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Start-up

Druschverluste während der Ernte minimieren

Das Start-up „Bushel Plus“ hat die kanadische Landwirtschaft erobert. Mehrere Tausend Landwirte setzen bereits auf die Technik, die Druschverluste während der Ernte minimieren soll.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin f3 - farm.food.future erschienen.

Unter einer Handfläche dürfen nicht mehr als drei Körner liegen – diese geerbte Faustzahl noch aus Großvaters Zeiten gab lange Zeit Auskunft über Druschverluste hinter einem fahrenden Mähdrescher. Doch der Blick unter den Schwad ist längst nicht mehr das Mittel der Wahl, wenn es um genaue Aussagen zu Ernteverlusten geht: „Mein Opa hat Hände wie Klodeckel. Da liegen bestimmt mehr als drei Körner unter einer Hand“, scherzt Marcel Kringe über die Geburtsstunde seines Unternehmens.

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Der 31-Jährige hat ein System entwickelt, das die Ernteverluste von Mähdreschern erfassen soll. Es handelt sich um eine Art Wanne, die direkt hinter dem Schneidwerk angebracht wird und die Körner auffängt, die während der Ernte eben nicht im Korntank, sondern auf dem Acker landen würden. Anhand der Verlustmenge kann der Fahrer erkennen, ob er den Mähdrescher optimal auf die vorherrschenden Erntebedingungen angepasst hat.

Mit dem System haben die Landwirte die Möglichkeit, ihre Verluste zu erkennen." - Marcel Kringe

Denn angefangen von Geschwindigkeit über Schnitthöhe bis hin zu technischen Detailleinstellungen, beeinflussen die richtigen Einstellungen die Ernteerträge maßgeblich. „Auf Deutsch kann man ‚Bushel Plus‘ am besten mit ‚Ertrag Plus‘ übersetzen“, erklärt Marcel. „Nicht so sexy wie der englische Name, aber so heißt es eben.“

Die Idee im Gepäck

An den Markt gegangen ist der gebürtige Wittgensteiner mit der Auffangwanne vor rund vier Jahren in Nordamerika. Heute führt Marcel ein mittelständisches Unternehmen mit einem kanadischen Partner und zwei Festangestellten sowie zwei Halbtagskräften. Im Hintergrund fertigt eine Metallbaufirma die Teile für die Auffangschalen. „Das Start-up ist nicht in der Garage, sondern auf dem Feld entstanden“, so Marcel. Er war vor seiner Zeit als Unternehmer mehrere Jahre als Pflanzenbauberater in Kanada angestellt. Dort kam das Produkt erstmalig zum Einsatz.

„Ernteverluste machen sich im Geldbeutel bemerkbar. Wer mehr als 1 % Verlust einfährt, verschenkt viel Geld“, so der gelernte Landwirt und studierte Agraringenieur. Daher traf er bei seinen Kunden direkt auf offene Ohren: „Am Anfang haben wir einfach Schalen unter den fahrenden Drescher geschmissen, um den Verlust zu erfassen“, erinnert sich Marcel.

Doch die Ergebnisse waren zu ungenau. Stroh und Kaff sind mit in den Schalen gelandet. „Ich habe mit einem Sieb auf dem Acker gesessen und 15 Minuten lang die Körner in der Schale gesucht“, erinnert er sich. „Das wollte keiner machen.“ Als dann fast noch ein bekannter Landwirt beim Werfen der Schalen angefahren wurde, war das Ziel endgültig gesetzt: Ein vollautomatisches System musste her.

Magnete verändern die Erntewelt

Der Träger des Systems lässt sich heute mithilfe von zwei starken Magneten an der Achse des Mähdreschers direkt hinter dem Schneidwerk befestigen. Dazu gehören neben der rund 1 m großen Schale auch ein Akku mit LCD-Anzeige, ein Receiver und eine Fernbedienung. In ihr findet der Landwirt anschließend Getreide, Stroh und Kaff. Mit einem eigens entwickelten Gebläse lassen sich in rund 30 Sekunden die Bestandteile trennen.

Wer mehr als 1 % Verlust einfährt, verschenkt viel Geld! - Marcel Kringe

Mit einer Waage werden die Körner gewogen. Das Ergebnis lässt sich in einer App eintragen. Eine Bewertung erfolgt direkt auf dem Feld. „Dazu lässt sich die Mähdreschereinstellung speichern. Es entsteht quasi eine Guideline für ein ähnliches Szenario auf dem nächsten Feld oder im nächsten Erntejahr“, meint Marcel.

Eine Besonderheit des Systems ist die Nutzung in Raps. Marcel sagt: „Unser System wird mit einer speziellen Rapsschale geliefert. Sie macht es möglich, die Verluste in den hohen und harten Rapsstoppeln besser messen zu können, ohne dass die Schale nach dem Abwerfen umkippt.“ Das System lässt sich leicht von einer Maschine an eine andere montieren.

Mehr als 100 Händler

„Es gibt viele Landwirte, die 5 % Ernteverlust erwirtschaften, ohne es zu wissen. Wenn am nächsten Tag der Regen kommt, sind auch schon mal 2 bis 3 % in Ordnung, aber das Ziel liegt immer bei unter 1 %“, erklärt Marcel. Die Erfindung soll es dem Landwirt ermöglichen, seine Maschine besser zu kalibrieren und so die Verluste zu minimieren.

