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topplus Straßenbaubeiträge

Wer zahlt für die Wirtschaftswege?

NRW schafft die Straßenbaubeiträgen ab und übernimmt die Kosten selbst – für Anlieger im Innenbereich. Aber wer trägt die Kosten des dringend nötigen Ausbaus der Wirtschaftswege?

Lesezeit: 11 Minuten

Dieser Artikel erschien zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.

Das Land NRW schafft zum 1. Januar 2024 die Straßenbaubeiträge ab: Das hört sich gut an. Und das ist es auch, allerdings nur für Bürger im Innenbereich. Obendrein sind die bereits seit Jahren entlastet. Denn ihnen wurden die Beiträge bereits seit 2020 komplett erlassen, zumindest für Straßenbaumaßnahmen seit dem 1. Januar 2018. Stattdessen übernimmt seitdem eine Landesförderung die Kosten.

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Außenbereich außen vor

Anlieger und Landwirte im Außen­bereich gucken damals wie heute in die Röhre. Denn der Außenbereich bleibt bislang ausgenommen und soll das nach jetzigem Stand auch bleiben: Schon die Förderung und jetzt auch der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG), das regelt, welche Abgaben die Kommunen von Bürgern fordern dürfen, beziehen sich ausschließlich auf „dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, Wege und Plätze“. Demnach dürfen die Kommunen für die Erneuerung oder Verbesserung von öffentlichen Straßen keine Beiträge mehr erheben. Das Land NRW erstattet den Gemeinden die Beiträge, die sie vom Bürger nicht mehr einnehmen können.

Die meisten der Wirtschaftswege sind aber gerade nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet, auch, wenn sie von der Gemeinde bereitgestellt werden und die Kommunen somit für deren Unterhaltung zuständig sind. Sie sind also von dem Erhebungsverbot ausgeschlossen, sodass die Kommunen laut derzeitigem Gesetzesentwurf auch weiterhin keine Erstattung der Kosten vom Land zu erwarten haben.

Anliegerbeiträge möglich?

Dabei ist seit einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts NRW (Az.: II A 1475/75) im Jahre 1977 klar, dass Kommunen für Wirtschaftswege Ausbaubeiträge nach dem KAG verlangen dürfen. Daher plädiert auch der Städte- und Gemeindebund seit Langem dafür, dass die Kommunen die Wirtschaftswege in ihre KAG-Satzungen einbeziehen oder eigene Satzungen für den Außenbereich verfassen, sodass sie für die Wirtschaftswege von den Anliegern Beiträge nach dem KAG verlangen könnten.

Tatsächlich getan haben das bisher aber wenn dann wohl nur wenige Kommunen. „In der Regel finanzieren die Kommunen die Instandhaltung der Wirtschaftsweg über den allgemeinen Haushalt“, schätzt Cora Ehlert vom Städte- und Gemeindebund NRW. „Und auch die meisten der Kommunen, die KAG-Beiträge für ihre Wirtschaftswege erheben könnten, weil sie die Wege in die Satzung aufgenommen haben, haben sie bisher nicht eingetrieben“, vermutet Ehlert weiter.

Kein Geld für Ausbau

So ergeht es auch der Stadt Coesfeld. Dort wurden die Wirtschaftswege vor rund 20 Jahren in die KAG-Satzung aufgenommen. Die Stadt hielt die Wege aber lange Jahre nur so weit instand, dass sie die Unterhaltungsmaßnahmen über den allgemeinen Haushalt abrechnen konnte (siehe Kasten). Sprich: Auf marode Wege kamen einfach neue Decken. Als das aber nicht mehr reichte, legte die Stadt 2021 separate Anliegerbeiträge für Wirtschaftswege fest, die niedriger waren, als die, die im Innenbereich zwar offiziell galten, aber von der Landesförderung statt von den Anliegern übernommen wurden.

