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Brauchen Biokühe einen eigenen Zuchtwert?

Konventionelle und Biomilcherzeuger haben teilweise unterschiedliche züchterische Ziele. Zudem schränken Vorgaben die Biozüchter ein. Ist ein eigener Öko-Zuchtwert die Lösung?

Lesezeit: 6 Minuten

Hohe Leistungen, eine energiereiche Fütterung und ein milchtypisches Exterieur: Diese stereo­typen Eigenschaften der Holsteinrasse passen in der Regel nicht zu Biobetrieben. Natürlich spielen funktionale Merkmale wie Gesundheit und Nutzungsdauer auch für konventionelle Betriebe eine große Rolle.

Dennoch: Passen Holsteinkühe und Biomilch zusammen? „Ja“, sagt Carsten Scheper. Er verantwortet den Bereich der Rinderzucht bei der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ) deren Gesellschafter die Verbände Demeter und Bioland sind. Der Wechsel zu einer vermeintlich robusteren Milch- oder Zweinutzungsrasse ist laut Scheper nicht nötig. „Die Holsteinpopulation bietet genug Potenzial, auch die Ansprüche von Biobetrieben abzudecken.“

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Das bestätigt Dr. Jens Baltissen, Fachbereichsleiter für Zucht und Genetik beim Bundesverband Rind und Schwein (BRS): „Durch die gemeinsame Bullennutzung der meisten deutschen Zuchtorganisationen ist das Angebot noch größer geworden. Auch Biomilcherzeuger sollten passende Vererber finden können.“

Einige Landwirte sehen das anders und beklagen die mangelnde Auswahl. Sie müssen nicht nur die Kriterien ihres Bioverbandes erfüllen, sondern auch auf Eigenschaften achten, die sich für eine extensivere Haltung eignen. Für Carsten Scheper ist ein ökologischer Zuchtwert für Holsteinkühe daher sinnvoll. Für Fleckvieh gibt es das bereits (siehe Infokasten). Wir haben Landwirte und Verbände nach ihrer Meinung gefragt.

Das sagen Züchter

Mehr Orientierung und Transparenz bei der Bullenauswahl wünscht sich Bio-Landwirt Carsten Bliefernicht aus Sulingen in Niedersachsen. Er hält 140 Holsteinkühe mit einer durchschnittlichen Leistung von 10.000 kg. „Ich finde es sehr aufwendig, verschiedene Bullenkataloge zu vergleichen.

Die Infos sind teils wenig transparent dargestellt“, sagt er. Deshalb nutzt er die Datenplattform Interbull als Vergleichsbasis. Für die Vorauswahl schaut sich Bliefernicht den ökonomischen Relativzuchtwert RZ€ an. Anschließend achtet er auf Nutzungsdauer, Gesundheit und Milchleistung.

Der Züchter möchte auch gerne die Persistenz berücksichtigen. Dieser Zuchtwert ist bislang jedoch nur bei niederländischen Bullen ausgewiesen. Grundsätzlich wünscht sich der Landwirt einen Bio-Zuchtwert, sagt aber auch: „Bio ist nicht nur eine Richtung und oft sind die Schnittmengen zu konventionellen Betrieben groß.“

Eine stärkere Gewichtung der Gesundheitsmerkmale wünscht sich Friedrich Kinkelbur aus Minden (Nordrhein-Westfalen). Er hält seine 120 rot- und schwarzbunten Holsteins nach Bioland-Standards und melkt 10.200 kg Milch je Kuh und Jahr. Die Milchleistung muss seiner Meinung nach nicht noch mehr ins Gewicht fallen. „Unter den Biobetrieben gibt es jedoch zwei Fraktionen: ‚Gras geben‘ oder ‚Gas geben‘. Ich bin unsicher, ob ein gemeinsamer Zuchtwert für beide sinnvoll ist.“

Hochwertige Genetik aus natürlicher Geburt ist schwer zu finden.
Dr. Alfred Weidele

Das sagen Zuchtverbände

Auch der BRS beschäftigt sich mit den züchterischen Herausforderungen von Biobetrieben. „Wir arbeiten gemeinsam mit der ÖTZ an einem ökologischen Zuchtwert“, bestätigt Jens Baltissen. Wenn alle Testläufe funktionieren, könnte der mit der Zuchtwertschätzung im April 2023 erstmalig ausgewiesen werden – spätestens im April 2024.

Dabei soll langfristig nicht nur ein Index aus vorhandenen Zuchtwerten entstehen. Es sind auch neue Merkmale geplant wie z. B. Weidetauglichkeit oder Grundfuttereffizienz. „Zusätzlich beschäftigen wir uns mit einem Zuchtwert für die Persistenz“, sagt Baltissen.