Dabei geht es Marcel nicht nur um den Getreideverlust als wirtschaftlichen Schaden: „Das Thema Nachhaltigkeit steht bei mir an oberster Stelle. Wir möchten dazu beitragen, dass mehr von dem Getreide, was angebaut wird, im Tank des Mähdreschers und damit auf dem Nahrungsmittelmarkt landet.“ Mittlerweile vertreiben sein Produkt mehr als hundert Händler in den Ländern Nordamerikas sowie ein großer Importeur in Australien und Neuseeland, der dort rund 800 Händler beliefert.

Dass er in dieser Größenordnung produzieren würde, war für Marcel zu Beginn undenkbar. Als die ersten Landwirte mit Bushel Plus arbeiten wollten, war die Anspannung groß. „Ich habe richtig Flattern gekommen, als zwölf Bestellungen reinkamen“, erinnert er sich. Schließlich musste Marcel zunächst das Geld für Material, Farbe und Arbeit vorstrecken. „Wenn das nichts geworden wäre, wäre ich auf Nichts zurückgefallen.“ Heute kostet das System rund 1800 € für den Endkunden. Doch was es wirklich heißt, von Null anzufangen, musste Marcel vor rund eineinhalb Jahren schmerzlich erfahren.

Von Null anfangen

Auf einer Australienreise 2018 erlitt der Unternehmer einen schweren Unfall. „Ich musste mich acht Monate zurück ins Leben kämpfen und bin dem Rollstuhl nur knapp entkommen“, fasst er die wohl härteste Zeit seines Lebens in knappen Worten zusammen. Doch genau dieses Ereignis treibt ihn heute an: „Ich darf mich über keine Arbeit beschweren, ich könnte noch im Koma liegen“, so Marcels neue Lebenseinstellung.

Der Unfall hatte großen Einfluss auf die Entwicklung seines Unternehmens. „Wir haben im vergangenen Jahr alle großen Landtechnikmessen in Europa verpasst“, erzählt er. In Deutschland hat der Gründer bisher erst ein paar Systeme verkauft. „Einige Händler haben wir in Osteuropa unter Vertrag. Westeuropa ist nicht so angelaufen, da wir die AgriTechnika 2019 verpasst haben.“ Doch auch, wenn ihn das Unternehmen mal wieder quer durch Nordamerika treibt, weiß er: „Der verpasste Europalaunch ist nichts im Gegensatz zu meiner Gesundheit.“

Der verpasste Europalaunch ist nichts im Gegensatz zu meiner Gesundheit." - Marcel Kringe

Gesundheit spielte auch vorher eine zentrale Rolle: „Unser vorrangiges Ziel ist, den Landwirten einen volleren Tank zu bescheren. Abe wir wollen ihr Leben auch sicherer und stressfreier machen.“ Die Sicherheit und das Befinden der Landwirte sind hier keine leeren Worthülsen. Einige Auffangschalen hat Marcel in einer anderen Farbe produzieren lassen: „Blau steht in Kanada für mentale Gesundheit“, erklärt er.

Denn die Suizidrate unter Landwirten sei in Nordamerika um ein Mehrfaches höher, als im Rest der Bevölkerung. Sein Unternehmen spendet einen Teil seiner Gewinne daher für eine Organisation, die sich für mentale Gesundheit einsetzt.

Optimismus fernab der Heimat

Die positive Einstellung zum Leben hatte Marcel schon vor seinem Unfall. Dennoch hat auch die kanadische Mentalität dazu beigetragen, dass er sein Unternehmen fernab der Heimat gegründet hat. Während ihm seine deutschen Kritiker vor Augen führten, was alles nicht funktionieren könnte, konnte er in Kanada seinen Ideen freien Lauf lassen.

Marcel erzählt, wie ihn in Deutschland ein Bekannter allen Ernstes schon vor der Gründung gefragt hatte, was er denn machen würde, wenn er alle Landwirte mit dem System ausgestattet hätte. „Welch eine schreckliche Vorstellung: Fünf Millionen Bauern weltweit ausgestattet zu haben, ist das Worst-Case-Szenario – was eigentlich gar keins ist“, schmunzelt Marcel. Aber auch er konnte nicht aus seiner Haut, als kanadische Unternehmer ihn auf seine Zweifel ansprachen: „Denk doch mal daran, was passiert, wenn es funktioniert“, mahnten sie.

Diese Einstellung versucht Marcel in sein Unternehmen einfließen zu lassen. „Ich möchte zeigen, dass es junge Leute mit guten Ideen gibt.“ Gerade auf dem Land. „Wir können nicht ins Silicon Valley ziehen und eine mittelgute Idee mit viel Geld pushen. Aber hier in der kanadischen Prärie sitzen die Leute mit guten Ideen für die Landwirtschaft.“ Ideen, die in der Praxis gebraucht werden.


Der Prototyp stammt aus der Heimat

Die erste Idee zum heutigen System entstand noch in der Heimat. In Deutschland wurde der Prototyp zunächst von Martin Reichelt, einem befreundeten Mähdruschtrainer, entwickelt. Marcel hat den ersten Entwurf des Systems mit nach Kanada genommen und es dort zu seinem eigenen, heutigen Produkt weiterentwickelt. Erst durch die Weiterentwicklung des Protoypen war es möglich, das System mit einer dazugehörigen Software zu verbinden und an die verschiedenen weltweiten Gegebenheiten anpassen zu können. Für das System, das heute auf dem Markt zu finden ist, hat Marcel ein Patent angemeldet. Sein Unternehmen arbeitet mittlerweile mit allen gängigen Herstellern zusammen und wird häufig in Schulungs- und Vorführsituationen bei den jeweiligen Händlern genutzt.

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