Aber auch, wenn es seitdem ein recht umfangreiches Regelwerk zur Erhebung gibt, bislang eingefordert hat die Stadt noch keine Beiträge. „Wir hängen völlig in der Luft“, beklagt Philipp Hänsel vom Fachbereich „Bauen und Umwelt“ der Stadt Coesfeld. „Alleine in diesem Jahr haben wir 13 Wirtschaftswege komplett erneuert, weil das einfach nötig war. Abrechnen werden wir dafür aber frühestens 2025, wenn klar ist, ob das Land womöglich doch noch Erstattungen für die Wirtschaftswege vorsieht. Irgendwoher muss das Geld schließlich kommen.“

Die Stadt Coesfeld hat sich laut Hänsel über Jahre intensiv mit den verschiedenen Möglichkeiten zur Finanzierung der Wirtschafts­wege­unter­haltung beschäftigt. Die vermeintliche Lösung, die Grundsteuer A zu erhöhen und die eingenommenen Gelder in die Sanierung zu stecken, wurde dabei schnell verworfen. „Zum einen würden dann ausschließlich Landwirte für die Kosten aufkommen und zum anderen können Steuergelder nie zweckgebunden verwendet werden. Sie fließen immer in den allgemeinen Haushalt. Es gibt also keine Garantie, dass das Geld auch tatsächlich in den Straßenausbau fließt“, so Hänsel.

Wegeverband die Lösung?

Die andere Option, nämlich die Gründung eines Wegeverbandes, der dann die Unterhaltung der Wirtschaftswege übernehmen soll, wurde hingegen durchaus über mehrere Jahre geprüft und verfolgt, letztlich aber doch fallen gelassen: „Wir haben hier in Coesfeld mehr als 2.500 Eigentümer im Außenbereich. Das zu verwalten wäre eine Mammutaufgabe, die einen Verband sicher überfordern würde. Allein schon den Verbandsbeitrag festzulegen, ist ein enormer Verwaltungsaufwand. Da muss ja zunächst erhoben werden, wer, wie viel die Straße nutzt, wann welche Straßenausbaumaßnahmen nötig werden und wem überhaupt die Flächen gehören“, gibt Hänsel zu Bedenken.

Und auch für Johannes Peter ist das ein rotes Tuch. Er ist Ortslandwirt von Coesfeld-Lette und selbst Anlieger eines gerade sanierten Weges. „Wer soll denn zum Beispiel den ehrenamtlichen Vorstand machen und sich im Zweifel mit allen Nachbarn verkrachen, von der immensen Arbeit mal abgesehen?“, fragt sich der Ackerbauer. „Gar nicht weit weg, in Gescher und Metelen, versuchen sie seit rund zehn Jahren, einen Verband zu gründen. Meines Wissens gibt es keinen einzigen funktionierenden Wegeverband in NRW“, so Hänsel weiter. Und auch Cora Ehlert vom Städte- und Gemeindebund kennt keinen: „Die Idee scheint inzwischen nicht mehr intensiv verfolgt zu werden.“

Meines Wissens gibt es keinen einzigen funktionierenden Wegeverband in NRW."
Phillip Hänsel

Nutzungsfaktoren gerechter

Johannes Peter war als Ortslandwirt an den Verhandlungen und Überlegungen, wie die Stadt die Kosten für die dringend nötigen Sanierungen aufbringen kann, direkt beteiligt. In einer früheren Satzung der Stadt von 2001 hätte die Kommune pauschal 80 % der Sanierungskosten von den Anwohnern – egal ob Innen- oder Außenbereich – fordern können. Da hält Peter die jetzige Satzung mit ihren Nutzungsfaktoren an sich für deutlich gerechter. Anlieger mit landwirtschaftlich genutzten Flächen müssen pro Quadratmeter Fläche am Wirtschaftsweg deutlich weniger zahlen, als Anlieger mit Wohnfläche an der sanierten Straße. Zudem übernimmt die Kommune umso mehr, je mehr Durchgangsverkehr es auf der Straße gibt.

