertrag von Westfleisch

Anette Dowideit steuerte Daten aus einem Tarifvertrag von Westfleisch bei, den sie sich von der Gewerkschaft hat geben lassen. "Wenn die jemanden direkt anstellen, müssen die den nach Tarif bezahlen. Ein Zerleger bekommt dann 13,61 € plus Zuschläge. Wenn sie ihn aber über einen Werkvertrag per Subunternehmer beschäftigen, kriegt er Mindestlohn, 9,35 €. Jetzt hat Westfleisch 3.800 Mitarbeiter. Die sind jetzt zwar nicht alle in der Zerlegung, aber wenn man das mal annimmt, dann würden die auf diese Weise in einem Monat 2,5 Mio. € sparen", so Dowideit.

Laut Habeck ist das kein Zufall, sondern Geschäftsmodell. In den letzten zwei Jahrzehnten habe sich die deutsche Schlachtmenge verdoppelt. In anderen Ländern sei die Schlachtbranche kaputt gegangen, weil sie nach Mindestlohn bezahlen müssten, während Deutschland alle Kapazitäten übernommen hätte und Europas Dumping-Schlachtland geworden sei.

Das ist ja nicht aus Versehen passiert, sondern ein Geschäftsmodell!

Deutschland hat seiner Meinung nach mit Absicht die Niedrigfleischbranche installiert und damit Profite gemacht. Das will Straubinger so nicht stehen lassen. Die Fleischproduktion sei in den letzten Jahren konstant geblieben und sogar zurückgegangen. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden!"

Warum sind keine Gespräche möglich?

Auf den Vorwurf von Manten, Minister Heil habe jegliche Gesprächsangebote der Fleischbranche ignoriert, ebenso wie den vorgelegten Fünf-Punkte-Plan, entgegnet Heil, dass die Gespräche seit Jahren nach dem gleichen Muster verlaufen seien: "Da war immer irgendwas nicht in Ordnung, die Minister haben einen Vorschlag gemacht, es gab Selbstverpflichtungen der Branche und Runde Tische und dann ist folgendes passiert. Da sind im Laufe von Gesetzgebungsverfahren Dinge abgeschliffen worden - das ist Interessenpolitik, das ist legitim - oder wenn Regelungen getroffen wurden, hat man versucht, sie neu zu konstruieren."

Heil verdeutlichte, dass sich die Branche auf Veränderungen einstellen müsse. Er machte das Angebot mit Manten darüber zu sprechen, wie Mitarbeiter auch aus Rumänien und Bulgarien organisiert über die Agentur für Arbeit vermittelt werden können - statt über Subunternehmen. "Ich will mit Ihnen darüber sprechen, aber nicht über das Ob, sondern über das Wie, wir werden das machen!"

In der weiteren Sendung ging es auch um das Billigfleisch im Laden. Robert Habeck betont, dass dadurch auch der Landwirt keinesfalls fair entlohnt werden könne. Daher müsse sich seiner Meinung das gesamte System ändern.

Hält Straubinger Fleischpreis für OK?

Max Straubinger erinnert in dem Zusammenhang daran, dass es früher schon mal Preisfestschreibungen gab: "Milchseen, Fleisch- und Butterberge" seien die Folge gewesen. "Wenn der Preis zu niedrig ist, dann wird nicht produziert, darum geht es. Ich bin ja für gute Preise für die Bauern, nur das funktioniert nicht in einer Marktwirtschaft, das muss man sehen." Das eigens dafür geschaffene Gesetz gegen den Verkauf unter Einstand sei seiner Meinung nach wirkungslos. Straubinger schildert hier auch die Marktmacht der Discounter.

Habeck zeigt sich verwundert: "Ein Landwirt fordert für die Landwirte Dumpingpreise? Das ist doch völlig Wahnsinn! (...) Das sich Landwirte hinstellen und sagen, wir sind damit zufrieden, dass unsere Produkte, dass unsere Tiere unter dem Wert ihrer Herstellung verkauft werden, das ist doch komisch", so der Grünen-Politiker.

Die eingangs genannten Preise für Kotelett und Hähnchenkeulen sind laut Straubinger nichts weiter als Lockangebote. Das sei sicherlich nicht gut, sei aber die Realität und das könne man nicht ändern. Habeck entgegnet, dass die Preise politisch festgelegt werden. In diesem Kontex müsste man eine zweite Sicherheitslinie einziehen, die einen Mindestpreis festlegt. Er bedauert, dass Tiere verramscht und zu einem Wegwerfprodukt degradiert werden. "Corona wirft ein Schlaglicht auf die Fehler des Systems."

Manten rechtfertigte teils sehr geringe Fleischpreise damit, dass ein Tier in Teilstücke zerlegt wird, die nicht alle gleich absetzbar sind. "Sollen wir die dann wegschmeißen, wenn sie nicht gekauft werden?"

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