Auch die Unternehmen wollen Biobetrieben etwas bieten. Die Rinderunion Baden-Württemberg (RBW) weist z. B. „Biobullen“ aus, die einen hohen Gesundheitszuchtwert haben. Geschäftsführer Dr. Alfred Weidele sagt aber: „Rinderzucht ist keine Glaubensfrage sondern angewandte Populationsgenetik. Konventionelle und ökologische Milcherzeuger produzieren unter vergleichbaren wirtschaftlichen Bedingungen. Deshalb braucht es keinen sepa­raten Zuchtwert.“

Ein wirtschaftlicher Zuchtwert wie der RZ€ sei ein sinnvolles Selektionskriterium. „Rein ökonomisch betrachtet, müssten Biobetriebe sogar stärker auf Leistungsmerkmale setzen als bisher. Im Vergleich zu konventionellen Züchtern, die vermehrt genomische Bullen einsetzen, haben sie weniger genetischen Fortschritt machen können“, so Weidele.

Organisationen, die hauptsächlich Fleckviehbullen vermarkten, bestätigen das: Bei der Auswahl der Bullen für das Portfolio spiele der Ökozuchtwert keine bzw. eine untergeordnete Rolle, sagt Carsten Scheper und ergänzt: „Einige Biobetriebe nutzen aber genau diese Kriterien für die Selektion. Häufig spielt die Robustheit der Tiere eine größere Rolle als die Leistung.“

Kritik an Zuchtwerten

Unabhängig von einem speziellen Öko-Zuchtwert wünschen sich Carsten Bliefernicht und Friedrich Kinkelbur, dass höhere Laktationen in die Berechnung von Zuchtwerten einfließen. So weisen die Niederlande Zuchtwerte für die ersten fünf Laktationen aus, während Deutschland nur die ersten drei Laktationen einbezieht. „Unsere Kühe sollen langlebig sein und auch in höheren Laktationen noch gesund sein und Milch geben. Daher finde ich es sinnvoll, mehr Daten einzubeziehen“, sagt Friedrich Kinkelbur.

Jens Baltissen erklärt dazu: „In der Zuchtwertberechnung bringen mehr Laktationen nicht immer einen höheren Informationsgewinn.“ Zudem müssten der Arbeitsaufwand und die Kosten für die zusätzliche Datenmenge im Verhältnis stehen.

Carsten Scheper ergänzt, dass im Öko-Zuchtwert für Fleckvieh höherliegende Laktationen stärker berücksichtigt sind, räumt aber ein: „Bis der Zuchtwert aussagekräftig ist, dauert es lange und der Bulle ist im Zweifel nicht mehr aktuell oder verfügbar.“

Eingeschränkte Genetik

Die Suche nach der passenden Genetik für Biomilcherzeuger ist durch weitere Vorgaben erschwert. Die künstliche Besamung ist erlaubt, doch der Embryotransfer (ET) nicht. Zudem verbietet Demeter den Einsatz von Bullen, die aus ET stammen. „Etwa 90 % der Bullen stammen mittlerweile aus ET und sind für einige Betriebe nicht einsetzbar“, sagt Scheper.

Das Problem hat auch Landwirt Carsten Bliefernicht: „Ich möchte gerne hornlose Vererber einsetzen und die Blutlinien weit halten. Da ist die Auswahl schon sehr begrenzt.“ Um ET-Bullen erkennen zu können, wünscht er sich eine transparente Darstellung.

Alfred Weidele meint: „Bioverbände dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es inzwischen sehr schwer ist, hochwertige Genetik aus natürlicher Geburt zu finden. Es sollte Möglichkeiten geben, Produkte aus biotechnologischen Methoden zu nutzen.“ Um die Blutlinien möglichst weit zu halten, sei die computergestützte Anpaarung sinnvoll.

Öko-Zuchtwert

Seit Herbst 2017 gibt es einen ­ökologischen Zuchtwert (ÖZW) für Braunvieh und Fleckvieh. Er ist von Zuchtorganisationen und ­Bioverbänden anerkannt.



Der ÖZW fasst alle Infos der Besamungsbullen zusammen, die den Zielen des ökologischen Landbaus entsprechen. Dazu zählen vor allem Leistungsfähigkeit, Tiergesundheit und Langlebigkeit. Beispielsweise bei der Milchleistung werden die Zuchtwerte aus drei Laktationen im Verhältnis 10 : 20 : 70 gewichtet. Die dritte Laktation enthält auch Infos über weitere Laktationen und hat das höchste Gewicht, um die Bedeutung der Lebensleistung herauszustellen.

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