„Ich sehe ja ein, dass die Sanierung Geld kostet. Und wenn Anlieger im Innenbereich auch zahlen müssten, wäre die gefundene Lösung der Stadt über die jetzige ­Satzung vielleicht nicht optimal, aber zumindest die bestmögliche. Aber dass wir Landwirte im Außen­bereich zahlen sollen, Dorf- oder Stadtbewohner aber gar nicht. Das sehe ich nicht ein. Das ist ungerecht“, urteilt Landwirt Peter.

Aber dass wir Landwirte im Außen­bereich zahlen sollen, Dorf- oder Stadtbewohner aber gar nicht. Das sehe ich nicht ein. Das ist ungerecht.“
Landwirt Johannes Peter

Und auch Hänsel weiß: „Die Stadt muss mindestens einen Teil der Kosten erstattet bekommen, sonst können wir das nicht stemmen.“

Kommunen brauchen Geld

Cora Ehlert vom Städte- und Gemeindebund unterstützt: „Wir fordern, dass das Land NRW die Kommunen nicht mit der Erhaltung der Wirtschaftswege alleine lässt. Auch die Kosten der Wege im ländlichen Raum müssen vom Land erstattet werden. Alleine können die Kommunen das nicht stemmen.“

Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) fordert schon seit Langem eine Gleichbehandlung von Innen- und Außenbereich. So heißt es in einem Schreiben an das Ministerium: ­Eine Vergünstigung der Beträge für dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, Wege und Plätze sei unter dem Blickwinkel der Gleichberechtigung nicht akzeptabel.

Die Erhebung von Straßenbaubeiträgen führe auch bei Wirtschaftswegen im Außenbereich, die nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, zu erheblichen Belastungen der Anlieger. „Dies gilt umso mehr, als dass die Grundstücksgrößen, die im Außenbereich für die Beitragsveranlagung zugrunde gelegt werden, ungleich größer sind als die Grundstücksgrößen im Innenbereich“, so der WLV weiter.

Daher fordert der Verband das Ministe­rium im Schreiben auf, den „vorgelegten Gesetzesentwurf grundlegend zu überarbeiten und zukünftig auch nicht gewidmete Straßen von der Beitragsveranlagung auszunehmen.“

Was sagt die NRW-Landesregierung?

Ministerpräsident Wüst beteuert im Interview mit dem "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben": „Als Landesregierung wissen wir um die große Bedeu­tung von Wirtschaftswegen im ländlichen Raum.“ Damit die Kommunen auf Beiträge verzichten können, fördere das Land den Ausbau von Wirtschaftswegen. So seien allein in der ersten Hälfte dieses Jahres Fördermittel in Höhe von rund 18 Mio. € zur Moder­nisierung von insgesamt 100 km bewilligt worden.

Zum Hintergrund: Die Kommunen können die Förderung für einzelne Maßnahmen beantragen, müssen dafür allerdings ein komplettes Wegenetzkonzept erstellen, was sehr aufwendig ist. Zudem werden nur 60 bis 70 %, maximal 500.000 € der Ausgaben pro Antrag erstattet. Darüber hinaus kann es bis zur Förderzusage, ab der man erst mit der Sanierung beginnen darf, lange dauern und ob diese dann überhaupt kommt, ist unsicher.

Auf Kosten der Landwirte?

Zu einem Großteil sind die Wirtschaftswege Nordrhein-Westfalens in den 1950er- bis 1970er-Jahre entstanden. Hauptsächlich befindet sich das rund 140  000 km Wegenetz in der Trägerschaft der Kommunen.

Die Wege sind oftmals im Zuge von Flurbereinigungsverfahren entstanden und entsprechen den damaligen Anforderungen. Typisch dafür ist eine Fahrbahnbreite von 2,5 bis 3 m, zum Teil durch geschotterte Bankette erweitert. Wegeunterbau und Wegedecken können somit häufig den heutigen Belastungen nicht mehr standhalten. Denn neben schwereren landwirtschaft­lichen Maschinen fahren auch ­Müllabfuhren, Schulbusse und andere schwere Fahrzeuge über die Straßen.

Die Gemeinden kommen aber in ­vielen Fällen schon ihrer Unter­haltspflicht kaum nach. Für dringend notwendige Sanierungen oder gar den Ausbau ist erst recht kein Geld da.

Rein rechtlich können die Kommunen das fehlende Geld von den Anliegern fordern, indem sie diese über Straßenbaubeiträge beteiligen, allerdings nur für Herstellung, Erneuerung oder Verbesserung von Wegen im Außenbereich. Die Instandhaltung und laufende Unterhaltung etwa durch kleinere Reparaturen oder Erneuerung der kompletten Straßen­decke gehören nicht dazu.

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Kurz kommentiert

Kaum ein Landwirt, der sich nicht über ­marode Straßen oder Wege ärgert. Viele Wirtschaftswege wurden in den 50er- bis 70er-Jahren gebaut und sind längst in die Jahre gekommen. In Zeiten klammer Kassen haben die Kommunen in den letzten Jahren und Jahrzehnten aber oft nur hier und da ausgebessert oder auch mal den ganzen Straßenbelag erneuert. Eine umfassende Sanierung, wie sie so häufig dringend notwendig wäre, saß aber oft nicht drin.

Da ist eine gute Nachricht hochwillkommen: Die Landesregierung will die Straßenbaubeiträge für Anlieger im Innenbereich abschaffen! Land und Kommune tragen künftig alle Sanierungskosten. Die schlechte folgt sogleich: Der Außenbereich bleibt außen vor. Das Land zahlt nur für Straßen, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Das trifft auf die meisten Wirtschaftswege nicht zu, auch wenn viele Autofahrer sie als willkommene Abkürzung nutzen.

Sarnierung wird zur Jahrhundertaufgabe

Ministerpräsident Wüst betont im Wochenblatt-Interview, die Landesregierung wisse um die große Bedeutung von Wirtschaftswegen im ländlichen Raum. Daher fördere sie den Ausbau: Im ersten Halbjahr 2023 mit 18 Mio. €. Das reichte für 63 Wege. Auf das ganze Wirtschaftswegenetz NRWs hochgerechnet, wird die Sanierung damit zur Jahrhundertaufgabe.

Zudem besteht immer die Gefahr, dass die nächste Regierung oder gar die gleiche unter Sparzwang das Förderprogramm kurzerhand wieder streicht. Dann ist mit dem 2019 aufgelegten Förderprogramm die Sanierung vielleicht mehrerer Hundert Kilometer zum Teil finanziert worden. Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der 140.000 km Wirtschaftswege in NRW! Macht man sich die Bedeutung der Wirtschaftswege für die Landwirtschaft und die ländlichen Regionen aber wirklich bewusst – immerhin bieten sie auf vielen Strecken die einzige Möglichkeit, von A nach B zu kommen – kann das nicht ausreichen.

Innebereich ist fein raus

Den Kommunen wird irgendwann nichts anderes mehr übrigbleiben, als sich das Geld über Straßenbaubeiträge von Landwirten und Anliegern im ländlichen Raum zu holen. Erlaubt bleibt das nach den jetzigen Plänen schließlich. Die Anlieger im Innenbereich sind derweil fein raus, da ihre Straßen dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Sie können sicher sein, keine Beiträge mehr zahlen zu müssen. Gerecht ist das nicht. Und nach gleichwertigen Bedingungen in Stadt und Land sieht das schon gar nicht aus. Dabei heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen für NRW: „Die Erfüllung des grundgesetzlichen Auftrags, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Nordrhein-Westfalen – in der Stadt und auf dem Land – zu garantieren, entscheidet sich in den Kommunen.“ Ist es der Landesregierung ernst damit, muss sie jetzt Innen- wie Außenbereich, Stadt wie Land, bei der Reform des Kommunalabgabengesetzes gleichstellen.

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